Schicksalsjahre

Maria Furtwängler, Schicksalsjahre und die Ehrenrettung einer (Frauen-)Generation

Foto: ZDF / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

„Schicksalsjahre“ folgt seiner Heldin durch drei Jahrzehnte, von 1939 bis 1957. Der Zweiteiler erzählt von Liebe und Verzweiflung, vom Krieg und vom Wiederaufbau, von der Spirale der Schuld und von deutscher Gründlichkeit und dem Marschieren im Gleichschritt vor und nach 1945. Und das tut er auf unterschiedlichste Art und Weise: romantisch, kritisch und in großen Sprüngen und vor allem als individuelle, schicksalhafte Geschichte eines weitgehend von Zufällen geprägten Lebens. Der Film sucht das Sowohl-als-auch, während er zwei entweder-oder-Gesellschaften nachzeichnet. Die Harmonie zwischen dem Streben der Heldin und der inneren Logik der Geschichte ist der Schlüssel zur Glaubwürdigkeit des Films.

Berlin, 1938. Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen Ursula und Wolfgang. Für die Sekretärin im Auftrag des Führers ist „die Stimme des Chansons“ nicht nur der Mann ihrer Träume, sondern er bietet ihr auch die Möglichkeit, aus ihrem kleinbürgerlichen Alltag auszubrechen. Er entdeckt ihr musikalisches Talent. „Sie haben einen wirklich schönen Anschlag“, sind seine ersten Worte. Und so begleitet sie ihn künftig nicht nur im Leben, sondern auch am Klavier. Hätte Wolfgangs jüdischer Pianist nicht das Land verlassen – die beiden wären nie zusammengekommen. „Unser Glück liegt im Unglück der Anderen“, sagt der Sänger. „Vielleicht ist es ja auch Schicksal“, entgegnet Ursula. Sie soll Recht behalten. Aber das Schicksal reißt die beiden Liebenden bald in eine völlig andere Geschichte.

Der Zweiteiler „Schicksalsjahre“ folgt seiner Heldin Ursula Heye über einen Zeitraum von 20 Jahren. Im Jahre 1957 beginnt der Film. „Wolfgang lebt“, sagt eine Frauenstimme am Telefon. Es ist Norah, eine Sängerin, die der Zuschauer erst im zweiten Teil näher kennenlernen soll. Sie wird für ein paar Jahre eine Art Notgemeinschaftsgeliebte für die Heldin werden, doch ihre tiefe Sehnsucht nach der einen großen Liebe und der Schmerz, sie für immer verloren zu haben, wird weiter in ihr sein. Der Film erzählt von Liebe und Verzweiflung, vom Krieg und vom Wiederaufbau, von der Spirale der Schuld und von deutscher Gründlichkeit und dem Marschieren im Gleichschritt vor und nach 1945. Und weil wir im Jahre 2011 leben kann er von alldem erzählen auf unterschiedlichste Art und Weise: romantisch, kritisch und in großen Sprüngen, weder klassisch historisch noch mit dokumentarischem Blick, sondern vor allem als individuelle, schicksalhafte Geschichte eines weitgehend von Zufällen geprägten Lebens. „Eigensinn, Kreativität und Unsicherheit hatten als individuelle, das Leben chaotisierende Elemente bislang wenig Platz in historischen Stoffen“, sagt Heike Hempel, die ZDF-Verantwortliche für die große und unterhaltende Fiktion.

SchicksalsjahreFoto: ZDF / Thomas Kost
Von der Nazi-Sekretärin zur Künstlerin. Ist Norah Kellermann (Dorka Gryllus) für Ursula Heye (Maria Furtwängler) nur eine Notgemeinschaftsgeliebte?

„Schicksalsjahre“ ist auch als eine Ehrenrettung einer Generation und vor allem der Frauen dieser Generation zu verstehen. „Die wenigsten hatten die Chance zu einem erfüllten Leben“, betont Uwe-Karsten Heye, nach dessen Buch über seine Mutter der Film entstanden ist. „Eine Frauengeneration im Schatten des Glücks.“ Heute können wir einer solchen Geschichte mit weniger Bauchschmerzen folgen als noch vor 20 Jahren, wo es schwerfiel, persönliche Geschichten von der kollektiven Historie, der Gräuel des Nationalsozialismus, abzuspalten. Auch die Motivation des Drehbuchautors Thomas Kirchner dürfte kaum noch auf Widerstand stoßen: „Der Film soll der schweigenden Mehrheit ein Gesicht geben, die all diese teils menschenverachtende Totalität zugelassen haben, aber deren Verzicht, deren Duldsamkeit, deren Aufbauwillen auch wieder den momentanen Reichtum unseres Landes begründeten.“

Aus „Vom Glück nur ein Schatten“ wurde „Schicksalsjahre“:
„Einen Titel auszuwählen hat so seine Tücken. Bei ‚Schicksalsjahre’ könnte man versucht sein zu glauben, sie seien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg irgendwie, ohne eigenes Zutun, über die Menschen gekommen. Schicksal eben. Aber die Lebensgeschichte der Menschen, in die es in dem Buch geht, macht deutlich, dass sie einen Anteil haben am großen Desaster der Deutschen und damit auch an den daraus erwachsenen ‚Schicksalsjahren’.“ (Uwe-Karsten Heye)

SchicksalsjahreFoto: ZDF / Thomas Kost
Und die Schicksalsjahre gehen weiter und bewegen sich in Richtung Melodram-Romanze, verlieren aber nie die historische Bodenhaftung. Maria Furtwängler und Pasquale Aleardi

Erleichternd hinzukommt, dass Ursula Heye als aufrechte, couragierte und kluge Frau gezeigt wird, bei der Gefühl und Verstand zu einer idealen Einheit verschmelzen. „Wir sind Teil dieser Schuld – auch ich. Ich habe mich weggedrückt, ich habe geschwiegen“, erkennt sie nach Kriegsende. Dem wohlfeilen „Wehret-den-Anfängen“-Appell in der Schlussszene hätte es da allerdings nicht mehr bedurft. Der Zuschauer, der 190 Minuten dran bleibt, wird die zuvor leise(r) vermittelte Botschaft schon „verstehen“. Ganz anders: Maria Furtwänglers bzw. Ursulas großer Auftritt vor dem Petitionsausschuss, wo sie für ihre Anerkennung als Kriegsflüchtling und politisch Verfolgte kämpft. Hier ist die „Moral“ wunderbar physisch und für den Zuschauer geradezu kathartisch in die Handlung eingebaut. Dramaturgisch wie schauspielerisch großartig auch der Disput zwischen Ursula und der Wolgadeutschen Norah über „Lili Marleen“. Für die eine ist es ein Symbol für sinnloses Durchhalten und millionenfachen Tod, für die andere war das Lied ein Hoffnungsschimmer am Horizont.

„Schicksalsjahre“ erzählt von zwei entweder-oder-Gesellschaften („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“). Der Zweiteiler selbst strebt in seiner tragischen Geschichte ein Sowohl-als-auch an. Die Harmonie zwischen dem Streben der Heldin und der inneren Logik der Geschichte ist der Schlüssel zur Glaubwürdigkeit des Films, dessen Stationsdramaturgie und Inszenierung (Kamera, Schnitt, Szenenbild) einen ebenfalls sehr stimmigen Eindruck hinterlassen.

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Mit Maria Furtwängler, Dorka Gryllus, Pasquale Aleardi, Günther Maria Halmer, Rosel Zech, Nicole Marischka, Wanja Mues, Peter Prager, Merab Ninidze, Heikko Deutschmann, Michael Gwisdek, Petra Kelling, Peter Kremer

Kamera: Jörg Widmer

Szenenbild: Thomas Franz

Schnitt: Tobias Forth

Musik: Wolfram de Marco

Produktionsfirma: TeamWorx

Drehbuch: Thomas Kirchner

Regie: Miguel Alexandre

Quote: 1. Teil: 8,06 Mio. Zuschauer (20,9% MA); 2. Teil: 8,44 Mio. Zuschauer (24,4% MA); Wh: 4,35 Mio. (14,5% MA)

EA: 13.02.2011 20:15 Uhr | ZDF

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