Schneeweißchen und Rosenrot

Zoe Moore, Jeanne Goursaud, Sarah Esser, Seyhan Derin. Mode, Natur & eine Intrige

Foto: ZDF / Boris Laewen
Foto Rainer Tittelbach

Märchen-Motive „ernsthaft“ statt verjuxt in die heutige Zeit zu transportieren – auf diese Idee hätte man eigentlich schon früher kommen können. „Schneeweißchen und Rosenrot“ ist der erste Beitrag zum neuen ZDF-Sub-Label „Herzkino – Märchen“: klug variiert, dramaturgisch konzentriert und sehr frisch inszeniert. Der große Charme dieses Wohlfühlfilms besteht im kongenialen Miteinander von Narration und Erzählweise. Das, worum es (den Schwestern) in der Geschichte geht, um Mode und Kreativität, um Formen und Farben, um Schönheit und Leichtigkeit, all das zeichnet auch die Dramaturgie und die Inszenierung aus. Der Freude am schönen Material steht die Lust der Gewerke gegenüber. Besonders Kostümbildnerin Stefanie Bieker durfte sich bei diesem Sonntagsfilm mal so richtig austoben. Aber auch Kamera, Szenenbild & Schnitt zaubern aus der Vorlage einen locker-luftig-leichten Sommerfilm. Und die zwei Hauptdarstellerinnen haben den Zuschauer von der ersten Minute an am Haken.

Die Schwestern Rosalie (Zoe Moore) und Bianca (Jeanne Goursaud) stecken in der Bredouille. Zwar haben sie den Tod der Mutter einigermaßen verwunden, auch deren Stoffladen haben sie zu ihrer Zufriedenheit abgewickelt, doch übersehen haben sie eine Erblast: Um das Studium an der Modeakademie ihrer Töchter zu finanzieren, hat die kranke Frau sich Geld von einem Kredithai geliehen. Und so müssen sie 30.000 Euro in sechs Wochen auftreiben. Da kommt ihnen der Modewettbewerb der Firma Style wie ein Wink des Himmels vor. Und was für ein Glück, dass der legendäre Modemacher Paul Petit (Martin Umbach) sie für seine Firma antreten lässt. In der Abgeschiedenheit eines idyllisch in der Natur gelegenen Schlosses müssen Rosalie und Bianca gegen drei weitere Designer-Teams antreten. Unter ihnen ist auch Leon Bär (Kerem Can), der Mann, der vor wenigen Tagen die letzten Stoffballen aus dem Geschäft der Mutter gekauft hatte. Rosalie ist in jeder Hinsicht beeindruckt von ihm. Auch die Chefin des Hauses Style (Gaby Dohm) scheint Bär zugeneigt zu sein und ein weiteres Jury-Mitglied (Marie Anne Fliegel), die Frau, die auf die handwerklichen Feinheiten zu achten hat, hält große Stücke auf den jungen Mann, der für andere allerdings ein rotes Tuch ist: Paul Petit zum Beispiel, der offenbar noch eine Rechnung mit seinem ehemaligen Mitarbeiter offen hat. Der im Rollstuhl sitzende Couturier ist in der Branche als Ekel verschrien, verhält sich den Schwestern gegenüber aber zunächst fair, doch dann versucht er – ohne erkennbaren Grund – einen Keil zwischen die beiden zu treiben.

Schneeweißchen und RosenrotFoto: ZDF / Boris Laewen
Egal, was sich Leon Bär (Kerem Can) einst Schlimmes geleistert haben muss: Rosalie (Zoe Moore) ist von Beginn an fasziniert von dem schönen, undurchsichtigen Mann.

„Schneeweißchen und Rosenrot“ ist der erste Beitrag zum neuen ZDF-Sub-Label „Herzkino – Märchen“. Einige Ur-Motive aus der jahrhundertealten deutschen Tradition des Geschichten-Erzählens „ernsthaft“ (und nicht verjuxt wie vor Jahren die „Märchenstunde“ auf Pro Sieben) in die heutige Zeit zu transportieren – auf diese Idee hätte man eigentlich schon früher kommen können. Das Konzept hat gerade bei dieser Art von leichten Unterhaltungsfilmen den Vorteil, dass der gesetzte Rahmen den Erwartungshorizont des Zuschauers beeinflusst: Bei einem Film, der sich vom Wesen her als Märchen versteht, wird beispielsweise die in diesem Film von Seyhan Derin nach einem cleveren Buch von Sarah Esser („Hausbau mit Hindernissen“) deutlich ins Bild gesetzte Liebe auf den ersten Blick mehr als nur erträglich, weil sie so etwas wie einen Zitat-Charakter bekommt und damit das nötige Augenzwinkern gleich mitliefert. Da wird am Ende keiner rufen: „Vorsicht Kitsch!“ Außerdem macht dieser Film deutlich, dass es ein Irrglauben ist, viel Handlung sei ein Allheilmittel gegen Trivialität, Banalität und womöglich auch noch gegen das Gespenst des Immergleichen, gegen welches das ZDF-„Herzkino“, vor allem mit seinen Dauerbrenner-Reihen „Inga Lindström“ und „Rosamunde Pilcher“, ja seit Jahren mehr oder weniger vergeblich anzugehen versucht.

Zwei Hauptrollen, zwei tragende Nebenrollen und drei Nebenrollen mit kleinen, aber umso markanteren Auftritten, damit bestreiten die Macher die ganzen 90 Minuten. Weitere Figuren, unter ihnen die anderen Designer, sind Staffage in einem vorbildlichen Sinne. Auch ohne viel Worte und ohne, dass man sie groß in Aktion sieht (man weiß allerdings, auch sie sind zugange in den anderen Räumen des Schlosses), stärken sie im Off die Glaubwürdigkeit der Geschichte und sorgen im On für Abwechslung und Atmosphäre. In der Gerüchteküche brodelt es, es werde getuschelt, munkelt die gute Seele des Wettbewerbs, die Organisationsfee Birgit Auer (Stephanie Kämmer) – gut, dass man auch davon nicht Zeuge wird, sondern auch davon nur spricht. Das ist dramaturgisch klug und narrativ sinnvoll, weil es das Geheimnis um Bär und Petit befeuert. Wer führt hier was im Schilde? Das Rätsel findet auch wunderbar seinen Niederschlag in der Ausgangssituation: ein großes Haus und zwei Männer, die die beiden Heldinnen nicht gut genug kennen, um sie 100%ig richtig einzuschätzen. Das ist für Überraschungen gut und zieht Szenen nach sich, in denen man sich gegenseitig beobachtet und belauscht; das wiederum ist ein guter filmischer Kontrast zu den dialoghaltigeren Szenen.

Schneeweißchen und RosenrotFoto: ZDF / Boris Laewen
Im besten Sinne Staffage. Weil der Rahmen der Erzählung (das Schloss, die anderen Designer-Teams, der Wettbewerb) stimmt und auch ästhetisch sehr gut vermittelt wird, kommt die Geschichte der Schwestern sehr gut zur Entfaltung. Jeanne Goursaud & Stephanie Kämmer

So kann sich die Geschichte konzentrieren auf das Wie der Erzählung und kann sich Zeit nehmen für Details. Der große Charme dieser „Schneeweißchen und Rosenrot“-Variation besteht im kongenialen Miteinander von Narration und Erzählweise. Das, worum es (den Schwestern) in der Geschichte geht, um Mode und Kreativität, um Formen und Farben (bei denen sich Rosalie von der Natur inspirieren lässt), um Schönheit und Leichtigkeit, all das zeichnet auch die Dramaturgie und die Inszenierung des Films aus. Der Freude am schönen Material steht die Lust der Gewerke gegenüber. Besonders Kostümbildnerin Stefanie Bieker, sonst mehr für Krimis und Dramen kreativ, durfte sich bei diesem Film mal so richtig austoben. Aber auch Kamera, Szenenbild und Schnitt zaubern aus der Vorlage einen locker-luftig-leichten Sommerfilm, der zwischen Natur und Intrigenspiel eine Ahnung davon vermittelt, was man an einem solchen Ort – außer romantischen Märchen – noch alles erzählen könnte. Der Stoff hat gelegentlich ein paar Webfehler, so ist die Figur des Paul Petit etwas widersprüchlich angelegt, insbesondere sein Verhalten gegenüber den Schwestern, aber unter dem Mäntelchen des Märchens dürfte das weitgehend unbemerkt bleiben. Die Dialoge sind pointiert, neigen aber – weil sie sich ja an ein erwachsenes Publikum richten – nicht wie in traditionellen Märchenfilmen zu Künstlichkeit und Übertreibung. Auch die Besetzung ist vorzüglich: Zoe Moore („Die kleine Meerjungfrau“) als die gutaussehende Forsche, Jeanne Goursaud („Wishlist“) als die zurückhaltende, neckisch frisierte Schönheit, dieses herzallerliebste Pärchen dürfte Jung und Alt von der ersten Minute an am Haken haben. Kerem Can als möglicher Liebhaber passt zum Geheimnis des Films, denn dieser Schauspieler hat auch den „bösen Blick“ drauf. Wie im Übrigen auch Martin Umbach, der ohnehin prädestiniert ist für ambivalente, zwielichtige Charaktere. Und dass Gaby Dohm in einer kleinen, aber für die Stimmigkeit des Modedesign-Wettbewerbs nicht unwichtigen Rolle eine gute Figur macht – damit konnte man nicht unbedingt rechnen. Fazit: Bei diesem Film ist „Herzkino“ mehr als ein Label, hier ist der Begriff wörtlich zu nehmen. Die angestammten Autoren und Regisseure auf diesem Sendeplatz können sich viel abgucken von diesem Märchen (und auch dem zweiten, „Der Froschkönig“ am 23.12.2018), und die Redakteure sollten endlich erkennen, dass frischer Wind am Sonntag Not tut. (Text-Stand: 25.11.2018)

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Reihe

ZDF

Mit Zoe Moore, Jeanne Goursaud, Martin Umbach, Kerem Can, Gaby Dohm, Stephanie Kämmer, Marie Anne Fliegel, Steffen Wink, Jorge González

Kamera: Osman Ozzy Öksüz

Szenenbild: Andrea Steinlandt

Kostüm: Stefanie Bieker

Schnitt: Eva Lopez Echegoyen

Musik: Therese Strasser

Redaktion: Silvia Hubrich

Produktionsfirma: sabotage films

Produktion: Annedore von Donop, Karsten Aurich

Drehbuch: Sarah Esser

Regie: Seyhan Derin

Quote: 3,89 Mio. Zuschauer (11% MA)

EA: 16.12.2018 20:15 Uhr | ZDF

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