Mads Schwartz kriegt „seinen ersten Mord“, doch sein Bruder Andi funkt dazwischen
Mads Schwartz (Golo Euler) hat sich beim Kriminaldauerdienst seine Sporen verdient und ist für einen Fall an die Mordkommission ausgeliehen. Macht er eine Sache gut, darf er bleiben. Das couragierte Auftreten des KDD-Beamten im Haus des Prominentenarztes Dr. Jasper (Ulrich Noethen) war ausschlaggebend für die Beförderung. Mads sieht einen Anfangsverdacht für häusliche Gewalt und hat deshalb aufwändige Beweissicherstellungen angeordnet, um den als Wohltäter in der Öffentlichkeit gefeierten Mediziner möglicherweise den Mord an seiner Frau nachzuweisen. Der Frauen- und Kinderarzt kontert mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Doch der junge Kommissar ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, denn zu Hause hat er eine ihn liebende Frau, Jasmin (Cornelia Gröschel), und zwei Kinder, die sein ein und alles sind. Sorgen bereitet ihm nur seine Ursprungsfamilie: der bärbeißige Vater (Michael Hanemann), der im Krankenhaus liegt und Jasmin mit sexistischen Sprüchen dumm anmacht; besonders suspekt aber ist ihm sein Bruder Andi (Devid Striesow), sein Gerede von seiner super erfolgreichen Security-Firma, seine Freundlichkeit, seine Entschuldigungen. Und weshalb nistet er sich bei ihm ein? Dabei spielt er die Rolle des großen Bruders und kinderliebenden Onkels gar nicht mal schlecht. In Wahrheit aber hat er einen Plan, den Mordfall betreffend. Er kannte die Tote (Petra van de Voort), und nun überwacht er seinen Bruder. Befürchtet er, dass der seine Arbeit nicht gut macht? Misstrauisch ist auch die vom Fall abgezogene Kommissarin Iris Doppelbauer (Brigitte Hobmeier): Was hat dieser junge Kollege, was sie nicht hat? Weshalb hat Kripo-Chefin Petra Steinle (Lisa Martinek) den unerfahrenen Mann ihr vorgezogen? Irgendwas ist hier oberfaul – und bald hat auch noch Andi sich und seinen Bruder in eine gefährliche Situation hineinmanövriert.
Foto: ZDF / Manju Sawhney
Der erste Fall der neuen ZDF-Krimireihe langweilt nicht mit dem 9999. Whodunit
„Fass mich nicht an, du verlogenes Arschloch“, faucht der betrunkene Sohn (Matti Schmidt-Schaller) seinen Vater in der Mordnacht kurz nach dem Tod der Stiefmutter an. Der Noch-KDD-Beamte registriert den Ausraster und er macht sich so seine Gedanken. „Schwartz & Schwartz“, die neue ZDF-Samstagskrimireihe, langweilt einen nicht mit dem 9999. Whodunit, sondern lässt frühzeitig erkennen, dass dieser honorige Weißkittel offensichtlich Dreck am Stecken hat. Ulrich Noethen spielt ihn so arrogant und autoritär, dass man sich als Zuschauer schon insgeheim darauf freut, wie dieser Goliath – hoffentlich – vom kleinen David vorgeführt wird. Vielleicht ist er sogar der Mörder seiner zweiten Frau. Seine erste jedenfalls soll er „zu Tode perfektioniert haben“, steckt der ständig alkoholisierte Jasper-Sohn Andi Schwartz, der sich das Vertrauen des labilen jungen Mannes erschlichen hat. Möglicherweise könnte sich aber der Jungkommissar auch so sehr in diesen Fall verbeißen, dass er über das Ziel hinausschießt und die längste Zeit Kommissar gewesen ist. Redakteur Günther van Endert jedenfalls spricht in der Pressemappe, die online jedem interessierten Leser zur Verfügung steht, von „zwei Detektiven“. Das scheint der Ausblick zu sein auf die zweite Episode, die in diesen Tagen gedreht wird. Wie „Mein erster Mord“ auch weitergeht – die Spannung, die der Auftaktfilm aufbaut, geht auf keines der üblichen Krimi-Handlungsmuster zurück: weder resultiert sie aus der Tätersuche noch aus einem offen geführten Duell zwischen einem Antagonisten und einem Protagonisten. Der Reiz liegt vielmehr in einem doppelten Gegeneinander der Hauptcharaktere; aber auch der mächtige Verdächtige sieht sich gleich zwei „Gegnern“ gegenüber. Es fragt sich allein, wer am Ende die meisten Asse im Ärmel hat.
Hohes Potenzial für emotionale Anteilnahme: ambivalente Figuren sind besonders sexy
Fernsehkommissare geraten im Laufe ihrer zahlreichen TV-Fälle immer mal wieder in Lebensgefahr („Bella Block – Am Abgrund“) oder sie geraten unter einen Verdacht (Prohacek, Batic, Falke), der ihnen ein Leben hinter Gittern bescheren könnte. Obwohl die Schwartz-Brüder erst wenige Minuten auf dem Bildschirm sind, ist ihr Potenzial für emotionale Anteilnahme, für das Mitfiebern, das Mitleiden des Zuschauers überaus groß. Diese beiden Brüder haben unser vollstes Mitgefühl, vielleicht gerade auch, weil sich die mögliche Gefährdungssituation noch nicht im Kontext einer langlebigen Reihe als Ritual verstehen lässt. Sicherlich aber auch, weil Golo Eulers Kommissar ein so integrer, netter Mensch ist, der seinen Ermittlungsweg klar verfolgt, kleine Unsicherheiten inklusive, und weil dessen „Gegner“, die Noethen-Figur, ein Ekel ist. Aber auch Andi Schwartz dürften die Sympathien sicher sein, obgleich seine Methode, den eigenen Bruder zu verwanzen und abzuhören, moralisch fragwürdig ist. Devid Striesow spielt ihn als Getriebenen, als vereinsamten Mann, halb Privatdetektiv, halb Trickbetrüger, und da er es offensichtlich gut meint und seine Verbundenheit mit dem Bruder und seiner fröhlichen Familie auch immer wieder spürbar wird (bei der Umarmung der Brüder strahlt Striesow glücklich in Richtung Kamera), gehört die berechtigte Sorge um diesen notorischen Chaos-Macher zum empathischen Spannungskonzept dieses besonderen Krimis. Offenbar kommen nach den traumatisierten und soziopathisch veranlagten Ermittlern nun die moralisch ambivalenten Krimi-Hauptfiguren auch hierzulande an die Reihe. Iris Berben macht(e) im ZDF den Anfang in der Mini-Serie „Die Protokollantin“, und jetzt gibt Devid Striesow die dunkle Seite eines Brüdergespanns in einer Reihe, auf dessen Fortgang man gespannt sein darf. Antworten auf die Frage, was zwischen den Brüdern vorgefallen ist und ihre Beziehung belastet(e), sind in Episode 2 zu erwarten.
Foto: ZDF / Manju Sawhney
Gute, stimmige Besetzung & Autoren, die so manche Top-Reihe auf den Weg brachten
Devid Striesow (Jahrgang 1973) und Golo Euler (Jahrgang 1982) sind ein vortreffliches Gespann. Beide haben sich über Jahre fleißig und rasch bessere und größere Rollen erpielt, werden sowohl im anspruchsvollen Mainstream-TV als auch im Arthaus-Kino gern besetzt. Vieldreher Striesow hat Euler rund 10 Jahre und 50 Filme voraus, darunter auch einige Krimi-Megaflops, gemeint sind seine ersten „Tatort“-Episoden aus dem Saarland. Deutlich gefrustet zog der Ausnahmemime die Reißleine. „Schwartz & Schwartz“ mit dieser ungewöhnlichen Konstellation für eine Krimi-Reihe und mit dieser wirkmächtigen Spannungsdramaturgie ist da ein ganz anderes Kaliber. Idee und Drehbuch gehen auf das Konto von Alexander Adolph und Eva Wehrum, die auch Ko-Produzenten sind. Beide haben „München Mord“ entwickelt, der doppelte Grimme-Preisträger hat darüber hinaus die Senta-Berger-Reihe „Unter Verdacht“ (2002) und das Millowitsch-Schönemann-Doppel „Marie Brand“ (2008) erfolgreich fürs ZDF auf den Weg gebracht. Adolph ist kein Bauchschreiber, er arbeitet mit feinem Auge im Kleinen und struktureller Akribie im Großen. Und es gibt Themen, die sich durchziehen: Spiel, Trickserei, Manipulation sind beliebte Motive in seinen dicht konstruierten Geschichten, zuletzt meisterlich variiert in „Der große Rudolph“. In „Schwartz & Schwartz“ ist es Striesows Figur, die die Grenzen des Erlaubten überschreitet und deren Lügen- und Betrügen-Spielen in einer Art Flow gipfelt. Die Frechheit, mit der dieser Mann, der in einer Garage haust, seinen Plan verfolgt, besitzt für den Zuschauer etwas Faszinierendes: Mal entlockt einem diese Figur ein wohliges Schmunzeln, mal nötigt sie dem Zuschauer tiefes Mitleid ab. Dieser Andi Schwartz ist keine Kopfgeburt, keine papierne Autoren-Erfindung für eine neue Krimi-Reihe, nein, dieser Mann wirkt echt, da spürt man gelebtes Leid und eine zwanghafte Lust am Rollenwechsel. Striesow war schon einmal für Alexander Adolph der Mann, der die gefährlichen Geschäftsideen liebt, in seinem ersten tragikomischen Kinofilm „So glücklich war ich noch nie“ (2009), dem Porträt eines ebenso begnadeten wie liebenswerten Betrügers. Eine Vorstudie für diesen Spielfilm ist Adolphs exzellenter Dokumentarfilm „Die Hochstapler“ (2006). Ein Jahrzehnt später ist die Zeit nun endlich auch reif für einen Hochstapler in einer TV-Reihe zur Primetime. Regisseur Rainer Kaufmann hat mit den Schauspielern und seiner Inszenierung dem Buch emotional in alle Richtungen Raum gegeben: Und so ist „Mein erster Mord“ gefühlt ein sehr vielschichtiges Vergnügen.
Die (weibliche) Restbesetzung kann sich ebenfalls sehen lassen:
Auch Cornelia Gröschel („Honigfrauen“) als der Sonnenschein im Hause Schwartz passt wunderbar in den Cast, zu dem mit Brigitte Hobmeier („Die Hebamme – Auf Leben und Tod“) als übellaunig kluge Kommissarin und Lisa Martinek („Die Heiland“) als umso strahlendere und schwäbelnde Kripo-Chefin noch zwei weibliche Hochkaräter gehören. Ob Gröschel – über den zweiten Film hinaus – dabeibleibt? Es wäre zu hoffen. Bekanntlich wird die 30-Jährige ja als Nachfolgerin von Alwara Höfels „Tatort“-Kommissarin in Dresden. Und von Hobmeier und ihrer kantigen, leicht absurd (inter)agierenden Depri-Figur wird sicherlich in Zukunft noch mehr zu erwarten sein als bisher.