„Warum? Warum hast du das getan?“, will Nora Wagner wissen. Ein Jahr nachdem ihre Tochter an ihrem 16. Geburtstag von der Mitschülerin Linda zu Tode gefoltert wurde, besucht die Mutter die Täterin im Gefängnis. Sie sieht ein „normales Mädchen“, kein Monster. Und dann dieser unerhörte Satz: „Sie hat es verdient“. Vor einem Jahr steckte eine unbändige Wut in diesem Mädchen, das ihren Freund Josch und „Anhängsel“ Kati wie ihre Sklaven behandelt. In ihrem Elternhaus geht es heftig zur Sache: Bruder behindert, Vater ein Leisetreter, Mutter überfordert – da übernimmt Linda die Rolle des renitenten Teenagers. „Es gibt Menschen, die sind einfach böse“, sagt Lindas Mutter – und macht es sich leicht. Sie hat ihre Tochter kein einziges Mal im Gefängnis besucht. Linda scheint dankbar zu sein für den Besuch von Susannes Mutter. Und zaghaft kommt ihr ein „Es tut mir leid“ über ihre Lippen.
Foto: Degeto / Hermann Ebling
„Sie hat es verdient“ handelt von einer „unfassbaren“ Geschichte. Thomas Stiller hat sie entsprechend erzählt: ohne die Chronologie einer klassischen Fernsehfilm-Erzählung. „Der Film nähert sich den komplexen Strukturen hinter der Gewalttat und analysiert und seziert die Anatomie eines Verbrechens“, sagt Veronica Ferres. Sie spielt die Mutter, ungeschminkt, in starrer Anspannung, als eine Frau, die verstehen will, die Antworten sucht, um weiterleben zu können. Hier und da mal ein emotionaler Ausbruch, insgesamt aber nimmt sich die Schauspielerin der Psychologie der wohl situierten, klugen, starken Frau entsprechend zurück. Damit überlässt sie Liv Lisa Fries das Feld. Zwei, drei Szenen und man erkennt: hier hat man es mit einem Ausnahmetalent zu tun. Ansatzlos springt die heute 20-Jährige zwischen den konträrsten Gefühlslagen (innerhalb einer Szene) hin und her. Selbst die Dramaturgie der kurzen Splitter, die anfangs etwas „signalhaft“ Knalliges besitzt, verleitet Fries nicht dazu, zu deutlich zu spielen. Zwischen „Wir bringen sie um“ und „Es tut mir leid“ erstreckt sich die emotionale Bandbreite ihrer Rolle: Teenager-Rotzigkeit, Ausschalten von Empathie, sexuelle Leidenschaft, Zärtlichkeit gegenüber ihrem behinderten Bruder, erste Anzeichen von Reue.
Foto: Degeto / Hermann Ebling
Zwiegespräch zwischen Täterin und der Mutter des Opfers im Gefängnis:
Nora Wagner: „Was ist das für ein Gefühl, einen Menschen umgebracht zu haben?“
Linda: „Gefühle sind ein Luxus – den kann ich mir nicht leisten.“
N.W.: „Wie bitte? Wer hat dir denn den Mist erzählt?“
Linda: „Meine Mutter – und die muss es ja wissen. Die weiß sowieso alles. (Pause) Sie vermissen Susanne wahrscheinlich sehr.“
N.W.: „Ja, sehr. Ich vermisse ihr Lachen, ich vermisse die täglichen Streitereien mit ihr…“
Linda: „Ich vermisse Oskar. Das ist mein kleiner Bruder. Der ist bisschen bekloppt – aber ganz lieb.“
Die Anfang-Mitte-Ende-Erzählweise hätte die Psychologie der Täterin leicht aufs Monströs-Böse und die Handlung auf die üblichen Spannungsmuster reduzieren können. Anstatt der Widersprüche wäre man allzu schnell mit kausalen Erklärungen bei der Hand gewesen. Stillers dramaturgische Entscheidung war also eine gute – auch wenn eine Szene am Ende sein Erzählkonzept (wohl in Hinblick auf den „Zuschauer“) zu verraten scheint. „Das Drehbuch handelt davon, was solche Ereignisse in unseren Köpfen, in unseren Herzen bewirken: Gedankenfetzen, Gefühle, die keine klare Ordnung haben“, so der Regisseur, der schon für die schwer erzählbare Räuberballade „12 Winter“ eine ansprechende Dramaturgie fand. „Auch wenn es keine Lösung geben kann – wichtig bleibt und ist der Versuch, verstehen zu wollen. Vielleicht liegt darin die Erkenntnis des Films.“