Pastor einer Freikirche mit homosexueller Neigung
Die Begegnung mit einem drogenabhängigen, homosexuellen jungen Mann wird für Pastor Johannes Klare (Edgar Selge) zu einer schweren Glaubensprüfung. Der Film mit dem aus dem Vaterunser entlehnten Titel „So auf Erden“ führt in das Milieu evangelikaler Freichristen: Klare leitet die Gemeinde „Der Weg“ in Stuttgart. Er ist ein Mann mit Charisma, seine Predigten sind voller Hingabe und tiefer religiöser Verwurzelung. Gemeinsam mit seiner Frau Lydia (Franziska Walser) bereitet er den Bau eines neuen Gemeindezentrums vor. Auch versuchen sie, dem Straßenmusiker Simon (Jannis Niewöhner) zu helfen, ihn von seiner Drogensucht zu befreien und ihn zugleich für ihre Religionsgemeinschaft zu gewinnen. Allerdings entdecken sie, dass Simon schwul ist, was in ihrem Glauben als Sünde und Störung der Schöpfungsordnung gilt. Und Pastor Klare entdeckt eine sexuelle Neigung wieder, die er seit der Hochzeit mit seiner Frau für überwunden glaubte.
Foto: SWR / Christiane Pausch
Die Bibel als fester Bezugspunkt im Alltag
Evangelikale Christen, die es mit der Bibel sehr wörtlich nehmen, sind für viele Zuschauer sicher Außenseiter, vielleicht sogar gefährliche Spinner. Was für den Film grundsätzlich einnimmt, ist, dass Drehbuch und Inszenierung von Anfang an der Publikumserwartung nicht nach dem Mund reden, sondern in aller Ruhe und Sorgfalt die Geschichte und die Konflikte der Figuren entwickeln. Es wird vermutlich auch dem „Normal-Gläubigen“, der nur ab und zu sonntags in die Kirche geht, fremd erscheinen, wie sehr die Bibel für Pastor Klare und seine Frau Bezugspunkt im Alltag ist. Der Film ist jedenfalls voller Psalmen und Gebete. Aber feste Prinzipien vermögen auch zu beeindrucken, und so sind die Klares keine unsympathischen Figuren. Zumal der Pastor alles andere als ein Sektenführer ist, der seine Schäfchen einer Gehirnwäsche unterzieht. Als das wohlhabende Ehepaar Reiche (Peter Jordan, Carlotta von Falkenhayn) ihre minderjährige Tochter mitbringt und diese ihren Wunsch, getauft zu werden, mit einigen einstudierten Sätzen vorträgt, lehnt Klare ab. Das Mädchen sei noch gar nicht in der Lage, für sich entscheiden zu können, ob sie zum Christsein berufen sei. Auch von Volkers Vorhaben, eine Bekenntnisschule zu bauen, hält er nichts.
„Wir haben uns nicht explizit auf eine Gemeinde bezogen, sondern Anleihen bei mehreren freichristlichen Gemeinden genommen, wie etwa bei den Pfingstkirchlern. Viele davon haben ihr Zentrum in Baden-Württemberg, insofern kann man schon von einem hohen Realitätsgrad sprechen“ (Martin Rosefeldt)
Foto: SWR / Christiane Pausch
Der drogensüchtige Simon wird zu einer Art Ersatz-Sohn
„Lass ab vom Bösen und tue Gutes“, das betet der Pastor am Morgen nach dem Aufstehen, am Fenster stehend, das Gesicht zum Licht des Himmels gewandt. Aber es ist nicht so einfach, das „Böse“ und das „Gute“ voneinander zu unterscheiden. Was tun mit dem Angebot Reiches, der eine halbe Million Euro für den Bau des Gemeindezentrums spenden will? Was tun mit Buchhalter Bernd (Thilo Prothmann), dessen Frau einen Schlaganfall hatte und der nun für die teure Behandlung Spendengeld unterschlägt? Und was tun mit Simon, den die Klares auf der Straße auflesen? Simon steigt regelmäßig bei seinem reichen Arzt-Vater ein, um Rezepte für seinen Morphium-Konsum zu klauen. Für Lydia ist er eine Art Ersatz-Sohn, und die Klares bieten Simon neben frommen Sprüchen und praktischer Hilfe vor allem das Vertrauen, das er als „Versager-Sohn“ bei seinem Vater nicht bekam. „So auf Erden“ ist nicht nur reich an Bibelzitaten, sondern auch reich an irdischen zwischenmenschlichen Konflikten.
„Zwischen Liberalen und Konservativen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen kommt es wie im Film immer wieder zu Streit über Fragen wie: Wie geht man mit Abweichlern um? Zwingt man sie zum Umdenken, schließt man sie aus der Gemeinde aus? Wie groß ist der Raum für Toleranz und ein gemeinsames Leben Andersdenkender in der Gemeinschaft? Was darf, was muss, was kann Glaube bewirken? Wir, die wir diesen Film gemacht haben, wünschen uns diese Diskussionen – in der festen Gewissheit, dass wir gut daran tun, nicht mit dem Finger auf andere Glaubensformen und Religionen zu zeigen, ihnen eine Nähe zu Terrorismus und Menschenfeindlichkeit zu unterstellen.“
(Manfred Hattendorf, kommissarischer Filmchef des SWR, der selbst in einer bibeltreuen Freikirche aufgewachsen ist)
Foto: SWR / Christiane Pausch
Und der Pastor stürzt in eine tiefe Krise
Das Thema Homosexualität, das sich nach einer halben Stunde andeutet und nach einer knappen Stunde ins Zentrum rückt, bringt noch einmal dramatischen Schwung in die Geschichte. Nun offenbart sich auch die strenge, fundamentalistische Seite vieler Freikirchler. Das immerfort freundliche Umarmen der Gemeindemitglieder hat ein Ende, die „falsche Nächstenliebe“ (Simon) offenbart sich als Weltanschauung der Ausgrenzung, in der Vergebung nicht möglich ist. Und der Pastor stürzt in eine tiefe Krise. Er stellt sich nicht nur die Frage, wie er seinen Glauben mit seiner sexuellen Orientierung in Einklang bringen kann, sondern auch, wie es mit seiner Ehe weitergeht. Ähnliches gilt für Lydia. Walsers Figur gewinnt im letzten Film-Drittel an Kontur, wobei die emanzipatorische Wende vielleicht eher Wunschdenken ist und vor allem den Wunsch nach einem positiven Filmende befriedigen soll.
Edgar Selge spielt einmal mehr groß auf
Man muss sich schon ein bisschen einlassen wollen auf diesen Film, der nicht frei von religiös-philosophischem Pathos ist und der musikalisch mit einem eher meditativen Sound unterlegt ist. Die Kamera sammelt ein paar Schöpfungsbilder aus der Natur und rückt ab und zu ein großes Kreuz ins Bildzentrum, bleibt aber sonst dicht und ruhig am Geschehen und den Figuren. Vor allem Edgar Selge spielt hier mal wieder groß auf, aber auch Franziska Walser und Jannis Niewöhner tragen den Film über die 90 Minuten, in denen sich das fiktionale Fernsehen auf sachliche Art mit einer evangelikalen Religions-Gemeinschaft sowie auf differenzierte und reife Art mit grundlegenden Fragen des Glaubens und des Zusammenlebens beschäftigt. Geschieht ja auch nicht alle Tage. (Text-Stand: 6.9.2017)