Schuld nach Ferdinand von Schirach – Staffel 2: Das Cello

Josefine Preuß, Hofmann, Bleibtreu, Grosse, Salonen. Brüderchen & Schwesterchen

Foto: ZDF / Julia Terjung
Foto Rainer Tittelbach

In „Schuld – nach Ferdinand von Schirach“ steht die Beurteilung der verbrecherischen Tat im Zentrum der mittlerweile zehn Serien-Einzelstücke. Feste Größe ist Anwalt Kronberg, überaus sympathisch von Moritz Bleibtreu gespielt. „Das Cello“ erzählt die emotional berührendste Geschichte der vier neuen 2017er-Episoden. Was mit dem finsteren Märchen-Topos zweier schicksalhaft ausgestoßener Geschwister beginnt, entwickelt sich zu einem klassischen Melodram: Psychologisch, emotional & ikonografisch ist dieser 45-Minüter enorm dicht. Josefine Preuß zeigt eindrucksvoll, dass man sie nicht mit „Lotta“ verwechseln darf.

Eine junge Frau hat ihren Bruder getötet. Vor der Polizei und ihrem befreundeten Anwalt Friedrich Kronberg (Moritz Bleibtreu) legt Theresa Tackler (Josefine Preuß) ein umfassendes Geständnis ab. Sie erzählt die Geschichte ihrer gemeinsamen Kindheit und ihrer Jugend in einem emotional kalten Elternhaus ohne Mutter und mit sadistischem Vater (Juergen Maurer). Der zwei Jahre jüngere Leonhard (Louis Hofmann) hatte nichts außer ihr, Theresa hatte immerhin die Musik, sie spielt meisterlich Cello. Als die beiden endlich den Absprung von ihrem despotischen Vater schaffen, zerstört ein Unfall das kurze Glück. Schwere Gehirn-Schädigungen machen Leon zum Pflegefall. Aufopferungsvoll kümmert sich die Schwester um ihren geistig und körperlich behinderten Bruder. Ihre Tat begründet sie mit folgenden Worten: „Ich hatte mich abgefunden mit meinem Leben, mit Leons Krankheit. Manchmal konnten wir uns ja trotz allem noch nah sein. Aber die Vorstellung, dass er die Sprache verlieren würde und wir irgendwann nicht mehr miteinander reden würden, das war zu viel.“ Und dann mixt sie Schlaftabletten und ertränkt Leonhard sanft & in zärtlicher Umarmung.

Schuld nach Ferdinand von Schirach – Staffel 2: Das CelloFoto: ZDF / Julia Terjung
Fürs Familienalbum – dabei sind die Thacklers wegen ihres despotischen Vaters alles andere als eine Vorzeigefamilie. Josefine Preuß, Juergen Maurer & Louis Hofmann

Die vier neuen Episoden der ZDF-Reihe „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach – „Kinder“, „Anatomie“, „Das Cello“, und „Familie“ – schließen mit dem gleichen narrativen Konzept und denselben filmischen Qualitätsstandards an die ersten sechs Filme an. Erzählt werden Lebensgeschichten als faszinierende Miniaturen, die auf das Wesen eines Menschen und auf das Wesentliche einer Erzählung reduziert sind. Die Schauspieler, allen voran Moritz Bleibtreu, sind namhaft, und ihr Spiel ist konzentriert. Die Zeitebenen verschmelzen wie von Geisterhand miteinander, Situationen werden häufig assoziativ montiert. Mit ihren Auslassungen, Andeutungen und symbolischen Verdichtungen ähneln diese 45-Minüter der Art, wie Rock- und Popsongs ihre Geschichten erzählen. Und wie meistens in Moovie-Produktionen gibt es viel zu gucken und zu entdecken.

„Das Cello“ erzählt die emotional berührendste Geschichte der vier neuen Episoden der Ausnahmeserie „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach. Was mit dem finsteren Märchen-Topos zweier schicksalhaft (aus Kaltherzigkeit, nicht Armut) ausgestoßener Geschwister beginnt, entwickelt sich zu einem klassischen Melodram. Unfall, Krankheit, Tod – und zwi-schenzeitlich der Schlussakkord einer Liebe, die in der Zeit ohne die Krankheit offenbar rein war wie die Liebe der Kinder. Auf der Zielgeraden aber übernimmt der Sohn, der vom Vater für sein zartes, schmächtiges Äußeres („Was bist du für eine verweichlichte Tunte!“) verachtet wurde, vieles vom Wesen seines verhassten Erzeugers. Und das Cello wird für den Jungen zur letzten (triebgesteuerten) Möglichkeit der Erinnerung und auf der anderen Seite für seine Schwester zum Instrument der Demütigung. Immer und immer wieder muss sie für ihn den Bogen streichen. „Ich will, dass du für mich spielst, du blöde Nutte“, schreit er sie an, wenn sie sich verweigert. Die latente, verdrängte Sexualität der Jugendjahre bricht in der Krankheitsphase direkt und ohne jedes Anstandsgefühl aus dem Jungen heraus. Dass Theresa nackt für ihn spielen muss, ließe sich durchaus auch als Metapher für noch größere Intimität zwischen Bruder und Schwester lesen. Der Kontrast zur Unschuld der Jugendjahre jedenfalls ist groß – und was Josefine Preuß alles an elementaren Emotionen zu spielen hat und wie sie, von der man annahm, dass die „Lotta“-Reihe ihrer schauspielerischen Bestimmung am nächsten käme, dies meistert, das zeugt von großem Verständnis fürs Melodram. Auch Louis Hofmann bleibt in Erinnerung – und einzelne Bilder: Brüderchen und Schwesterchen, Hand in Hand, im Rücken des Vaters, die Szene der „Erlösung“ in der Badewanne oder diese Totalen der Verzweiflung, in denen die Cello spielende Schwester zum Sex-Objekt wird. Fazit: Psychologisch, emotional & ikonografisch die dichteste Episode der 2017er-„Schuld“-Reihe, auch, weil sie am nähesten an der Hauptfigur dran ist. (Text-Stand: 12.8.2017)

Schuld nach Ferdinand von Schirach – Staffel 2: Das CelloFoto: ZDF / Julia Terjung
Mord oder Erlösung? Nicht nur das Schicksal von Leonhard (Louis Hofmann) vor und nach seinem Unfall geht zu Herzen; auch was Theresa (Josefine Preuß) zu durchleiden hat, die ihren körperlich und geistig behinderten Bruder aufopferungsvoll pflegt, berührt zutiefst.

Die sechs Filme der ersten Staffel von „Schuld“ (2015)
„Der Andere“: Ein Ehepaar lässt sich auf nicht ungefährliche sexuelle Praktiken ein: die Frau schläft mit anderen Männern und ihr Mann filmt sie dabei. Die Gier nach dem Kick endet mit einer Anklage wegen versuchten Mordes. „Schnee“: Einem alten Mann, in dessen Wohnung Drogen gestreckt und abgepackt werden, droht eine hohe Haftstrafe wegen Drogenhandels „unter Mitführung einer Waffe“. Er schweigt, weil ihm das Glück einer jungen Frau wichtiger ist als seine Freiheit. „Ausgleich“: Eine Ehefrau wird über Jahre von ihrem Mann misshandelt und vergewaltigt. Dann ist der Peiniger plötzlich tot, ihm wurde nachts im Schlaf der Kopf eingeschlagen. Ein klarer Fall von Heimtücke? „Die Illuminaten“: Ein Junge wurde in einem Internat über Jahre gemobbt. Endpunkt ist eine tragische Dämonen-Austreibung. Das Fatale: der Teenager fühlt sich schuldig und willigte in das grausame Ritual ein. „DNA“: Ein junges Obdachlosen-Pärchen tötet in Panik einen Mann, beklaut ihn und gibt seinem Leben mit dem Geld eine glückliche Wende – bis die forensische Wissenschaft dem Familienglück ein Ende zu bereiten droht. „Volksfest“: Unbemerkt vergewaltigen die Musiker einer Showkapelle während eines Volksfests eine Kellnerin. Einer der neun Männer ist unschuldig. Wird die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten die Tat nachweisen können?

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Josefine Preuß, Louis Hofmann, Moritz Bleibtreu, Juergen Maurer, Nadine Wrietz, Tim Wilde, Anton Weil, Judith Engel

Kamera: Wolf Siegelmann

Szenenbild: Alexandra Pilhatsch

Kostüm: Nici Zinell

Schnitt: Simone Sugg-Hofmann

Musik: Richard Ruzicka

Produktionsfirma: Moovie

Drehbuch: Nina Grosse

Regie: Hannu Salonen

Quote: 4,55 Mio. Zuschauer (16,4% MA)

EA: 29.09.2017 21:15 Uhr | ZDF

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