Da kann eine Frau nach 60 Jahren endlich die widerborstige Mutter dazu überreden, mit ihr an ihren Geburtsort in einem norwegischen Lebensborn-Heim zu fahren, und da stellt sich auf der Rückreise heraus, dass sie nicht in dem Dorf, das sie besucht haben, zur Welt kam, sondern in einem Lazarett in Oslo. Was kann man dieser Frau noch glauben? Wie kann man mit einer solchen Mutter Frieden schließen? Einer Mutter, die sich nie um die emotionalen Bedürfnisse ihrer Tochter gekümmert hat, sie nicht einmal zu verstehen scheint. Über Jahrzehnte hat diese Frau ein Netz aus Lügen, Halbwahrheiten & Verdrängung gesponnen.
„Sie ist meine Mutter“ erzählt von einer unversöhnlichen Mutter/Tochter-Beziehung. „Die Ideologie der Nazi-Diktatur hat die Lebensläufe der beiden und den Konfliktstoff wesentlich bestimmt“, so Thekla Carola Wied, die die Tochter Rena spielt. Die Mutter war mehr als eine unbedeutende Sekretärin in einem jener Lebensborn-Heime, in denen unter der Federführung der SS „rassisch und erbbiologisch wertvolle kinderreiche Familien“ entbinden durften. Der Hintergrund war: „Die Deutschen wollten keinen Tropfen edlen Bluts verlieren.“ Mit der Hilfe für ledige Mütter sollte die hohe Abtreibungsrate gesenkt und die Geburtenrate erhöht werden.
Unrühmlich war insbesondere die Rolle, die der „Lebensborn e.V.“ bei der Vermittlung von Adoptionen spielte. Zur so genannten „Eindeutschung fremdvölkischer Kinder guten Bluts“ schreckte der Verein vor der Fälschung von Geburtsurkunden und Menschenraub nicht zurück. In Norwegen wurden nach der Besatzung 1942 zehn Heime eingerichtet, denn Kinder von norwegischen Frauen waren zur „Aufnordung“ der Deutschen besonders erwünscht. In einem dieser Heime kam die Familientherapeutin Gisela Heidenreich zur Welt. Der Fernsehfilm ist nach Motiven ihres autobiografischen Bestsellers „Das endlose Jahr“ entstanden.
Für Heidenreich war das Schreiben des Buches Eigentherapie, ein Beitrag aber auch zur ihrem Metier, der Familientherapie, und ein vergessener Nachtrag zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Auch der Film macht sich diese drei Ebenen zu eigen. Da ist die lebenslange Identitätssuche der Tochter, da ist die von tiefen Verletzungen geprägte Mutter/Tochter-Beziehung, und schließlich erfährt der Zuschauer auch einiges über die nicht immer so karitativen Absichten der Lebensborn-Einrichtungen. Hannah Hollinger wollte zeigen, wie (Familien-)Geschichte in späteren Generationen weiterlebt. „Die Vergangenheit unserer Eltern beeinflusst uns noch heute“, so die renommierte Drehbuchautorin, „die Geschichte spielt immer noch eine wesentliche Rolle in der Jetztgeschichte vieler Menschen.“
Es ist ein schwieriger Stoff, dem sich Hollinger da angenommen hat. Da muss schon mal die eine oder andere Grundsatz-Szene eingeflochten werden, müssen Erklärsätze her, um Vergangenes zu beschreiben. Allein zu „erspielen“ ist die schmerzliche Vergangenheit nicht. Ausgeglichen werden solche uneleganten „Tricks“ durch ein unaufgeregtes Beziehungsspiel von zeitloser Güte. Haben anfangs Wied und Rüdiger Vogler als kultiviert gereiftes Paar wunderbare Szenen, verdichten sich im Verlauf der Handlung die Momente, in denen Mutter und Tochter aneinander geraten. Es sind Augen-Blicke größter Authentizität, die „Sie ist meine Mutter“ zu einem nachhaltigen Kammerspiel machen. (Text-Stand: 21.2.2007)