„Was mir da entgegenschlägt, ist das reine Böse. Es muss etwas passieren – schnell!“, hat die penible Clea Patrizia Gerbel (Katja Studt) in einem Tagebuch notiert. Es ist das Protokoll einer endlosen Reihe von Schikanen gegen ihre Person. Der, der ihr das Leben schwer machte, ist ihr Nachbar Marlon Ortlieb (Hendrik Arnst). Jetzt liegt sie tot in ihrer Küche. Herzstillstand nach schwerer Kopfverletzung, steht im Polizeibericht. Seine Tochter (Monika Oschek) hat Zweifel: fromm und lieb sei er, und er habe Angst, Menschen zu berühren; so einen Mord könne ihr Vater niemals begehen. Das könnte ein Fall für die Detektei Schwartz sein, denkt sich Kommissarin Iris Doppelbauer (Brigitte Hobmeier), nachdem ihre neue Chefin Karin Lichtness (Nina Kunzendorf) die Einwände der Tochter arrogant und selbstgefällig abtut. Als Mads (Golo Euler) erfährt, dass Lichtness, seine ehemalige Ausbilderin, den Fall bearbeitet, ist er plötzlich Feuer & Flamme dafür, die Verteidigung des in der Öffentlichkeit zur „Bestie“ gestempelten Ortlieb zu übernehmen. Bei einem ersten nächtlichen „Ortstermin“ zeigen sich bereits Ungereimtheiten. Ein Penisring lässt darauf schließen, dass Gerbel am Tag der Tat Männerbesuch hatte. Und welch sonderbarer Zufall, dass Karin Lichtness bei der Toten gleich gegenüber wohnt und mit ihr befreundet war – wie eine Reihe anderer Nachbarn, die sich regelmäßig zu einem Stammtisch trafen und sich darin einig waren: „der Irre“ weg muss.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Dieser in der Tat verhaltensauffällige Mann passt der Kommissarin gut ins Konzept. Auf ihrem privaten Internet-Kanal macht sie auf freundliche Polizistin, die um das Wohl der Bürger besorgt ist; in Wahrheit ist sie eine ehrgeizige Hardlinerin in Sachen Verbrechensbekämpfung, die in die Politik will. Das Mordmotiv ist für sie eindeutig, die „Sachlage“ ihr aus eigener Vor-Erfahrung bekannt, den Rest übernehmen ihre Vor-Urteile – weshalb da noch groß ermitteln?! Und so bekommt das Detektiv-Duo „Schwartz & Schwartz“ seinen dritten Fall. Zu Beginn von „Wo der Tod wohnt“ sind die Brüder noch gezeichnet von den Ereignissen aus den vorhergehenden Episoden. Andi wirkt nach einer Gehirnblutung angeschlagen und vertreibt sich in der Spielhalle mit Hochprozentigem seine Zeit. Der unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassene Mads hat es auch nicht leicht: statt systemrelevant zu ermitteln, muss er sich mit Security-Jobs herumschlagen; und dann noch diese Kommissarin, der er nicht über den Weg traut und die ihn einst gedemütigt hat. Plötzlich ist es wieder da, dieses „aus dir wird nie ein guter Polizist“. Selbst seine Frau Jasmin (Cornelia Gröschel) mutiert zur Drama-Queen: „Lass es“, herrscht sie ihn an, mit einer wie Lichtness lege man sich nicht an, und sie zwingt Mads zu einem Versprechen, das er nicht halten kann.
„Wo der Tod wohnt“ ist ein rundum beglückender Film: Story und Milieu originell, die Geschichte klar, konzentriert und Charakter-gesteuert, die Dialoge knapp und informativ, durchaus mit feinen ironischen Untertönen, aber nie gewollt oder gar aufgesetzt pointiert. Dazu eine Dramaturgie mit klug kombinierten Gegensatzpaaren Bruder vs. Bruder, Detektei vs. Polizei, moralische vs. populistische Polizistin – das ergibt Krimi-Unterhaltung für gehobene Ansprüche. Das erste Pfund ist das durchgängige Quartett der Reihe: die Gebrüder Schwartz, Ehefrau Jasmin und „Spionin“ Iris Doppelbauer, Mads ehemalige Kollegin bei der Polizei. Hier kann jeder mit jedem, immer wieder wechseln die Zweierkonstellationen, und weil die Protagonisten in verschiedenen Systemen (Polizei, Privatermittlung, Familie) agieren, kann es immer wieder zu Rollen-Kollisionen kommen. Das dürften Überlegungen gewesen sein, die sich die Erfinder der Reihe, Alexander Adolph & Eva Wehrum, bei der Entwicklung von „Schwartz & Schwartz“ gemacht haben. Der Krimi um die falsche „Bestie“ von nebenan, überführt nun die kluge Theorie in eine noch perfektere Praxis. In dieser dritten Episode, bei der Grimme-Preisträger Adolph auch erstmals bei der Reihe Regie geführt hat, wirkt alles bis ins Detail wohlüberlegt. Harmonisch in die Handlung integrierte Flashbacks veranschaulichen das Vergangene: So gelangt der Polizeibericht per Telefon von der „Spionin“ zu Mads und mittels Rückblende zum Zuschauer. Und wenn der Trickser-Bruder mit seiner Schwägerin gemeinsame Sache macht, wird es besonders köstlich: Da tischt Jasmin im Dresdner Platt & mit gespielter Naivität der bürgernahen Kommissarin ein Märchen auf, dass es eine wahre Freude ist. Für Falschspiele solcher Art ist ansonsten der unsolide Bruder zuständig: Andi schlüpft gerne in fremde Rollen, gibt sich aus als Versicherungsvertreter, als Kommissar, und er zieht sich sogar einmal die Soutane eines Priesters über und verschafft sich so Zugang in die forensische Abteilung der JVA, um den mutmaßlichen, sehr verwirrten Täter zu befragen.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Das alles muss man auch spielen können! Das Ensemble der Reihe ist nicht nur hochkarätig besetzt, sondern die Macher wissen auch mit dem speziellen Können eines Devid Striesow, seiner unbändigen Lust am Spiel, oder einer Brigitte Hobmeier und ihrem Hang zur schön geheimnisvollen Reduktion etwas anzufangen. Und sie verstehen es auch, dass die Qualitäten der zwar äußerst erfahrenen, aber (innerhalb der Branche) noch nicht so hochgeschätzten Kollegen Golo Euler und Cornelia Gröschel zum Tragen kommen: Beide wirken sympathisch und nahbar, sind gut geeignet als Identifikationsfiguren; aber Euler trifft zudem ernsthaft-melancholische Töne wunderbar, und Gröschel, die in dieser Reihe und in ihrer durchaus ausbaufähigen Rolle womöglich besser aufgehoben ist als im „Tatort“ als Kommissarin, besitzt großes komödiantisches Talent. Mit allen vier Charakteren, die sich nicht wie in anderen Krimis hinter ihrer Dienstmarke verstecken können, fiebert man als Zuschauer in brenzligen Situationen ständig mit. In welches Fettnäpfchen wird Andi treten? Wird er sich um Kopf und Kragen reden? Fliegen die illegalen Aktionen auf? Veredelt wird die Besetzung diesmal noch durch die großartige Nina Kunzendorf: Bemerkenswert, dass ihre sich volksnah gebende, stets freundliche, immer zugewandte Kommissarin ihre „Rolle“ fast den gesamten Film lang durchhält. Nur, wenn sie ohne Vorwarnung auf die flüchtenden Einbrecher-Brüder schießt, zeigt sie ihr wahres Gesicht. Außerdem legt Thomas Schmauser einen großartig ambivalenten, geradezu kultverdächtigen Kurzauftritt in breitem Fränkisch hin.
In Erinnerung bleiben aber auch szenische und filmische „Specials“. Grandios gleich der Beginn. In der ersten Einstellung sieht man einen Saugroboter, der sich flott über Teppichboden und Parkett auf den Weg macht. Zwischendurch nimmt die Kamera die Perspektive dieses kleinen Wirbelwinds ein: in Schwarzweiß und digital leicht verfremdet – so erkennt man zunächst nicht die Sauerei, derer sich der treue Helfer der Hausfrau zu bemächtigen versucht. Nach 50 Sekunden ist der Fall klar: Da liegt eine Tote – und dieser Saugroboter eignet sich nicht gut als Blutsauger. Nicht weniger originell der Rest dieser Szene: Der sensible Staubsauger will nicht mehr und sucht das Weite. Eine Nachbarin findet ihn auf der Straße – und schaut mal nach dem Rechten. Dazu „fliegt“ die Kamera in die Vogelperspektive und zeigt, wie die Frau um das Haus herum zum Terrasseneingang geht. Es folgt der zu erwartende Schrei. Sehr gelungen sind auch die beiden nächtlichen Tatort-Begehungen: Beim ersten Mal bringt Andis Unpässlichkeit die Aktion in Gefahr, beim zweiten Mal geraten die Brüder sogar in eine lebensbedohliche Lage. Das ist Hochspannung mit der Option zum Schmunzeln – und inszeniert ist das Ganze ebenso emotional wirkungsvoll wie atmosphärisch: Das konkrete Bedrohungsszenario löst Adolph höchst reizvoll in einer einminütigen Einstellung filmisch auf. Und auch der Kriminalfall verzichtet auf finale Knalleffekte. Alles bleibt dezent, zurückhaltend, ein bisschen ironisch – und eine bittere Wahrheit wird von Kunzendorf überfreundlich weggelächelt… Echt beglückend!