Schwerkraft

Fabian Hinrichs, Jürgen Vogel, Nora von Waldstätten, Maximilian Erlenwein und die Suche nach Sinn & Freiheit: Vom Bankangestellten, der lieber Raubüberfälle begeht

Foto: Arte / ZDF / Stephanie Kulbach
Foto Rainer Tittelbach

Nach dem Freitod eines verzweifelten Kunden ist der sonst so aufgeräumte Bankangestellte Frederik runter mit den Nerven – und wird zum Einbrecher aus Leidenschaft. Von der gesellschaftlich sanktionierten „Betrügerei“, wie er sie als Banker gepflegt hat, zur verbotenen Seite des kriminellen Tuns ist es für den Helden kein weiter Weg. Die filmische Erzählung besticht durch ihre vom Doppelleben geprägte magische Tag-Nacht-Struktur. Magisch ist auch das Spiel der Unberechenbarkeit durch das überragende Schauspielertrio Hinrichs, Vogel & von Waldstätten. Der stimmige Score rundet das psychophysische Meisterwerk ab.

Frederik Feinermann ist runter mit den Nerven. Vor seinen Augen hat ein Kunde, dem er einen völlig unrealistischen Kredit aufgeschwatzt hat, sich eine Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt. Der sonst so aufgeräumte Bankangestellte, Anfang 30, fragt sich, was er da eigentlich seit sieben Jahren macht. Durch Zufall läuft ihm sein alter Musiker-Kumpel Vince über den Weg. Der ist über seine letzten sieben Jahre auch nicht glücklich. Er saß im Knast. Frederik ist fasziniert von dieser ihm fremden, unberechenbaren Seite des Lebens. Er überredet Vince, Experte für Raubüberfälle jeder Art, mit ihm ein paar Dinger zu drehen. Einige seiner Bankkunden sind die perfekten Opfer. Mit gestiegenem Selbstbewusstsein wagt er sich an seine Ex aus alten Zeiten heran, die er bereits seit längerem heimlich und obsessiv beobachtet und fotografiert. Frederik macht ihr Angst. Offenbar reizt Nadine diese Angst…

Von der gesellschaftlich sanktionierten „Betrügerei“, wie er sie als Banker mit freundlichen Worten und im feinen Zwirn jahrelang gepflegt hat, zur verbotenen Seite des kriminellen, brutalen Tuns ist es für den Helden von „Schwerkraft“ kein weiter Weg. Der Sinneswandel des vereinsamten Bankers wird initiiert durch den Selbstmord, das erste „Ereignis“ im Leben des Helden seit Jahren. Nun weiß er, dass seiner Existenz etwas „Großes“ gefehlt hat. Und Frederik sucht weiter nach dem Außerordentlichen. Der alte Freund könnte das neue Leben beschleunigen. Mit den Einbrüchen erzielt der Held eine lange nicht gekannte Freiheit. Sein Leben bekommt vorübergehend wieder einen Sinn, sein Selbstwertgefühl steigt – aber es steigert sich mitunter ins Krankhafte. Grundlos schlägt er Menschen brutal zusammen. Sein Ego steht und fällt mit seiner Angebeteten, Nadine. Beide verbindet der Traum von Island.

SchwerkraftFoto: Arte / ZDF / Stephanie Kulbach
Frederik (Fabian Hinrichs) erzählt Nadine (Nora von Waldstätten) von seiner Ohnmacht und seiner Obsession für sie. Er macht ihr Angst. Doch später sagt sie lächelnd: „Du bist die Katastrophe meines Lebens.“ Sie wollen endlich nach Island.

Begründung Max-Ophüls-Festival (2010):
„’Schwerkraft‘ funktioniert sowohl als tiefgründige Charakterstudie als auch als Drama und subversive Komödie und schafft es, trotz seiner leicht überhöhten Art des Erzählens immer geerdet und lebensbejahend zu bleiben, publikumszugänglich, unterhaltsam, spielerisch und überraschend.“

Soundtrack: Southern Culture on the Skids („Camel Walk“), Robert Forster („Let your light in, Babe“), Moe Jaksch („Psycho Mambo“); zum OST von Jakob Ilja

„Schwerkraft“ von Maximilian Erlenwein zeichnet ein schlüssiges Psychogramm. Der viel beachtete Erstling, der 2010 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde, mutet zugleich auch sehr physisch an. Die filmische Erzählung besticht durch ihre vom Doppelleben des Helden geprägte magische Tag-Nacht-Struktur. Paralysiert sitzt der Held an seinem Schreibtisch, Sekunden später befindet er sich im Kampf auf Leben und Tod. Für solche spielerisch überhöhten Lebensentwürfe braucht man passende Schauspieler: Fabian Hinrichs ist der perfekte Darsteller für diesen psychophysischen Grenzgänger zwischen Normalität und explosiver Gewalt; Nora von Waldstätten, ein Gesicht, das Geschichten erzählt und Gefühle nur andeutet, ist ideal als Objekt des Begehrens, und Jürgen Vogels Pokerface ist wie geschaffen für jenen dunklen Typus Mensch, bei dem man auf alles gefasst sein muss. Zwar haben auch solche Kinogeschichten durchaus auch ihre Gesetze – dennoch ist die weitgehende Unberechenbarkeit der Charaktere das Wunderbarste an diesem ästhetisch, dramaturgisch und darstellerisch vorzüglichen Debütfilm, dessen Stimmungen sich auch sehr stimmig im Soundtrack von Jakob Ilja (Element of Crime) spiegeln. (Text-Stand: 25.6.2011)

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Kinofilm

Arte, ZDF

Mit Fabian Hinrichs, Jürgen Vogel, Nora von Waldstätten, Jule Böwe, Thorsten Merten, Eleonore Weisgerber, Jeroen Willems

Kamera: Ngo The Chau

Schnitt: Gergana Voigt

Musik: Jakob Ilja

Produktionsfirma: Frisbeefilms

Drehbuch: Maximilian Erlenwein

Regie: Maximilian Erlenwein

EA: 25.06.2011 22:45 Uhr | Arte

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