Schlafkrankheit

Bokma, Schily, Ulrich Köhler. Europäer (mit afrikanischen Wurzeln) in Afrika

Foto: ZDF / Patrick Ohrt
Foto Thomas Gehringer

Ein Arzt zwischen den Welten: Ebbo Velten kehrt Kamerun den Rücken, um mit seiner Familie in Deutschland zu leben. Oder bleibt er doch? „Schlafkrankheit“ ist ein Film über Entwicklungshelfer aus Europa und die Anziehungskraft Afrikas, ohne romantisierende Exotik und ausgestelltes Elend, ernsthaft und genau, aber auch humorvoll und mit einem schönen magischen Moment am Ende. Von den klischeehaften Afrika-Fernsehfilmen ist diese 2011 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Kino-Koproduktion himmelweit entfernt. Intelligentes Buch, bemerkenswerte Inszenierung und ein kraftvolles Spiel von Pierre Bokma.

Der niederländische Arzt Ebbo Velten arbeitet seit Jahren als Entwicklungshelfer in Kamerun, will aber nun mit seiner deutschen Frau Vera wieder in Europa, im hessischen Wetzlar, leben. Beide bereiten in Afrika den Umzug vor. Auch Tochter Helen ist zu Besuch. Das Haus wird ausgeräumt, der Nachfolger ist schon da, doch ein Freund der Familie will Ebbo für ein anderes Projekt in Kamerun gewinnen und lässt nicht locker. „Helen braucht uns“, hält Vera dagegen. Und Ebbo lässt die Regierungsbeamten abblitzen, die die mit seiner Rückkehr verbundene Kürzung der Mittel verhindern wollen. Aber der Abschied fällt ihm schwer.

Es folgt ein Zeitsprung & Perspektivwechsel: Alex Nzila, ein dunkelhäutiger Arzt aus Paris, reist drei Jahre später im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation nach Kamerun, um das Projekt von Dr. Velten zu evaluieren – ist Ebbo doch geblieben oder wieder zurückgekehrt? Nzila findet nur einen einzigen Patienten vor – und muss bald als Geburtshelfer einspringen, denn die Frau, mit der Velten jetzt zusammenlebt, eine Afrikanerin, ist hochschwanger.

SchlafkrankheitFoto: ZDF / Patrick Ohrt
Ebbo (Pierre Bokma) mit neuer Frau Jo (Atangana Christelle Zita) und ihrer Familie. „Schlafkrankheit“ von Ulrich Köhler

„Schlafkrankheit“ spielt beinahe durchgehend in Kamerun und behält die Frage nach dem Sinn von Entwicklungshilfe beiläufig im Blick. Die Protagonisten sprechen mal Deutsch, mal Französisch, der Film ist untertitelt. Die Veltens leben in einem großzügigen Haus. Joseph, der Wachmann, patrouilliert nachts mit hellen Lampen – wenn er nicht gerade eingeschlafen ist. Afrika darf hier auch ein bisschen komisch sein: Schon in der ersten Szene, in der die Familie in eine Polizeikontrolle gerät, löst sich die bedrohlich wirkende Situation in eine kuriose Verhandlung auf. Nebenbei kommt das Selbstverständnis der Entwicklungshelfer zur Sprache, die neutral bleiben & deshalb keine Mitfahrgelegenheit für uniformierte Polizisten sein wollen.

Von Afrika und der Beziehung des Kontinents zum Rest der Welt wird in vielen Details erzählt, völlig unaufdringlich: Die mit dicken Baumstämmen beladenen Lastwagen, die in China genähte „traditionelle“ Kleidung, die Musik aus der Hifi-Anlage der jungen Kameruner, die Szene am Hotel-Pool, an dem Entwicklungshelfer mit hübschen Frauen flirten. Von den klischeehaften, romantisch überzuckerten oder dramatisch zugespitzten Afrika-Bildern, mit denen die Fernsehsender immer mal wieder gerne auf Quotenjagd gehen, ist das himmelweit entfernt. Den „guten Schwarzen“ gibt es ebenso wenig wie zur Schau gestelltes Elend. Allerdings bleiben die Einheimischen Randfiguren in einem Drama, das die Zerrissenheit eines Entwicklungshelfers thematisiert. Ulrich Köhler, Autorenfilmer der Berliner Schule, der selbst als Kind jahrelang in Zaire gelebt hat, sagt über „Schlafkrankheit“: „Vielleicht ist das kein Film über Afrika, es ist ein Film über Europäer in Afrika. Es ist ein Film über Europa.“

Und es ist ein Film über Europäer mit afrikanischen Wurzeln in Afrika. Kamerun ist fremd und geheimnisvoll – besonders für den in Frankreich geborenen Alex, der in Europa für einen Afrikaner und in Afrika für einen Europäer gehalten wird und der sich sichtlich unwohl fühlt in Kamerun. Eine kluge Idee des Autors und Regisseurs. Eindrucksvoll auch die Tonspur: Die Geräusche des Tropenwalds sind geradezu ohrenbetäubend. Besonders am Schluss, bevor der Film mit einem magischen, die afrikanischen Mythen feiernden Moment endet.

Das Kraftzentrum ist Hauptdarsteller Pierre Bokma, der den Arzt Ebbo Velten impulsiv, hemdsärmelig und unberechenbar spielt und in keiner Szene einen weißen Kittel trägt. Sehr schön die Darstellung der „reifen“ Liebesbeziehung zu seiner Frau Vera. Jenny Schilys „supporting role“, um nicht das leicht abwertend klingende Wort „Nebenrolle“ zu verwenden, endet leider mit Veras Rückkehr nach Deutschland. Ulrich Köhler („Bungalow“) erhielt bei der Berlinale 2011 den Silbernen Bären für „Schlafkrankheit“. (Text-Stand: 11.6.2013)

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Kinofilm

Arte, ZDF

Mit Pierre Bokma, Jenny Schily, Jean-Christophe Folly, Hippolyte Girardot

Kamera: Patrick Orth

Schnitt: Eva Könnemann, Katharina Wartena

Ton: Julien Sicart

Produktionsfirma: Komplizen Film

Drehbuch: Ulrich Köhler

Regie: Ulrich Köhler

EA: 06.02.2013 20:15 Uhr | Arte

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