Verscherzen sollte man es sich mit Helene Offer nicht. Die Frau hat Haare auf den Zähnen und sitzt am längeren Hebel. Sie ist Richterin. War Richterin. Am Tag ihres Ausscheidens aus dem Amt passiert ihr ein Malheur, das der nicht übermäßig beliebten Rechtssprecherin die Silberne Ehrennadel der Stadt Wien kosten könnte: Sie rammt – 0,9 Promille im Blut – mit ihrem Wagen ein anderes Fahrzeug. Der Fahrer liegt wenig später im Koma, die Beifahrerin, seine Tochter Michalina, ist unverletzt geblieben. „Frau am Steuer Ungeheuer“, witzelt der Teenager. Michalina hat das Down-Syndrom. Ein Sozialarbeiter weiß Helene Offers missliche Lage für das Mädchen zu nutzen. Solange der Vater im Krankenhaus liegt, kann Michalina unter der Woche in dem Vereinshaus nächtigen, in dem sie mit einer Down-Syndrom-Gruppe ein Tanzstück probt, am Wochenende müsste sie in ein Heim. Das will er dem Mädchen ersparen. Helene Offer hat verstanden. Ihre Ehrennadel wäre damit jedenfalls gerettet.
„Richterin Gnadenlos zeigt Herz“ titelt die Presse in der deutsch-österreichischen Koproduktion „So wie du bist“, nachdem sich die Heldin entschlossen hat, Ersatzmutter zu spielen. Damit ist aber auch der Plot des Films auf den Punkt gebracht. Eine ichbezogene, kopfgesteuerte Bourgeoise begibt sich auf ein ihr unbekanntes Terrain: mit Sozialarbeitern, Behinderten und Gefühlen hatte sie bisher nicht viel zu schaffen. Keine Angst, trotz MDR als Ko-Produzent wird der Hauptfigur weder ein neuer Liebhaber an die Hand gegeben noch an den Körper gebunden. Michalina und ein Hamster müssen genügen. Auch kommt die erfolgreiche Läuterung der kühlen Richterin nicht aus der Kiste gehüpft: Dass dieses Mädchen eine Seite in sich trägt, die jene Helene Offer ihr (Berufs-)Leben lang ein bisschen vernachlässigt hat und dass diese Art auch für sie etwas durchaus Belebendes besitzt, merkt sie recht bald (sie ist ja eine intelligente Frau) – und auch Drehbuchautor Uli Brée ist klüger als viele seiner Feelgoodfilm-Kollegen und so stellt er der „Beziehung“ einen Konflikt zur Seite, der nicht nur bei vielen Zuschauern ein „unerhörtes“ Thema anschlagen dürfte, sondern der auch dramaturgisch bestens geerdet ist: Michalina hat einen Freund, beide lieben sich und wollen heiraten. Menschen mit der Genom-Mutation Trisomie 21 aber dürfen nicht heiraten. Sie sind nicht geschäftsfähig; sie dürfen nicht einmal wählen. Klar, das ist ein gefundenes Fressen für die emotional angewärmte Ex-Richterin, die nun auch noch juristisch angefixt ist.
Foto: ORF / MDR / Anjeza Cikopano
„So wie du bist“ ist eine fein ausbalancierte Läuterungskomödie, angereichert mit unpeinlichen Wohlfühlmomenten, eine Komödie, die für das Thema Behinderung ebenso gesellschaftlich relevant wie amüsant sensibilisiert, ohne sich allzu gutmenschelnd beim Zuschauer anzubiedern. Dafür sorgt schon Gisela Schneeberger, deren Spiel – sowohl als zackige Richterin als auch als mehr Lockerheit entdeckende Pensionärin – voller Zwischentöne steckt. Und für Juliana Götze gilt Ähnliches wie für ihre Michalina im Film: Sie überrascht und bezaubert nicht nur jene „emotional behinderte“ Richterin, sie überrascht und bezaubert auch den Zuschauer. Götze ist Schauspielerin an einem integrativen Berliner Theater. Großartig war sie schon in ihrer Hauptrolle im BR-„Polizeiruf 110: Rosis Baby“ (2008). Weil auch die Schauspielerin das Down-Syndrom hat, ist das Thema für den Zuschauer doppelt präsent. Und der Film geht – trotz des Alles-wird-gut-Endes mit zwei wunderschönen Tanzeinlagen – aber auch zwischendurch mal dorthin, wo’s wehtut und macht deutlich, dass das Leben mit einem solchen „Sonnenschein“ alles andere als ein leichtes, sonniges Leben ist. Auch wird das Prinzip „Behindertenmund tut Wahrheit kund“ dramaturgisch nicht überstrapaziert. So machen Brée und Wolfgang Murnberger, der hier besonders seine Qualität als Schauspieler-Regisseur unter Beweis stellen kann, schließlich (fast) alles richtig. (Textstand: 1.6.2013)