Gerade ist die Familie noch glücklich zusammen über die Ostsee geschippert: Anja (Marleen Lohse) und ihr Mann Frank (Fabian Busch), die elfjährige Leila (Luisa Römer) und der sechsjährige Finn (Georg Arms). Wenig später ist das Segelboot verschwunden – und mit ihm die Kinder. Die örtliche Polizei schaltet sich ein, ein LKA-Experte für Entführungen (Bernhard Schütz) übernimmt den Fall. Die Erfahrung sagt ihm, es müsse sich um einen ungeordneten, intuitiven Täter handeln, der sicher bald Kontakt mit den Eltern aufnehmen wird. Sein Kollege aus DDR-Zeiten sieht das ganz anders: Er erkennt Parallelen mit einem Fall von 1988. Aber ist dieser Hartz-IV-Alki (Manfred Zapatka) überhaupt zurechnungsfähig? Als Frank diesen Mann sieht, stockt ihm der Atem, denn dieser Winter ist sein Vater, ehemaliger Stasi-Offizier, verantwortlich für den Selbstmord des eigenen Bruders und für ihn deshalb gestorben; selbst seiner Frau hat er die Schande seiner Familie verschwiegen. Kein günstiger Augenblick für grundsätzliche Erklärungen. Winter jedenfalls will helfen. Also werden er, Kommissarin Vogt (Christina Große) und Frank auf den alten Fall angesetzt, der bald größere Kreise zieht; während Anja im Hotel in Binz auf den Anruf des Entführers wartet. Dieser (Matthias Brandt), der der Familie – als Zauberer verkleidet – bereits am Tag vor der Entführung auf der Promenade begegnet ist, hat sich direkt neben ihr eingemietet. Der Anruf kommt schließlich, aber der Mann stellt Forderungen, die die Mutter in große Bedrängnis bringen.
Foto: Degeto / Esteve Franquesa Parareda
Ein Junge und ein Mädchen als Entführungsopfer, ein Zauberer, keine Lösegeldforderung – das sind die Parallelen zweier Fälle, die aus dem vermeintlichen Entführungskrimi einen Serienkillerthriller machen. Auch wenn der LKA-Apparat professionell in Gang gesetzt wird – mit handelsüblicher Ermittlungsarbeit bekommt es der Zuschauer in den über zwei Stunden von „Sanft schläft der Tod“ nicht zu tun. Als (Event-)Einzelstück ist dieser Film ohnehin vom standardisierten Reihenkrimi-Regelwerk ausgenommen, und da das Serienkillerdenken seine ganz eigene Logik besitzt, kann man die beliebten Zuschauerfragen nach Glaubwürdigkeit und Realitätsnähe außen vor lassen. Stattdessen kann man sich ganz der detailreich erzählten Geschichte mit ihren parallelen Handlungen und ausgekügelten Wendungen hingeben. Denn hier muss nichts auf die Themen-Goldwaage gelegt werden. Was heute die jüngeren Zuschauer in – vornehmlich – US-Serien finden, ist im Grunde das, was Film- und Genreliebhaber in den 70er und 80er Jahren in den Krimi- und Thriller-Kinoklassikern auf dem Bildschirm zu sehen bekamen. Raffinierte Geschichten, häufig coole, wenig alltagsnahe Helden und vor allem große Spannung, was nicht selten Suspense hieß, also Mehrwissen und entsprechendes Mitfiebern des Zuschauers. „Sanft schläft der Tod“ ist ein Film, der ältere Zuschauer bei dieser – nennen wir sie einfach mal – Hitchcock-Erfahrung abholen könnte, der aber gewiss auch jüngere Zuschauer – so sie den Weg ins „Erste“ finden – fesseln dürfte.
Marleen Lohse über den Dreh des Entführer-Telefonats
„Matthias Brandt hat dieser Figur eine Ruhe und Tiefe verliehen, die seine Entschlossenheit auf eine beängstigende Weise verdeutlicht. Wir haben die entscheidende Szene des ersten Telefonats mit zwei Kameras, zwei Teams und in zwei verschiedenen Zimmern gedreht. Das Setup war also genauso wie im Drehbuch. Es hatte etwas sehr Intimes. So realistische Grundvoraussetzung gibt es nur selten bei Dreharbeiten.“
Foto: Degeto / Esteve Franquesa Parareda
Der Film von Marco Kreuzpaintner nach dem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt ist beste Genre-Unterhaltung. Auch wenn abzusehen ist, dass der LKA-Profi nur viel Wind macht und mit seinen Prognosen ziemlich daneben liegen wird, auch wenn Thriller-erfahrene Zuschauer nach einer Stunde mögliche Bilder für einen Showdown im Kopf haben, bleibt der Film in jeder Minute spannend. Da ist die Entführung, die familiäre Tragödie der Vergangenheit, da sind die privaten Abgründe, all das ist fein austariert, es zerfasert nichts, weil sich die Handlung auf wenige aktiv handelnde Personen konzentriert. Noch gesteigert wird die Bedrohungssituation, als die Mutter der entführten Kinder zur „Komplizin“ des vermeintlichen Geiselnehmers werden muss, um Schlimmeres zu verhindern. Marleen Lohse, die in vielen ihrer bisherigen Filme gern etwas Sonnenschein ins Spiel mitbringt, überrascht in einer absolut ernsten Rolle ohne jegliches Augenzwinkern und überzeugt mit ihrer ausdrucksstarken Präsenz. Das ist umso bemerkenswerter als ihr Gegenspieler im Film – obgleich sie sich nur selten direkt begegnen – von Matthias Brandt verkörpert wird. Sein krankhaft klarer, unheimlicher Sprachduktus bestimmt den Ton ihrer Telefonate. Die Mutter, die nur erahnen kann, was diesen Psychopathen antreibt (sie weiß wenig von dem, was Frank, Winter & Co aus der Vergangenheit parallel recherchieren), gerät immer mehr unter Druck und steht unter Dauerstress. Als ihr dann auch noch per Video ein möglicher Täter gegenübergestellt wird, dabei durch Zufall der echte Entführer mit in der Reihe steht, er wie die anderen auch einen Satz sagen muss, kennt sie nun auch sein Gesicht und sie weiß, dass er im Hotel ist, ahnt aber auch, dass er die Kinder woanders versteckt hält. Also muss sie weiter schweigen.
Foto: Degeto / Esteve Franquesa Parareda
Der dreifache Grimme-Preisträger Schmidt („Mord in Eberswalde“) hat die ersten norddeutschen Krimi-Dorf-Geschichten fürs ZDF geschrieben und durch den Erfolg von Filmen wie „Der Tote in der Mauer“ (2008) und „Mörder auf Amrum“ (2010) auch den mittlerweile übertriebenen Provinzkrimi-Boom ungewollt mit losgetreten. Ab 2011 lieferte er die mit feiner Genre-Ironie durchsetzten Geschichten um Privatdetektiv Finn Zehender, gespielt von Hinnerk Schönemann. Für dieses Schauspielerunikat entwickelte Schmidt daraufhin die ARD-Reihe „Nord bei Nordwest“, die mit Melancholie, leicht variierten Genre-Schattierungen und zwei rothaarigen Traumfrauen (eine von ihnen wird von Marleen Lohse gespielt) seit 2014 Top-Quoten einfährt. „Sanft schläft der Tod“ steht allerdings in der Reihe seiner Event-Produktionen wie „Das Programm“, die Mord und Verbrechen weniger auf die leichte Schulter nehmen. Dieser Samstagskrimithriller besitzt aber durchaus eine gewisse Ironie. Wie Schmidt hier stilsicher mit Mustern und Strukturen aus Hollywood-Klassikern jongliert, wie er die Prinzipien dramaturgisch und wirkungsästhetisch durchdringt, anstatt sie nur als Versatzstücke zu zitieren – das ist einmal mehr großes Genreerzählen. Alles dreht sich mal wieder um die Mutter. Matthias Brandt wandelt Perkins-like auf „Psycho“-Spuren und Marleen Lohse gibt die gute Variante, die Löwenmutter, die es mit einem Dilemma Marke „Kaukasischer Kreidekreis“ zu tun bekommt, die Frau in Gefahr, die aus der Notlage heraus über sich hinauswächst. Und die anderen, die es am Ende richten müssen, sind ein ähnlich kaputter Haufen wie die „Helden“ der Spätwestern von Howard Hawks: ein Alkoholiker mit Stasi-Vergangenheit, ein seelisch angeschlagener Familienvater, ein Greenhorn und eine Hochschwangere. Sheriff und Hilfssheriff dagegen geben von Minute zu Minute ein schlechteres Bild ab. Und kurz vor Schluss wird mal wieder richtig schön geballert – und die Inszenierung des nächtlichen Schlussbildes vor einem pittoresk verfallenen Anwesen ist eine Auflösung wie in einem Hollywood-Klassiker. Fazit: ein dicht erzählter TV-Thriller, der spannend unterhält, keine Themen wälzt und höchsten Genre-Ansprüchen gerecht wird.