Es wird gestorben in Niedernussdorf, der Heimatchor singt ein Abschiedslied, der Pfarrer ehrt die Verstorbene. Es wird gestorben – aber wird auch gemordet? Der Kripomann aus Straubing ist davon überzeugt. Der Finger, den ein Rauhaardackel stolz durchs Dorf Gassi trägt, spricht eine deutliche Sprache. Die Laboruntersuchung ergibt: dieser Finger wurde nicht abgerissen, sondern abgebissen – von einer Sau. Das Opfer: männlich, zwischen 70 und 80. Mit der dörflichen Ruhe ist es erst einmal vorbei. Selbst am heiligen Sonntag begeben sich die Dienststellenleiterin Gisela Wegmeyer und der ehrgeizige Hauptkommissar Florian Lederer von Hof zu Hof: Bissspuren abnehmen. Die Sau Nummer vier war’s. Hat hier jemand den Opa an die Schweine verfüttert? Der Beamte aus der Stadt ist auch davon überzeugt. Quatsch, glaubt, die Kollegin und lässt alle Männer reifen Alters antreten: Ist denn noch alles dran? Plötzlich scheint der Fall geklärt, doch dann auch wieder nicht. Ein Hüftgelenk liegt im Bach.
Max Färberböck über Niederbayern:
„Keine blumigen Balkons, kein internationaler Massentourismus, keine oberbayerische One-Man-Show in Supertracht. Alles cool. Die Witze hintersinnig und schief wie bei den Friesen. Man nimmt sich Zeit – für einen Blick, ein paar trockene Sätze, für das absolute Diesseits.“
Ermittlungsarbeit ist schwere Arbeit – insbesondere dort, wo es seit Hitlers Zeiten keinen Mord mehr gab. Scheiß-Finger, Scheiß-Säue, Scheiß-Job, fluchen die Dorfpolizisten. Selten machte es mehr Spaß, unzufriedenen Menschen bei der sinnlosen Arbeit zuzuschauen als in Max Färberböcks „Sau Nummer vier“ und noch nie war Ermittlungsleerlauf so sexy. Nicht sexy sexy, sondern niederbayerisch sexy. Da ist nichts geschönt, Matsch bleibt Matsch, Herbstnebel bleibt Herbstnebel und die Menschen reden in der Regel nur, wenn sie gefragt sind. Manchmal sogar nicht mal dann. Erst gucken sie ganz lange, bevor sie den Mund aufmachen. „Man nimmt sich Zeit – für einen Blick, ein paar trockene Sätze, für das absolute Diesseits“, so Färberböck treffend. Daraus hat der Meisterregisseur einen ureigenen Rhythmus gefunden. Es ist mehr als der gern zitierte „Mut zur Langsamkeit“, es ist der Mut zur Pause, zur Lücke, zum Blick. Wie Sigi Zimmerschied während einer Vernehmung schaut, schweigt und sich über sein Essen hermacht, das besitzt mehr „Bewegung“ als jede Action-Szene. Und dann diese Ansammlung von alten Männern, kantig, knorrig, wie aus Holz geschnitzt. Von diesen Gesichtern, auch vom sympathischen Eigensinn dieser dörflichen Urgesteine lebt „Sau Nummer vier“. Wer einen herkömmlichen Krimi erwartet, muss enttäuscht sein. Aber die haben wir ohnehin zur Genüge. Wer im Dritten landstrichgeprägte Geschichten erzählen will, der tut gut daran, auf den klassischen Whodunit zu verzichten. „Die polizeiliche Ermittlungsarbeit und Fallbezogenheit hat uns weniger interessiert als die menschlichen Hintergründe, der Charakter der Figuren im Zusammenhang mit ihrem Gefühl von Beheimatet- und Fremdsein“, so die verantwortliche BR-Redakteurin Stephanie Heckner.
Lederer: „Ich möchte mich jetzt nicht auf eine Hypothese festlegen, solange nicht alle Prämissen geklärt sind.“
Wegmeyer (macht große Augen): „Reden Sie immer so?“
Lederer: „Aber Sie verstehen mich?“
Wegmeyer: „Ja, scho.“
Lederer: „Dann passt’s ja.“
Viele der Neben- und Komparsenrollen sind mit Menschen aus der Region besetzt. Das spürt man als Zuschauer, das stimmt. Aber auch die beiden Hauptdarsteller passen ins Bild. Endlich sieht man Johanna Bittenbinder oberhalb des Weißwurstäquators mal nicht „nur“ als die ewig besorgte Mutter oder die nicht weniger besorgte Frau von nebenan. Und Florian Karlheim, bekannt aus Franz Xaver Bogners Kultserie „München 7“, ist immer für unerwartete Gesichtsausdrücke gut. Die Dialogabfolgen sorgen nicht für Brüller wie in „Erntedank“ mit Herbert Knaup, zum Schmunzeln aber geben sie genügend Anlass. „Sind Sie der Knecht?“, fragt der Kommissar aus der Stadt den Freund der Dorfpolizistin. Pause. „Nein, der Verlobte“. Pause. „Auch gut.“ Kommt das Oberbayerische oft etwas derb daher, so ist das Niederbayerische vom Understatement geprägt – weniger dem britischen, eher dem friesischen. Man muss sich einsehen – und etwas genauer hinzusehen. Aber dann…