Kati (Marie Leuenberger), die Jüngste einer ausgesprochen weltlichen Sippe, hat sich dafür entschieden, als Nonne einem Orden beizutreten. Der Tag der feierlichen Einkleidung steht an. Für den Rest der Familie ist es ein Tag des Abschieds. Alle sind sie gekommen. Da ist Saskia (Maria Schrader), die ältere Schwester, die es unerträglich findet, ihre geliebte Kati an Gott zu verlieren, zugleich beneidet sie sie aber um ihre klare Entscheidung. Da ist der Bruder (Felix Knopp), ein idealistischer, aber erfolgloser Verleger, gemeinsam mit seiner reizbaren Gattin (Anna Blomeier) und ihren beiden Kindern. Da ist das Familienoberhaupt Usch (Ursula Werner), eine toughe Wirtschaftsjournalistin, die besser kritisiert als Kuchen backt. Außerdem finden sich ein der Lebemann-Onkel Rolle (Jesper Christensen) mit Protzauto und blutjunger Geliebten (Lore Richter), Katis geknickter Ex-Freund (Thomas Fränzel) und später auch noch der Vater der Novizin (Klaus Manchen). Das Ritual muss gleich zu Beginn unterbrochen werden. Steigt sie womöglich doch noch aus? Noch bleibt Hoffnung und reichlich Zeit, zum Picknick ins Grüne auszuschwärmen, sich über Katis „irren“ Entschluss auszutauschen und sich mal wieder große Wahrheiten und kleine Gemeinheiten an den Kopf zu werfen.
Foto: SWR / Wolfgang Ennenbach
„Ich wollte Momente aufsuchen, in denen moderne, verwirrte Menschen mit völlig neuem spirituellem Gedankengut oder Gefühlen konfrontiert werden. Das Absurde wie die Schönheit daran.“ (Anne Wild)
„Schwestern“ beginnt wie ein frankophiler sommerlicher Wohlfühlfilm. Ein Tag auf dem Land. Ein luftiges Kammerspiel unter freiem Himmel. Im Mittelteil nimmt der Kinofilm von Anne Wild („Mein erstes Wunder“) dann Züge eines Familiendramas an, das seine Konfliktlagen nur antuscht und allenfalls wie bei der weltlichen Schwester die Konturen etwas schärft, aber keine Figur allzu kräftig ausmalt. Im Schlussdrittel kommt es schließlich, eingeleitet durch ein reinigendes Gewitter, zu einer wundersamen Wandlung: die gottlose Familie wird von transzendentalen Erscheinungen heimgesucht. Die Perspektive der Geschichte ist also nicht die der von Gott Berufenen, sondern es sind die Liebsten, die Zurückgebliebenen, die sich – wie bei einem Todesfall – Gedanken machen, vornehmlich über sich selbst. Die Geschwister der Novizin jedenfalls fühlen sich als Gescheiterte. Saskia: kein Job, kein Mann, kein Kind, fast berühmt, fast Sängerin, fast Malerin. Und der Bruder hat zwar eine – wenngleich nicht allzu pflegeleichte – Familie, aber sein Literaturverlag steckt seit Jahren in den roten Zahlen. „Ins Kloster gehen ist einfach, die Freiheit ist viel komplizierter“, sagt einmal Maria Schraders Figur, geradezu eifersüchtig auf die eigene Schwester, die ihren Weg gefunden hat. Für Wild ist das ein wichtiger Aspekt ihrer Geschichte, unsere Optionsgesellschaft und ihre Folgen: „Ein Leben unter Vorbehalt. Jede Entscheidung ist von der Angst begleitet, es könnte die Falsche gewesen sein. Freiheit lähmt, statt zu beflügeln.“
Foto: SWR / Wolfgang Ennenbach
„Als Versuch, etwas über Gottsuche zu erzählen, ohne eine Freakshow oder ein süddeutsches Idyll aufzureißen, gelingt ‚Schwestern’. Womöglich gerade, weil das Klosterleben eine Leerstelle aus klischeehaften Andeutungen bleibt. Als Komödie gerät der Film schwach, als Drama stellenweise rührselig, als Traumerzählung entwickelt er unfreiwillige Komik … Es geht um den Mut zur Entscheidung und – die gleich zu Beginn als Familienmythologie eingeführte Bienenmetaphorik, macht es immer wieder überdeutlich – die Wahl einer neuen Schwesternschaft. Vielleicht hätte weniger Bemühtheit zur Überhöhung Wunder gewirkt.“ (Ursula Scheer, FAZ)
Das Springen durch die Gattungen und Tonlagen ist konzeptionell reizvoll, aber in der Ausführung nicht immer gelungen. Der leicht-lockere Einstieg mit Wein, Kuchen und Geplauder ist für diese den weltlichen Dingen zugeneigte Familie als (undramatische) Exposition durchaus angemessen. Die Zuspitzung der Konflikte wirkt dagegen ein bisschen beliebig und fungiert letztlich mehr oder weniger nur als Intermezzo für die finale Konfrontation mit dem „Göttlichen“. Und das wird in der Art der Ausstellung zu einer Schwachstelle des Films. Aus dem poetischen Realismus der ersten 50 Minuten entwickelt sich ein Realismus, der zwar auf magische, übersinnliche Momente setzt, in seiner filmästhetischen Anmutung und überambitionierten Metaphorik (z.B. das überpräsente Bienen-Motiv) aber alles andere als magisch wirkt. Beim Weg von der Ironie zur metaphysischen Ernsthaftigkeit verläuft sich der Film in Symbolik am Rande des Kitsch. Das ist schade. Denn die Schauspieler sind erwartungsgemäß gut, vor allem Maria Schrader und Marie Leuenberger haben ein „göttliches“ Duett. Die eine spricht, die andere schweigt – und doch verstehen sie sich, fühlen miteinander und schenken dem Zuschauer ein Bild innigster Nähe. Auch die Selbstgewissheit und das Strahlen, mit dem die Novizin nach ihrem Schweigegelübde Gott das Ja-Wort gibt, ist eine emotional beeindruckende Szene. Leuenbergers kleine Gesten sagen sehr viel mehr über die Gottsuche als die überhöhten Phantasien. (Text-Stand: 20.10.2015)