Solo für Weiss – Tödliche Wahl

Anna Maria Mühe, Jammal, Dwyer, Salisbury, Fuß. Gutes Mädchen, böses Mädchen

Foto: ZDF / Mirjam Knickriem
Foto Tilmann P. Gangloff

Das neunte „Solo für Weiss“ (ZDF / Network Movie), „Tödliche Wahl“ ist neben der interessanten Story vor allem wegen der Hauptdarstellerinnen sehenswert: Nach dem Überfall auf einen Geldtransporter wehrt sich Nora Weiss (Anna Maria Mühe) gegen die Vorstellung, dass ihre einstige Zimmergenossin (Alice Dwyer) auf der Polizeischule, die nach der Ausbildung zum BKA gegangen ist, in einen Raubmord verwickelt ist. Die Umsetzung des wendungsreichen Drehbuchs durch Gunnar Fuß (Regie und Kamera) ist allerdings wie schon zuletzt recht routiniert ausgefallen.

Es ist ein beliebtes Gedankenspiel: Wie hätte sich das Leben verändert, wenn man an einem bestimmten Punkt eine andere Entscheidung getroffen hätte? „Man hat immer eine Wahl“, heißt es in Krimis gern. In der Regel wird tatsächlich niemand gezwungen, ein Verbrechen zu begehen, aber auch hier gibt es zumindest aus subjektiver Sicht oft keine andere Wahl. Das ist die Voraussetzung, wenn das Publikum für Kriminelle ein gewisses Verständnis empfinden soll. Vordergründig mögen solche Überlegungen im neunten Film mit Anna Maria Mühe als Kieler LKA-Kommissarin Nora Weiss erst mal keine Rolle spielen, aber sie sind die Basis dafür, dass ihre Suche nach Judith Novak (Alice Dwyer) kein gewöhnlicher Fall ist.

Solo für Weiss – Tödliche WahlFoto: ZDF / Mirjam Knickriem
Weiss (Anna Maria Mühe) mit ihrer einstigen Zimmergenossin auf der Polizeischule: Ist Novak (Alice Dwyer) Täter oder Opfer?

„Tödliche Wahl“ beginnt mit einem Überfall. Ein Lieferwagen blockiert die Fahrbahn, die Beifahrerin eines Geldtransporters steigt aus, um das Hindernis zu beseitigen. Wenig später liegt der Fahrer der Sicherheitsfirma tot auf der Straße. Das Geld ist verschwunden, die Beifahrerin ebenfalls; offen ist allerdings, ob als Geisel oder als Komplizin. Selbst wenn sie unschuldig ist, hat sie jedoch einen erheblichen Fehler begangen, als sie ausgestiegen ist; deshalb will die Versicherung nicht zahlen. Was sich wirklich zugetragen hat, lässt Paul Salisbury in seinem ersten Drehbuch für „Solo für Weiss“ clever offen, indem er die Ereignisse aus der Perspektive einer Ohrenzeugin schildert: Unmittelbar vor dem Ereignis hatte die Besitzerin des Unternehmens ihren Mann, den Fahrer, angerufen; alles Weitere musste sie hilflos mit anhören.

Über der Handlung schwebt fortan natürlich die Frage, ob Judith Täterin oder Opfer ist, aber viel interessanter ist, was sich Ben Salawi (Camille Jammal), Noras Ermittlungspartner von der Kripo Lübeck, nach und nach zusammenreimt: Judith ist ehemalige Polizistin, sie und Nora haben einst nicht nur gemeinsam die Polizeischule Lübeck besucht, sondern sich auch ein Zimmer geteilt, wie die entsprechenden Rückblenden offenbaren. Nora behauptet zwar, sie sei nicht mit Judith befreundet gewesen, aber die Inszenierung ihrer Erinnerungen lässt den Schluss zu, dass sie im Gegenteil sogar mehr als bloß freundschaftliche Gefühle für die Kollegin empfunden hat; das rückt ihre Ermittlungen selbstredend in ein ganz anderes Licht.

Solo für Weiss – Tödliche WahlFoto: ZDF / Mirjam Knickriem
Ben Salawi (Camill Jammal) ist auf der Suche nach seiner Kollegin. Der Reihen-Titel „Solo für Weiss“ kommt nicht von ungefähr.

Ohne die Erinnerungsbilder wäre „Tödliche Wahl“ in der Tat weitaus weniger reizvoll. So jedoch kommt es zur Konstellation „Gutes Mädchen, böses Mädchen“. Im ausführlichen Schlussdialog wird Judith sinngemäß sagen, sie habe Nora immer um ihren moralischen Kompass beneidet: Bei der Belehrung über den Umgang mit Asservaten steckt sie ein Tütchen Gras ein, außerdem hat sie ein Verhältnis mit Ausbilder Nico (Denis Moschitto). Zu Noras großer Verblüffung stellt sich heraus, dass die beiden vor geraumer Zeit eine Familie gegründet haben. Nach der Ausbildung ist Judith zum Bundeskriminalamt gegangen, weil sie raus aus Lübeck wollte. Beim BKA wurde sie als verdeckte Ermittlerin eingesetzt. Warum sie den Polizeidienst quittiert hat und weshalb in ihrer Personalakte ein Zeitraum von zwölf Monaten der strikten Geheimhaltung unterliegt, beschert der Geschichte weitere überraschende Wendungen.

Dass „Tödliche Wahl“ im Rahmen der Reihe und gerade gemessen an den ausgezeichneten ersten beiden Episoden von Thomas Berger (2016) dennoch nur Durchschnitt ist, hat auch mit der Umsetzung durch Gunnar Fuß (Regie und Kamera) zu tun. Die Gestaltung verleiht dem Film zwar eine unterkühlte Anmutung, aber abgesehen von einigen Drohneneinsätzen ist die Inszenierung bestenfalls solide. Gerade die für Reihenkrimis unvermeidlichen Befragungen sowie die Reviergespräche mit dem Vorgesetzten (Peter Jordan) entsprechen der gewohnten Routine, von den diversen Autofahrten der Ermittlerin ganz zu schweigen. Ihre Ausflüge nach Fehmarn und Lolland, wo sich Judith einmal im Jahr eine Auszeit genommen hat, sorgen dank der winterlichen Impressionen immerhin für eindrucksvolle Aufnahmen. Sehenswert ist der Film neben der Geschichte daher in erster Linie wegen der Kombination Mühe/Dwyer. Fesselnder als besagter Schlussdialog vorm Finale, als Judith berichtet, wie’s wirklich war, sind die Rückblenden, in denen die beiden Frauen auf verblüffende Weise zwanzig Jahre jünger wirken, sowie eine faszinierende Traumsequenz, die wie ein Sinnbild für die alles entscheidende Frage wirkt: Kann Nora der früheren Freundin vertrauen?

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Reihe

ZDF

Mit Anna Maria Mühe, Camill Jammal, Alice Dwyer, Dennis Moschitto, Peter Jordan, Merlin Leonhardt, Jessica McIntyre,Thomas Arnold, Lena Stolze, Mathias Harrebye-Brandt

Kamera: Gunnar Fuß

Szenenbild: Sonja Strömer

Kostüm: Johanna Kolbinger

Schnitt: Simone Klier

Musik: Florian Tessloff

Soundtrack: Lissie („Dreams“)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Bernadette Schugg

Drehbuch: Paul Salisbury

Regie: Gunnar Fuß

Quote: 6,48 Mio. Zuschauer (24,2% MA)

EA: 26.10.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 04.11.2024 20:15 Uhr | ZDF

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