Ähnlich wie 2017 „Bad Cop“ basiert auch die neue RTL-Serie „Sankt Maik“ auf der im Grunde schlichten Idee eines Rollentauschs. Damals wurde ein sympathischer Profi-Verbrecher Polizist, diesmal wird ein Taschendieb Pfarrer: Der junge Maik (Daniel Donskoy) hat als vermeintlicher Schaffner eines Nahverkehrszuges praktisch alle Fahrgäste um Schmuck, Uhren und Telefone gebracht. Als sie ihm auf die Schliche kommen, bleibt ihm nur ein Ausweg: Er schlüpft in die Soutane eines Pfarrers, der sich im eigenen Abteil unbemerkt auf den Weg zu seinem Chef gemacht hat. Am nächsten Haltepunkt wird Maik schon erwartet: Seine zukünftige Haushälterin begrüßt ihn als den neuen Pastor des rheinischen Ortes und wundert sich nur kurz darüber, dass er nach zehn Jahren in Afrika überhaupt nicht braungebrannt ist; auch wenn die naheliegendere Frage wäre, wie er schon als Teenager sein Theologiestudium abschließen konnte. Trotzdem ist das als Ausgangspunkt schon mal nicht schlecht, zumal Maik, obschon offenkundig nicht christlich aufgewachsen, problemlos in die neue Rolle schlüpft, die ihm als ideale Tarnung erscheint. Außerdem besitzt die Pfarrei eine wertvolle Monstranz. Mit der Kostbarkeit würde gern ein dringendes Finanzproblem lösen: Weil sein etwas unbedarfter kleiner Bruder Kevin (Vincent Krüger) wieder mal Mist gebaut hat, schuldet das Brüderpaar einem Gangster, mit dem nicht zu spaßen ist, 50.000 Euro.
Der Reiz der zehnteiligen RTL-Hauptabendserie liegt klugerweise nicht allein im Rollentausch, auch wenn es den Drehbüchern (Chefautorin: Vivien Hoppe) erstaunlich lang gelingt, diesem Grundeinfall amüsante Seiten abzugewinnen. Viel interessanter ist jedoch eine zweite Ebene. Maiks Motive und somit auch seine Ziele sind unmoralisch, aber auf dem Weg dorthin ergeben sich dauernd positive Kollateralschäden: weil er gewissermaßen aus Versehen eine gute Tat nach der anderen begeht. Mal befreit er eine alleinerziehende Mutter aus einem sklavenähnlichen Arbeitsverhältnis und verhilft nebenbei einer alten Frau zu einer freundlichen Pflegekraft, mal sorgt er dafür, dass der Filialleiter der örtlichen Bank, der im Trennungsschmerz versauert, neuen Lebensmut gewinnt. Eigentlich will Maik bloß erreichen, dass der Mann nicht länger in der Bank nächtigt, damit er in aller Ruhe die echte Monstranz aus dem Schließfach holen kann, denn in der Kirche steht nur eine Kopie.
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Die Umsetzung dieser Geschichten über einen merkwürdigen Heiligen ist allerdings recht gediegen. Die Serie hat die Spritzigkeit einer jener „Heiter bis tödlich“-Serien aus dem Vorabend der ARD, in denen Provinzialität meist auch für Gemächlichkeit stand; da haben RTL-Serien schon ein ganz anderes Tempo vorgelegt. Dass „Sankt Maik“ trotzdem sehenswert ist, liegt neben den unterhaltsamen Drehbüchern vor allem am Hauptdarsteller. Die Kamera-Erfahrung von Daniel Donskoy beschränkt sich bislang aufs britische Fernsehen. Er hat zwar hierzulande schon die eine oder andere Episodenrolle gespielt, aber im Grunde ist der gebürtige Moskauer, der als Baby mit seiner Familie nach Berlin gezogen ist und seine Jugend in Tel Aviv verbracht hat, ein völlig neues Gesicht. Das gilt mit Ausnahme von Vincent Krüger, der als Maiks Bruder in die Klischeerolle gesteckt worden ist, die er fast immer spielen muss, auch für die anderen Mitwirkenden. Gerade Bettina Burchard hinterlässt einen sehr sympathischen Eindruck; sie spielt die Dorfpolizistin Eva, eine Frau mit Kölner Kripo-Erfahrung, die hinter dem Taschendieb aus dem Zug her ist. Auf dem neuen Pastor ruht ihr Auge mit Wohlgefallen, und das nicht nur bildlich gesprochen: Der junge Mann muss die Gemeindedusche benutzen, weil sein Bad renoviert wird; Donskoy macht auch in dieser Hinsicht eine gute Figur. Dass Evas Serienschwester von ihrer tatsächlichen Schwester Marie gespielt wird, ist zwar völlig egal, aber auch irgendwie nett. Trotzdem ist es doof, dass sich die Brüder und Schwestern wiederholt mit „Bruderherz“ und „Schwesterherz“ anreden müssen, damit auch der Letzte die verwandtschaftlichen Verhältnisse versteht.
Sympathisch ist dagegen der Umgang mit der Musik: Maik wird mit „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones eingeführt, das passt schon mal prima. Als er das erste Mal die Tür zu „seiner“ Kirche öffnet, erklingt ein eindrucksvoller Choral, der dann in den doch recht schiefen Gesang des von Eva geleiteten Kirchenchors übergeht. Am Ende der ersten Folge stimmt er bei seiner Gottesdienstpremiere „I say a little Prayer“ an, und prompt fallen alle Kirchenbesucher mit ein, bis schließlich Aretha Franklin übernimmt. Dafür sind nicht alle Dialoge gelungen. „Hab’ ich einen Regenschirm? Bin ich scheiß Mary Poppins?“, muss Maik den Sohn der ausgebeuteten Kneipenhilfe fragen, als er auf ihn aufpassen soll. Andererseits ist es durchaus witzig, wenn er Christus am Kreuz ein herzhaftes „Amen, Alter!“ zuruft. Die Actionfigur des Jungen erinnert ihn zudem an seine eigene Kindheit, die er offenbar in ähnlich prekären Verhältnissen verbracht hat, woraufhin prompt eine entsprechende Rückblende erfolgt; das ist recht gut gemacht. Selbst Donskoys Off-Kommentare über die Dinge des Lebens wirken nicht wie überflüssige Wurmfortsätze.
Trotzdem wird „Sankt Maik“ vermutlich nicht in die Fernsehgeschichte eingehen. Dabei hätte die Serie mehr als nur eine Fußnote verdient, denn sie gewinnt dem Genre tatsächlich neue Seiten ab. Seit „Pfarrer in Kreuzberg“ (ZDF 1977) hat es im deutschen Fernsehen ein bis zwei Dutzend Serien und Filmreihen über Kirchenmänner (und manchmal auch -frauen) gegeben; von „Oh Gott, Herr Pfarrer“ (ARD 1988) über „Mit Leib und Seele“ (ZDF 1989 bis 1993) und „Pfarrer Braun“ (ARD, 2003 bis 2013) bis hin zu „Der Hafenpastor“ (ARD 2012 bis 2016). Bei RTL hat das Genre dank „Bruder Esel“ (Grimme-Preis 1997), „Der Heiland auf dem Eiland“ (2004/05) und „Lasko – Die Faust Gottes“ (RTL 2009/10) sogar eine gewisse Tradition. Einen Pfarrer jedoch, der in Wirklichkeit gar keiner ist und trotzdem am laufenden Band Gutes tut: Das gab’s noch nicht; so gesehen ist Pastor Maik gewissermaßen Don Camillo und Peppone in einer Person. (Text-Stand: 22.12.2017)