Eine Familie auf dem Prüfstand, ein brutaler Mord, „a große Sach’“
Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen. Willy Unterkofer (Harry Baer), immer knapp bei Kasse, offenbar jahrelang als eine Art Agent für eine dubiose staatsnahe Stiftung unterwegs, wurde übel zugerichtet: niedergestochen, überfahren und danach wie von einem Schlachter aufgeschlitzt. Der Tatort liegt ganz in der Nähe vom Münchner Flughafen, der in den 1980er Jahren mehr als umstritten war. Jetzt hätte sich der todsterbenskranke Mann beinahe noch mal richtig gesund gestoßen, aber die Stiftungschefin (Leslie Malton) hat die 500.000 € dann doch lieber nicht herausgerückt. Hat ihr Mann fürs Grobe (Shenja Lacher) auch bei dem Mord die Hand im Spiel? Franz Germinger (Maximilian Brückner), tatkräftig unterstützt von seiner immer noch zum Streifendienst degradierten Schwester Anna (Marlene Morreis), bekommt es mit einem rechtsradikalen Ossi-Taxler (Robert Gallinowski) zu tun, wird von der Tochter des Toten (Peri Baumeister) geradezu zum Beischlaf genötigt und hat mal wieder Erscheinungen. Dass er ein so guter Polizist ist, darüber will bei Franz Senior (Friedrich von Thun) allerdings kein Vaterstolz aufkommen. Als er und seine Frau Erika (Gundi Ellert) „Willy Unterkofer“ hören, läuten bei ihnen alle Alarmglocken, und der Ex-Bulle macht sich sogleich auf, diesen geschichtsträchtigen Fall auf unauffällige Weise zu lösen. Und Kollege Obermaier (Jockel Tschiersch) hat gar nicht so unrecht mit der Vermutung: „Des is’ a große Sach’.“
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Ein melancholisch-ironischer Grundton zieht sich durch die 90 Minuten
Es hat den Anschein, als würde „Schwarzach 23 und die Jagd nach dem Mordsfinger“ nach dem furiosen Start der neuen ZDF-Reihe einen Gang zurückschalten. Die Presse nach dem Auftaktfilm war gut, einige Kritiker fanden den Wunsch, anders & originell sein zu wollen, allerdings übererfüllt. Der Overkill an reizstarken Momenten in „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“ hatte aber neben der Dichte der schrägen Einfälle auch mit der Bürde einer jeden Start-Episode zu tun: Die Fülle an Informationen, die Voraussetzung für die privaten Geschichten lieferten, mussten einfach sein; sie gaben dem Film ein sehr hohes Tempo und eine ungewöhnliche Dynamik. Wer den Blick mal eben vom Bildschirm wendete – der konnte glatt den Anschluss verpassen. Jetzt also geht es etwas entspannter zu am Rande der Weltstadt mit Herz. Ein melancholisch-ironischer Grundton zieht sich durch den Film von Matthias Tiefenbacher. Das liegt auch daran, dass Autor Christian Jeltsch vergangene Geschichten wiederaufleben und die 1980er Jahre im Geiste wiederaufsteigen lässt. Da sind die, die sich die letzten Gehirnzellen weggesoffen haben und das alte Münchner Schickimicki-Image in ihrem heruntergekommenen Vorstadtclub wieder etwas aufpolieren wollen. Und da sind die, die damals politisch waren, die der weißblauen Staatsmacht geharnischten Protest entgegensetzten. Bei beiden „Bewegungen“ offenbar dabei war jener Willy Unterkofer, der jetzt in der herbstlichen Morgendämmerung so gnadenlos den Tod fand.
Soundtrack: Sniff’n the Tears („Driver’s Seat“), The Kinks („Living On The Thin Line“), David Bowie („Sorrow“), Sweet („Love Is Like Oxygene“), Halsey („I Walk The Line“), John Paul Young („Love Is In The Air“), Supertramp („Give A Little Bit“), Golden Earring („Buddy Joe“), Falco („Der Kommissar“)
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Körpernahes Ermitteln, zwei Egozentrikerinnen & eine spielerische Note
Auch wenn die Familie der Germingers mehr denn je auf dem Prüfstand steht, so ruhen die Charaktere doch diesmal stärker in sich. Die krassen Kontraste bei der Figuren-Setzung wurden etwas abgeschleift. Die schmerzliche Wehmut im Blick ist ein beiläufiges Moment, das die Stimmungslage, aber auch die Mentalitäten insbesondere von Franz Junior und Franz Senior, immer wieder feinsinnig spiegelt. Maximilian Brückner und Friedrich von Thun schaffen auf diese Weise, obwohl sie nicht viele gemeinsame Szenen haben, ein emotionales Band zwischen den Rollen, wenngleich das Band zwischen Vater und Sohn im Film zu reißen droht; die beiden schlagen so gleichsam auch den Grundton des Films an. Dennoch gelingt es Jeltsch immer wieder, komische Kontrapunkte zu setzen. So verkörpern Leslie Malton und Peri Baumeister („Herbe Mischung“) zwei sehr konträre Egozentrikerinnen, deren Wesensart der Krimihandlung eine spielerische Note gibt: die junge eine narzisstisch gestörte Kokserin, der der ruhige, vernünftige Jungkommissar nicht viel entgegenzusetzen weiß; die ältere eine fiese Macht-Inhaberin, der es sichtlich Spaß macht, den moralisch-integren Ermittler zu quälen. Die perfekte Engführung von Krimi und Komödie in ein und derselben Szene, aus der sich eine Art dramaturgische „Doppelbindung“ ergibt, war schon eine der großen Qualitäten der Auftakt-Episode im Herbst 2015. Wenn der Besuch in der Wohnung des Ermordeten keine gepflegte Befragung seiner Tochter nach sich zieht, sondern sich die Szene in hektische, hysterische Überwältigungsaktionen steigert, um schließlich in eine geradezu erotisch aufgeladene Choreographie auszuufern, dann werden quasi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Da wird ermittelt mit sinnlicher Lust, in der sich zugleich mehr vom Charakter von Germinger Junior spiegelt, als wenn er nur verlegen die Schöne befragen würde. Und auch die Art und Weise, Ausländerfeindlichkeit ins Spiel zu bringen, hebt sich in diesem Film deutlich von Alibi-Szenen anderer Krimis ab: ein „Kanacke“, der vom Himmel fällt und einen Nazi erschlägt, ist zumindest ein irritierender Einfall. Ein noch originellerer Problemlösungs-Ansatz liefert der rechtsradikale Taxifahrer: Mit dem Entfernen des bei ihm festgestellten Tumors verschwindet auch seine schwer rassistische Gesinnung (indes fällt die Art, wie Robert Gallinowski seine Rolle spielen muss, unter die Kategorie „Geschmacksfrage“).
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Insider-Jokes, Casting-Coups & eine lakonisch-geschmeidige Erzählweise
Auch Regisseur Tiefenbacher will sich trotz der Humorlosigkeit vieler deutscher Zuschauer, wenn es um ihren geliebten Fernsehkrimi geht, sichtlich den Spaß nicht nehmen lassen. So runden die Gastauftritte von (Anti-)Schauspielern und Prominasen der 1980er Jahre als eine Art Insider-Jokes das Ganze ab. Wolfgang Fierek Hinz’ darf erklären, weshalb er am liebsten im Freien pieselt, Simone Rethels Theken-Schwalbe („Wackersheim“) kippt Likörchen und Christof Wackernagel, Kino-Youngster („Tätowierung“) und später RAF-Mitglied, gibt im Film einen „unsterblichen“ Schauspieler, 56 Mal durfte er die Leiche im Krimi geben. Auch die Leiche in Tiefenbachers Film verkörpert einer, der Filmgeschichte geschrieben hat und immer noch schreibt: Harry Baer, jahrelang Weggefährte und enger Vertrauter von Fassbinder und heute Chefredakteur des Internetportals Regie.de. Und dass man Familie in jeder Hinsicht bei „Schwarzach 23“ groß schreibt, zeigt sich auch an der hübschen Fußnote, dass in einer Sekunden-Rückblende in die Achtziger Friedrich von Thuns pensionierter Bulle von seinem eigenen Sohn, Max von Thun, dargestellt wird. Der spielerische Umgang findet sein Finale im Showdown, natürlich im Schatten des Münchner Flughafens. Der zitiert wie schon im Auftakt-Film kräftig Western-Motive, bleibt dabei angenehm lakonisch – und am Ende sorgen diverse Breaks dafür, dass alles dann doch ein bisschen anders kommt, als man kurz zuvor noch angenommen hatte. Überhaupt betreibt der erfahrene Krimi-Autor Jeltsch eine sehr souveräne Informationspolitik: Der Zuschauer besitzt zumeist einen gewissen Informations-Vorsprung, der diverse Vermutungen zulässt; dabei werden die Nebenschauplätze nie unübersichtlich und sie besitzen immer auch einen filmischen Reiz. Der Titel gebende „Mordsfinger“ wird erst spät ins Spiel gebracht und nicht so wirkungsvoll in Szene gesetzt wie „die Hand des Todes“ im ersten „Schwarzach“-Film. Auch das entspricht der insgesamt geschmeidigeren Erzählweise von „Schwarzach 23 und die Jagd nach dem Mordsfinger“.