Im Job wird Fiona geliebt wegen ihres kreativen Managements, zu Hause von ihrer Familie wird besonders ihr Organisationstalent geschätzt. Jetzt kann sie mal wieder zeigen, was in ihr steckt: Ihr Mann Ben hat die junge Nachbarin geschwängert. Ein Ausrutscher, keine Gefühle, kein Interesse an Mutter und Kind, er wird Alimente zahlen – und das war’s für ihn. Ganz so pragmatisch will Fiona den Seitensprung nicht sehen und ihr gefällt auch nicht, wie sich ihr Mann aus der Verantwortung zu stehlen versucht; das kennt sie von ihren Auftraggebern, deren schmutzige Westen sie mit Kampagnen weiß waschen soll. Mit einer Power-Point-Präsentation stellt sie der Familie einen perfekt durchgetakteten Happy-Family-Plan vor. Nachbarin Julia zieht bis zur Geburt des Babys bei ihnen ein. Respekt, Ehrlichkeit und gegenseitige Unterstützung sind angesagt. Ben ist das too much: Will seine Frau ihn im Fünf-Frauen-Haus vorführen? Doch es klappt besser als gedacht. Eine richtig coole WG. Allein Fiona – obwohl sie im Job kürzer tritt – findet schwer Zugang zu ihrer Happy-Family.
Die ARD-Alltagskomödie „Seitensprung“ begreift den Titel gebenden Ausrutscher des Ehemanns anders als vergleichbare Unterhaltungsfilme, behandelt ihn nicht als narzisstische Kränkung für die weibliche Hauptfigur, sondern als Ausgangspunkt für ein Was-wäre-wenn-Szenario, das konsequent und durchaus ernsthaft durchgespielt wird. Die Heldin ist anfangs nur ein bisschen aufgescheucht, dann tut sie das, was sie kann: reagiert mit Kopf, Herz und vor allem Haltung. Dass die Heldin als „Managerin“ und Mutter des Gedankens nicht wirklich zu der von ihr „geschaffenen“ neuen Familie dazu gehört, ist nur logisch. Der nächste Schritt muss also von ihr, der erfolgreichen Businessfrau, selbst kommen. Und er kommt, anders als üblich, mit ein paar lebensklugen Drehern und nicht moralinsauer aufstoßend wie in anderen sogenannten „Familienfilmen“ der letzten Jahre. Das liegt auch an den Charakteren, die weniger der bisherigen Degeto-Norm entsprechen. Zwar gibt es die beliebte Karrierefrau, doch die wird von Claudia Michelsen nicht dem Klischee entsprechend gespielt. Außerdem beherbergt die WG eine 68er-Großmutter, die ihre Haltung nicht grell vor sich hertragen muss, sondern deren Lebensstil eher beiläufig in die Handlung einfließt (Warum ist Tochter Paulette wohl „stoned“?). Ein fürs leichte Fach ungewöhnlicher männlicher Rollen-Typus ist auch Stephan Kampwirths Vater als eher schwacher Mann, der – dieser Kalauer sei erlaubt – aus gutem Grund den Schwanz einzieht. Und erfrischend anders ist die flippige Nachbarin, die Rocksängerin, die Birte Hanusrichter nie – was naheliegend wäre – mit falschen oder allzu lauten Tönen belegt. Laut ist allenfalls ab und zu die Musik, die sie und ihre Rock-Kumpels machen. Aber mit Live-Musik geht selbst eine Degeto-Komödie besser.
Vielleicht ist die Story nicht bis ins Kleinste logisch durchdacht, vielleicht ist das aber gerade die Stärke von „Seitensprung“: So ist die Autorin Verena Bird nicht gezwungen, alles in dieser handlungsreichen Geschichte über einen moralischen Kamm zu scheren, sondern eher wie im Leben, die Situationen immer wieder neu zu denken und zu bewerten. Der Film hat mehr als die eine Moral, mit der vor allem Sat 1 seine Unterhaltungsfilme ausstattet. Auch für diese Story wäre es ein leichtes, immer und immer wieder das schlechte Gewissen der Hauptfigur, ihre emotionale Abwesenheit, selbst wenn sie in der Familie anwesend ist, oder ihre Geschäftigkeit, mit der sie ihre Verletzung durch den Seitensprung bearbeitet, zu thematisieren. „Seitensprung“ wird der Tatsache gerecht, dass alles im Leben mehrere Seiten hat, anders als einem das Genrekomödien weismachen wollen. Außerdem entwickelt die Together-Idee so viel Dynamik und einen solchen unterhaltsamen Eigenwert, dass die Figurenpsychologie, in anderen Komödien das A&O, in dem Film von Sabine Boss („Stärke 6“) – trotz einer enorm präsenten Hauptdarstellerin – mitunter etwas in den Hintergrund tritt.
Komödientechnisch macht dieser ARD-Wohlfühlfilm noch eine Sache etwas anders: Da trifft die völlig derangierte Heldin mit Riesenlaufmaschen in den Strümpfen und lädierten High Heels beim very britishen Business-Termin ein. Diese Situation unterläuft die Erwartungen. Das Selbstbewusstsein der Hauptfigur hebelt in diesem Moment die kleingeistigen Ängste (des Zuschauers) einfach aus. Diese Sequenz nutzt das komische Potenzial der Situation nicht aus – und die Macher tun gut daran. Denn so beschädigt diese Szene nicht die (Psychologie und Glaubwürdigkeit der) Figur. Und wir müssen einmal nicht lachen über die, die nicht so gut im System funktionieren, die nicht die Norm erfüllen, und wir müssen im Lachen einmal nicht den gesellschaftlich angefeuerten Perfektionswahn oder die angelernte Autoritätshörigkeit bestätigen. Der Witz muss also nicht im Kleinen das torpedieren, was uns die Komödie „Seitensprung“ im Großen – als Idee – näherbringen will. (Text-Stand: 13.8.2014)