Und es geht doch weiter mit ihr. Nora Weiss (Anna Maria Mühe), Zielfahnderin beim schleswig-holsteinischen Landeskriminalamt, hatte am Ende des Zweiteilers, mit dem die Figur etabliert worden war, mit einer Nötigung ein Geständnis erpresst. Ein schweres Dienstvergehen. Konsequenzen wurden angedroht, scheinen aber mittlerweile überwunden. Weiss wird telefonisch hinzugerufen, als es gilt, einen entflohenen Straftäter festzunehmen. Der ist bei einer früheren Schulfreundin untergekrochen, aber nicht auffindbar, nachdem das SEK durch die Tür gebrochen ist und die Gastgeberin (Katinka Auberger) überwältigt hat. Unter all den anwesenden Koryphäen wird Nora Weiss als einzige auf das hinter einem Kleiderschrank versteckte Gelass aufmerksam. Sie ist es auch, die den herausstürmenden Gewaltverbrecher mit einem sicheren Schuss außer Gefecht setzt. Ein toller Einstand nach der Pause. Da gibt es Lob vom vorgesetzten Kriminalrat Geissler (Peter Jordan), zugleich ihr Liebhaber, und sogar vom Innen-Staatssekretär Naumann, der in zweierlei Angelegenheit angereist ist. Er soll namens des Lübecker Bürgervereins Nora Weiss‘ Vater Rainer (Rainer Bock) eine Auszeichnung für dessen Fluchthilfeaktionen in der früheren DDR verleihen.
Nachdem der in ministeriellem Auftrag ausgeschenkte Champagner genossen wurde, verlassen Weiss und Geissler die Dienststelle, werden aber von einer aufgebrachten Dame aufgehalten. Die bayerische Landtagsabgeordnete Monika Landau (Katharina Müller-Elmau) verbringt ihre Ferien an der Küste und vermisst den Gemahl. Dergleichen gehört nicht zum Auftrag des LKA, aber als Berufspolitikerin weiß sie sich durchzusetzen. Und so trabt Nora Weiss – wenngleich noch immer nicht zuständig – dann auch herbei, als Patrick Landau entleibt am Strand liegt. Dort hat bereits Simon Brandt (Jan Krauter) mit den Ermittlungen begonnen. Ein Kriminalbeamter, mit dem Nora Weiss offenbar lieber zusammenarbeitet, als sie zuzugeben bereit ist. Landau könnte Opfer eines Segelunfalls geworden sein. Natürlich nimmt die Geschichte einen anderen Verlauf, beginnend mit der Erkenntnis, dass der Verstorbene eine falsche Identität angenommen hatte und ursprünglich aus der DDR stammte. Woraus sich wieder Querverbindungen zu Noras Vater ergeben und der sie schwer belastende Verdacht, er könnte Stasi-Informant gewesen sein und als solcher Fluchtpläne verraten haben.
Der dritte Kriminalfilm um die Zielfahnderin Nora Weiss ist ein Beispiel dafür, wie eine starke Hauptfigur eine an manchen Stellen doch sehr durchlässige Handlung über die Runden bringen kann. Einsilbig ist sie, verschlossen und spröde bis abweisend. In älterer Zeit hätte sie eine gute Gouvernante abgegeben. „Warum lächeln Sie eigentlich nie?“, wird sie einmal von Brandt gefragt. „Das würde Ihnen gut stehen.“ Wie so häufig, erweist sie ihm nicht die Gnade einer Antwort. Sie weicht nicht aus, vielmehr ignoriert sie einfach, was ihr vorgetragen wird, wenn sie es nicht für relevant hält. In ihrem Fall eine Frage der Distanz und Effizienz. Zu Emotionen ist sie durchaus fähig und unterscheidet sich darin von der ansonsten habituell ähnlichen Ermittlerin Saga Norén (Sofia Helin) aus dem dänisch-schwedisch-deutschen Krimierfolg „Die Brücke – Transit in den Tod“, deren Verhalten vom Asperger-Syndrom bestimmt wird. („Die Brücke …“ ist ein ähnlicher Fall: oft mutwillig in der Handlungsführung, aber die Hauptfigur macht so einiges vergessen.) Dazu braucht es eine überzeugende Hauptdarstellerin. Bei „Solo für Weiss“ wurde sie mit Anna Maria Mühe gefunden. Obschon sie nicht eben selten im deutschen Fernsehen auftritt, wird Mühes Spiel nie eintönig, denn sie nimmt ihre Figuren an, spielt sie individuell, entwickelt sie aus deren Wesen und Psychologie heraus. Das zeigt sich gerade bei einer unzugänglichen Person wie Nora Weiss, die ihre Gefühle weder in Worten noch expressiven, geschweige denn theatralischen Gesten ausdrückt. Wobei psychologisch schon die Frage für Spannung sorgt: Kann sie nicht oder will sie nicht?
Auch nach dem dritten Film bleibt Nora Weiss geheimnisvoll, das macht neugierig auf den nächsten, der Anfang 2018 Drehbeginn hatte. Ebenso dürfte die unaufgelöste DDR-Vergangenheit ihres Vaters zumindest noch für innerfamiliären Gesprächsstoff sorgen. Bei all dem gibt es auch Abstriche zu machen. In „Solo für Weiss“ geht es auffällig schick zu. Die Kriminalistin selbst wohnt mit Meerblick in einem idyllisch gelegenen Einfamilienhaus im Bauhaus-Stil. Auch sonst pflegt man hier den gehobenen Lebensstil, selbst die Komplizin des Ausbrechers aus der Auftaktsequenz verfügt über eine geräumige Villa. Autofahrten führen am Lübecker Holstentor vorbei, eine Observation ereignet sich zwischen herausgeputzten historischen Mauern. Und wenn der Verdächtige Maik Wosniak – gespielt vom vielseitigen, fast immer glaubwürdigen André Hennicke – in den Wald flüchtet, dann schickt Regisseurin Judith Kennel gleich mal die Drohne hoch, um die Wipfel auch von hoch oben zu zeigen. Zu viele Bilder, die nichts besagen, nichts zur Geschichte beitragen, sondern nur schön sein sollen. In solchen Momenten nähert sich „Solo für Weiss“ den Urlaubspostkartenkrimis der ARD Degeto. Das schmerzt, denn für Schönfärberei ist diese komplexe Titelheldin viel zu schade. Und noch etwas lässt die Nerven beben: Autor Mathias Klaschka übernimmt aus US-Produktionen die Unsitte, dass sich Protagonisten am Telefon melden, indem sie den Namen des Anrufers sagen. Kein „Hallo“, keine Angabe des eigenen Namens. So ziemlich die trampeligste Methode, dem Zuschauer die Identität des Anrufers zu vermitteln.