Sörensen fängt Feuer

Bjarne Mädel, Wichmann, Clasvogt, Meier, Heyer, Sven Stricker. Nicht von dieser Welt

Foto: NDR / Michael Ihle
Foto Rainer Tittelbach

Das fulminante, euphorisch gefeierte und vielfach preisgekrönte Krimi-Drama „Sörensen hat Angst“ schrie ob weiterer verfügbarer Roman-Vorlagen geradezu nach einer Fortsetzung. An der Ausgangssituation hat sich wenig geändert. Katenbüll ist und bleibt ein Nest, in dem kein Fernsehzuschauer begraben sein möchte, und die psychische Verfassung der Titelfigur hat sich sogar noch verschlechtert. Auch „Sörensen fängt Feuer“ (NDR / Claussen + Putz) ist wieder eine stimmige Mixtur aus Krimi, Drama und (Tragi-)Komödie und besticht durch sein absolut stimmungsvolles Zusammenspiel von Narration, Dramaturgie & Inszenierung, von Charakter-Zeichnung und Tonlage. Kein gefälliger Krimi zum Schmunzeln wie die Kriminalkomödien aus Münster. Mit seinen skurrilen und maximal reduzierten Situationen, dem minimalistischen Verhalten und den witzigen Dialogwechseln ist dieses ARD-Highlight von und mit Bjarne Mädel eher etwas zum genauen Hingucken und Zuhören. Ein Film zum stillen Genießen.

Seine Angststörung veranlasste ihn, seine Zelte im verschlafenen ostfriesischen Katenbüll aufzuschlagen. Auf dem Land als Kommissar eine ruhige Kugel schieben – davon kann Sörensen (Bjarne Mädel) aber nach wie vor nur träumen. Nach einem horrenden Missbrauchsskandal bekommen er und seine Kollegin Jenny (Katrin Wichmann) es nun mit einem Verein religiöser Sonderlinge zu tun. Alles beginnt mit einem jungen, blinden Mädchen: Jette (Liv Clasvogt), die Sörensen eines Nachts vors Auto läuft, im Nachthemd, unterernährt und völlig verstört. Ihr Vater habe sie vor der bösen Welt da draußen beschützt, indem er sie jahrelang im Keller eingesperrt hat, sagt das Mädchen, und lässt auch sonst nichts kommen auf ihren gottgläubigen Erzeuger. Der allerdings ist unauffindbar. Der Mann, der in Jettes Elternhaus im Wohnzimmer auf der Couch sitzt und fernsieht, besser fernsah, 17 Messerstiche in der Brust, ist es jedenfalls nicht. Kollege Malte (Leo Meier) ermittelt derweil neun Kirchenaustritte in den 2000er Jahren an einem einzigen Tag und hat eine Informantin: Seine eigene Mutter (Karoline Eichhorn) gehörte zum Kreis dieser fundamentalistischen Bibelausleger. Von der innigen Gemeinschaft ist aber nicht viel geblieben, obwohl fast alle noch in Katenbüll wohnen, darunter eine gebärfreudige Dorfschöne (Luise Heyer), ein selbstgefälliger Übersetzer (Joachim Meyerhoff) und einer, der bald ermordet aufgefunden wird, neben ihm sitzend Dierk Lorenzen (Michael Maertens), Jettes Vater.

Sörensen fängt FeuerFoto: NDR / Michael Ihle
Sörensen (Bjarne Mädel) hat seine Psycho-Pillen abgesetzt – und steht immer öfter neben sich. Mal depressiv, mal einfach nur aggressiv. Malte (Leo Meier) fühlt mit.

Nach dem fulminanten Krimi-Drama „Sörensen hat Angst“ (2021), das von der Kritik euphorisch gefeiert wurde, eine Vielzahl an Preisen abräumte und das wegen weiterer verfügbarer Roman-Vorlagen geradezu nach einer Fortsetzung schrie, steht nun, knapp drei Jahre später, „Sörensen fängt Feuer“ im Programm des „Ersten“. An der Ausgangssituation hat sich nicht viel geändert. Katenbüll ist und bleibt ein Nest, in dem kein Fernsehzuschauer begraben sein möchte. Und die Bewohner, mit denen es das ungewöhnliche Ermittler-Dreigestirn zu tun bekommt, machen den Ort auch nicht freundlicher. Im Gegenteil. „Blind heißt: nicht von Gott gewollt. Gott bestraft Menschen mit Behinderung, so steht es in der Bibel“, sagt die noch einigermaßen human wirkende Mutter des Kriminalkommissar-Anwärters, ohne dass sich Zweifel in ihr regen würden. Die anderen Kirchenabtrünnigen sind vor allem scheinheilig. Alle geben vor, nach Gottes Geboten zu leben, dabei spielen die meisten von ihnen am liebsten selber Gott. Auch Sörensens psychische Verfassung ist nach wie vor bedenklich. Da er die Medikamente gegen seine Angststörung abgesetzt hat, reagiert er mitunter äußerst hitzig und stößt seine eher sanftmütige Kollegin ständig vor den Kopf. Immer schon verhedderte sich Sörensen mit seinen Gedanken und Sätzen, immer öfter aber gesellt sich zu seinem neurotischen Eigensinn, der sich in negativen Auslassungen über Gott und die Welt äußert, eine für ihn ungewohnte, offene Aggressivität.

Sörensen fängt Feuer
Nicht nur der Himmel hängt tief im Friesendorf. Optimistin Jenny (Katrin Wichmann) versucht, ihre Jungs bei Laune zu halten. Wieder gehen merkwürdige Dinge vor sich.

Was der Kollegin übel aufstößt, steigert beim Zuschauer den Unterhaltungswert. „Sörensen fängt Feuer“ ist eine Krimi-Tragikomödie – die Betonung erfreulicherweise auf Tragödie, mit höchst amüsanten Ausreißern in Richtung Komödie. Obwohl die Einsamkeit, unter der Sörensen und Jenny offensichtlich leiden, symbolhaft durch zahlreiche Bilder geistert und immer wieder auch im Dialog auftaucht („Öffnen Sie doch mal Ihr Herz“), bekommt dieses Gefühl von Isolation, durch das narrative Leitmotiv „Speed Dating“ einen amüsanten Dreh. Keiner der beiden will am Wochenende an dieser traurigen Veranstaltung der Übrig-Gebliebenen teilnehmen. „Da trifft Elend auf Elend“, echauffiert sich Sörensen. Am Ende aber sitzen sich – wie zu erwarten war – beide bei dieser „Geschwindigkeitsverabredung“ gegenüber. Allerdings erst ganz zum Schluss. Bei den Kandidatinnen davor wird erkennbar, dass Sörensen seine Tabletten offenbar noch immer nicht wieder nimmt. Umso mehr wiegt das Kompliment, das er Jenny macht: „Dass du heute hier bist, das ist in etwa so, als würden die Beatles plötzlich im Deichkrug spielen.“ In vielen Situationen zuvor haben sich die beiden häufig missverstanden. Für sie ist beispielsweise Kommunikation der Schlüssel zum Besseren. Sörensen sieht das anders: „Die Menschen sollten viel weniger miteinander reden, dann passiert auch nichts: kein Kontakt, kein Streit, kein Tod.“ Die letzten Minuten, in denen sie ihr Herz sprechen lassen, zeigt sich die tiefe Verbundenheit dieser beiden einsamen Seelen. Ein wunderschöner Kontrapunkt und ein Schlussbild, das abermals Sehnsucht nach mehr weckt.

Sörensen fängt Feuer
Eine typische Tragikomödie: Das Tragische als eine Art lakonischer Running Gag. Sörensen mit Jette (Liv Clasvogt) & Cord. „Ich geh nach Hause und zähl die Schafe.“

Wie „Sörensen hat Angst“ besticht auch der Nachfolger durch sein stimmiges Zusammenspiel von Narration, Dramaturgie und Inszenierung, von Charakterzeichnung und Tonlage. Bereits im Intro tauchen Elemente auf, die einem im Film wiederbegegnen werden: das somnambule Mädchen im Nachthemd, der nervlich angegriffene Polizist im Konflikt mit seinen Psychopillen, aus dessen Antlitz via Morphing seine Kollegin erwächst, ein Vogelkäfig als Metapher für die Geschichte und Cord, der traurige Hund, keine Schönheit, aber bald der zweitbeste Freund der blinden Jette. Wie eine (Alp-)Traumsequenz schweben die Bilder durch den schwarzen Raum. Ähnlich markant reduziert, ja geradezu symbolhaft abstrakt, ist auch die Sequenz gestaltetet, in der die Morde filmisch nacherzählt werden. Diese surreale Form, die an die Theaterfilme von Lars von Trier erinnert, passt perfekt zu den bizarren, kranken Taten und Charakteren, die nicht von dieser Welt sind. Braver TV-Realismus wäre hier fehl am Platze.

„Sörensen fängt Feuer“ ist in seiner eigenwilligen Mixtur aus Drama, Krimi und Komödie also alles andere als ein gefälliger Krimi zum Schmunzeln. Wer das sucht ist in Münster besser aufgehoben als in Katenbüll. Wer dagegen skurrile und maximal reduzierte Situationen, minimalistisches Verhalten und witzig lakonische Dialogwechsel schätzt, der liegt in diesem Film von und mit Bjarne Mädel nach dem Drehbuch und gleichnamigen Roman von Sven Stricker, goldrichtig. Ganz besonders die trockenen Interaktionsversuche, dieses Hin und Her zwischen Sörensen und Jenny, machen Laune, beispielsweise bei einem Leichenfund. Sie: „Komm mal.“ Er: „Ne, du.“ Sie: Ne, lieber du.“ Er: „Ich kann nicht, du kommst.“ Sie: „Aber ich hab‘ hier was.“ Er: „Ich hab‘ auch was, und ich bin dein Chef.“ Köstlich auch, wie immer wieder (selbst)bewusst der Zeit beim langsamen Vergehen zugeschaut wird oder wie die Macher augenzwinkernd Krimifloskeln zu selbstreferentiellen Running Gags („Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen …“) machen. Bei so viel Qualität ist es nicht verwunderlich, dass alle Vertreter der Hauptgewerke von Kamera über Szenen- und Kostümbild bis hin zu Schnitt und Musik auch beim zweiten Film alle wieder dabei sein wollten. Der erste hatte ja Top-Bewertungen. Auch dafür findet der Held überraschende Antworten im Film. „Warum muss man immer gleich alles bewerten. Es ist ein Wahnsinn mit dieser ewigen Bewerterei.“

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Fernsehfilm

NDR

Mit Bjarne Mädel, Katrin Wichmann, Liv Clasvogt, Leo Meier, Joachim Meyerhoff, Luise Heyer, Michael Maertens, Karoline Eichhorn und als Gäste Lina Beckmann & Godehard Giese

Kamera: Kristian Leschner

Szenenbild: Vicky von Minckwitz

Kostüm: Caterina Czepek

Schnitt: Benjamin Ikes

Musik: Volker Bertelmann

Redaktion: Christian Granderath, Philine Rosenberg

Produktionsfirma: Claussen + Putz Filmproduktion

Produktion: Jakob Claussen, Uli Putz

Drehbuch: Sven Stricker – nach seinem gleichnamigen Roman

Regie: Bjarne Mädel

EA: 18.10.2023 20:15 Uhr | ARD

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