Schönes Schlamassel

Altenberger, Mehmet, Wagner, Myhr, Probst, Murnberger. RomCom für Erwachsene

Foto: BR / Stephan Schaar
Foto Rainer Tittelbach

Zwei beste Freundinnen und zwei beste Freunde lernen sich kennen. Ein Single-Viererdate, mit dem am Ende jeder zufrieden ist. Doch ausgerechnet der sonst so korrekte Frauenarzt, der stets sein Licht unter den Scheffel stellt, hat sich zu einer Notlüge hinreißen lassen: Er gibt sich als Jude aus, weil er weiß, dass er so bei der schönen Buchhändlerin, die mit ganzem Herzen Philosemitin ist, so am besten landen kann. Doch es droht eine Bruchlandung. „Schönes Schlamassel“ (Conradfilm, Bavaria Fiction) ist eine Romantic Comedy mit gesellschaftspolitischem Subtext. Die Heldin ist aus gutem Grund dem Judentum zugeneigt – als eine Art persönliche Wiedergutmachung für die Verfehlungen ihrer Familie. Die RomCom-Standards explizit mit dem Philosemitismus- und implizit mit dem leider wieder aktuell gewordenen Antisemitismus-Thema aufzuladen, funktioniert ausgesprochen gut in dieser BR/ORF-Koproduktion. Aber auch ohne den politischen Mehrwert ist der Film von Wolfgang Murnberger eine ganz prächtige Komödie. Quirlig, ironisch, sexy – die vier Hauptdarsteller sind in bester Spiellaune. Vor allem Altenberger darf alle Register des Genres ziehen mit einem Charakter, der dichter, abwechslungsreicher und wandlungsfähiger ist als die meisten Drama-Rollen. Der Film hat Witz, Ironie, Drive, und die Dialogwechsel sind köstlich.

Zwei beste Freundinnen und zwei beste Freunde lernen sich kennen. Ein Viererdate, mit dem am Ende jeder zufrieden ist. Die vier leben in München, sind zwischen Anfang 30 und Anfang 40 und derzeit Single. Jeder von ihnen weiß, was er will, der eine oder die andere vielleicht sogar ein bisschen zu genau. Die Philosemitin Anne (Verena Altenberger) ist nicht nur Inhaberin eines auf jüdische Literatur spezialisierten Buchladens, sondern sie würde sich auch gern in einen Juden verlieben. Ihre Freundin Laura (Lisa Wagner) ist da weniger dogmatisch, besonders bei der Wahl ihrer Männer. Der promiske Notfallarzt Tobias Feinstein (Lasse Myhr) liegt sexuell ganz auf ihrer Wellenlänge. Eigentlich hatte ihn sich ja Anne ausgeguckt – denn da war er nun zum Greifen nah, endlich, der langersehnte Jude als Liebesobjekt. Doch Tobias ist weder Bücherwurm, noch pflegt er seine jüdischen Wurzeln. Dafür könnte sein bester Freund Daniel (Maxim Mehmet), Marke Klammeraffe und Kommunikationslusche, in den Genuss kommen, der Herzensmensch der schönen Buchhändlerin zu werden. Alles beginnt mit einem Joke: Die angeheiterte Laura will offensichtlich etwas Schwung in das anfangs etwas dröge Vierertreffen bringen – und gibt zum Besten, dass ja auch Daniel Jude sei – oder etwa nicht? „Was sonst!“, rutscht es dem Gynäkologen heraus. Eine Antwort mit Folgen. Nun sieht man förmlich die Herzchen in Annes Augen tanzen. Und als der falsche Jude auch noch einen Sirtaki aufs Parkett legt, ist klar: Auch diese beiden werden sich wiedersehen…

Schönes SchlamasselFoto: BR / Stephan Schaar
Ironisch, lebenslustig, sexy – das ist die eine Seite von Anne (Verena Altenberger), Sie hat Frühstück serviert, und Daniel (Maxim Mehmet) schafft es wieder nicht, ihr die Wahrheit zu sagen.

Zwei Solo-Dialogwechsel der Paare beim Vierertreffen
Laura: „Eine Vorwarnung – ich bin in einer Beziehung.“ Tobias: „Das hätte ich jetzt nicht zwingend in deinen Augen gelesen.“ Laura: „Er ist verheiratet.“ Tobias: „Ich bestehe auf keine Exklusivrechte.“

Anne: „Gute Stimmung hier.“ Daniel (gehemmt): „Ja, find ich auch. (Pause) Und was machst Du so – beruflich.“ Anne: „Buchladen.“ Daniel: „Dann liest du bestimmt viel.“ Anne: „Ja, schon viel … Weißt du, wo die Toiletten sind?“

„Schönes Schlamassel“ ist eine Romantic Comedy für Erwachsene – sprich: mit gesellschaftspolitischem Subtext. Die Heldin ist nicht ohne Grund dem Judentum zugeneigt. Als eine Art persönliche Wiedergutmachung versteht sie ihren Buchladen mit jüdischem Sortiment und ihr ehrenamtliches Engagement in einem jüdischen Altenheim. Ihre Großeltern sind durch den Handel mit Wertgegenständen aus Deutschland flüchtender Juden im Zweiten Weltkrieg zu Reichtum gelangt. Annes Eltern haben den Kunst- und Antiquitätenhandel übernommen, ohne dabei auch nur einen Gedanken an die deutsche Geschichte zu verlieren. Anne indes will nicht vergessen, ein bisschen postpubertäre Anti-Haltung den dominanten Eltern gegenüber scheint auch mit im Spiel zu sein. Die kritische Haltung der weiblichen Hauptfigur schwingt auch in der Liebe mit – selbst im Bett stellt Anne gern mal eine jüdische Gretchenfrage. Diese leicht bipolare Wesensart ist ein Faszinosum des Films von Wolfgang Murnberger (Ko-Autor: Peter Probst): Da ist diese attraktive, junge Frau, witzig, ironisch, spontan – und dann kommt da plötzlich diese ernste, strenge Art zum Vorschein. Entsprechend charakterisiert auch Verena Altenberger die Figur: „Anne ist liebenswert, aber sie ist auch stur, teilweise zu engstirnig und ein bisschen zu sehr verrannt in ihre eigenen vermeintlichen Ideale. So wird sie auch manchmal blind für die Menschen und die Welt um sie herum.“

Schönes SchlamasselFoto: BR / Christof Arnold
Ernst, streng, dogmatisch – das ist die andere Seite der schönen Buchhändlerin. Das nervt nicht nur Daniel, gewöhnungsbedürftig ist Annes Haltung auch für den Zuschauer – und das ist auch so beabsichtigt. Verena Altenberger & Maxim Mehmet

„Hauptfigur Anne schwärmt so fürs Judentum, dass sie meint, nur mit einem jüdischen Mann glücklich werden zu können. Aber dahinter steckt die universelle Haltung eines voreingenommenen Blickes, der dazu führt, dass wir alle, tagein tagaus, andere Menschen in Schubladen stecken und nur das erkennen, was wir erkennen wollen.“ (Marc Conrad, Produzent & Ideengeber)

„Ein Plädoyer für die Liebe und gegen Vorurteile – denn auch wenn diese positiv gemeint sind, beeinflussen sie unser Denken und Handeln und lassen uns vergessen, dass alle Menschen gleich sind.“ (Maren Knieling, Produzentin)

Welcher Partner will schon gern übersehen werden? Oder nur als Mitglied eines Volkes, einer ethnisch-religiösen Einheit oder als einer sozialen Gruppe wahrgenommen werden? Die männliche Hauptfigur Daniel möchte um seiner selbst Willen geliebt werden: Seine Ex hat sich verknallt in den Arzt und die Neue braucht als Fetisch die Juden-Schublade. Der dramaturgische besondere Kniff der Geschichte: Indem man eine Frau, die übertrieben fürs Judentum schwärmt, zur Hauptfigur macht, kann die deutsch-jüdische Vergangenheit angesprochen werden, ohne dass der Film den Ruch des Gutgemeinten bekommt und sich zum moralischen Sprachrohr aufschwingen muss. Diese Aufgabe übernimmt die ebenso faszinierende wie anstrengende Philosemitin. Und diese trotz eindimensionaler Schwärmerei fürs Jüdische vielschichtige Figur, dazu von Altenberger hinreißend wie immer gespielt, ver-kraftet durchaus Sätze wie „Ich finde das nicht gut, wenn Juden denken, sie müssten sich anpassen – vielleicht auch noch aus Angst wegen des verfluchten Rechtsrucks gerade.“ Auch von jüdischer Seite gibt es im Film immer wieder Einwände gegen dieses Gruppen-Denken. Nicht nur Strahlemann Tobias Feinstein zieht es vor, als Individuum betrachtet zu werden. Auch unter der älteren Generation gibt es anders Denkende, die Heimbewohnerin Lydia Goldberg (schön grantig: Erni Mangold) beispielsweise, die Annes Altruismus mit Goldrand und Dauerlächeln stets etwas entgegenätzt – und die sich auch zum Happy End, einem, das aus Einsicht zustande kommt und nicht nur, weil es das Genre so will, einen Kommentar nicht verkneifen kann. Eine von sich und ihrem Tun überzeugte Hauptfigur, die auf der Zielgeraden entscheidend in einer existentiellen Frage dazulernt – sowas ist selten in einer deutschen Komödie. Und dass die neue Erkenntnis nicht nur die Liebe betrifft, macht dieses Umdenken der Heldin besonders nachhaltig: Denn auch in dem gefeierten jüdischen Autor Schlomo Wisniewski (Dieter Hallervorden) sieht sie nur das, was sie sehen will – das Kind, das im KZ lebte, es überlebte und die Bilder und Geschichten nicht loswurde. Die Realitätsverschiebung dieses alten Mannes lässt am Ende durchaus Parallelen erkennen zur Strategie der Hauptfigur.

Schönes SchlamasselFoto: BR / Peter von Haller
Erfrischender Rollentausch. Nur zappeln oder auch fallen lassen? Was ihr verheirateter Chef Gerald (Thomas Limpinsel) kann, das kann Laura (Lisa Wagner) schon lange.

Daniel lädt Anna in sein luxuriöses Haus ein, das er für sich und seine Ex-Frau gekauft hat
Anne: „Was ist das?“ Daniel: „Das ist Resi, war Resi, mein Rasenroboter. Sie hat sich in den Pool gestürzt. Selbstmord. Wahrscheinlich vor lauter Einsamkeit.“ Anne: „Ich mag Euren Humor.“ Daniel: Euren? Resi ist tot.“ Anne: „Von euch Juden.“ Daniel: „Resi war gar keine Jüdin.“

Nach der ersten Nacht zwischen Tobias und Laura
Daniel: „Du glänzt so unerträglich wie ein frisch lackiertes Schaukelpferd.“ Tobias: „Das ist das Glück der leeren Hoden.“

Die RomCom-Standards explizit mit dem Philosemitismus- und implizit mit dem leider wieder aktuell gewordenen Antisemitismus-Thema aufzuladen, funktioniert ausgesprochen gut in dieser BR/ORF-Koproduktion – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Vorstellungen der Hauptfigur, wie der ideale Liebespartner zu sein habe (darin ähnelt sie einem Teenager), in ihren politischen Überzeugungen eine ebeno naive Entsprechung finden. Aber selbst ohne den Subtext wäre „Schönes Schlamassel“ eine ganz prächtige Komödie. Quirlig, ironisch, sexy – die vier Hauptdarsteller sind in bester Spiellaune, den Rollen sei Dank. Lasse Myhr und Lisa Wagner geben ihr jung und solo gebliebenes Pärchen um die 40 trotz Schlafzimmerblicks besonders ausgeschlafen. Maxim Mehmets Figur besitzt dagegen einiges mehr an Fallhöhe und Entwicklungsnuancen: Vom Prototyp fürs Fremdschämen des Zuschauers zu dem Protagonisten, mit dem man – zumindest das männliche Publikum – zunehmend mitfühlt und mitgeht bei dessen Ängsten, aufzufliegen und die Frau seines Lebens womöglich zu verlieren. Und Verena Altenberger darf alle Register der Komödie ziehen mit einem Charakter, der dichter, abwechslungsreicher und wandlungsfähiger ist als die meisten Drama-Rollen. Dramaturgisch steckt das Ganze voller verspielter Symmetrie und miteinander verschnittenen Parallelszenen, die mehr als nur die Gegensätzlichkeit der Paare zeigen. Murnberger spricht von einem „Kammerspiel“. Das weckt falsche Assoziationen. Der Film ist klar und gekonnt strukturiert, ist schnittig, besitzt einen enormen Drive und auch filmästhetisch (was die Farbdramaturgie oder die Locations angeht) gibt es reichlich was zu gucken. Ganz besonderen Spaß macht auch das Hören. Denn die Dialogwechsel sind köstlich. (Text-Stand: 3.8.2020)

Schönes SchlamasselFoto: BR / Christof Arnold
Die Stunde der Wahrheit. Und wieder sind Laura und Tobias mit dabei. Ihre Anwesenheit soll deeskalierend wirken. Vor allem aber sorgen der Perspektivwechsel und die Kommentare der beiden für eine komödiantische Brechung der Katastrophe.

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Fernsehfilm

BR, ORF

Mit Verena Altenberger, Maxim Mehmet, Lisa Wagner, Lasse Myhr, Peter Prager, Kirsten Block, Dieter Hallervorden, Thomas Limpinsel, Erni Mangold, Monika JohnLilly Forgách, Stefan Merki, Gerhard Wittmann

Kamera: Peter von Haller

Szenenbild: Peter Robert Schwab

Kostüm: Sylvia Risa

Schnitt: Britta Nahler

Musik: Roman Kariolou

Redaktion: Claudia Simionescu (BR), Klaus Litschinger (ORF)

Produktionsfirma: Conradfilm, Bavaria Fiction

Produktion: Marc Conrad, Maren Knieling

Drehbuch: Peter Probst, Wolfgang Murnberger

Regie: Wolfgang Murnberger

Quote: 4 Mio. Zuschauer (14,5% MA); Wh. (2023): 3,53 Mio. (12,9% MA)

EA: 02.09.2020 20:15 Uhr | ARD

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