Das Leben von Samuel Njankouo Meffire ist eine jener Geschichten, die als Drehbuchidee womöglich durchgefallen wären. Ein junger Mann mit schwarzafrikanischen Wurzeln, aufgewachsen in einem ostdeutschen Plattenbau, entschließt sich zum völligen Unverständnis seiner revolutionsbewegten Freundin mitten in der Vorwendezeit, Volkspolizist zu werden: Das klingt in der Tat ausgedacht. Aber es kommt noch toller: Nach dem Ende der DDR wird Sam Mitglied einer schwarzen Gang, die dafür sorgt, dass eine Dresdener Diskothek nazifrei bleibt. Später gründet er eine eigene Sicherheitsfirma, gerät unter sinistren Einfluss, wird als mutmaßlicher Mörder gesucht und landet schließlich im Gefängnis.
Das Potenzial dieser Biografie eines Mannes, der zur Symbolfigur erklärt und zum Medienstar wurde, bevor er einen tiefen Absturz erlebte, ist offenkundig. Trotzdem ist es mehr als ungewöhnlich, dass der 2019 auch hierzulande gestartete Streamingdienst des Disney-Konzerns die Lebensgeschichte von Samuel Njankouo Meffire zum Inhalt seiner ersten deutschen Serie gemacht hat. Bei der UFA hingegen passt „Sam – ein Sachse“ perfekt zur Unternehmens-Philosophie: Die Produktionsfirma steht seit Jahren für Vielfalt. Das gilt längst auch für die Teams hinter der Kamera. Die traditionell eurozentrisch geprägte hiesige Medienbranche erlebt derzeit einen Wandel, der bereits zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt hat: Filme und Serien über Rassismus werden von Menschen erzählt, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon sie reden. Initiator der Serie war neben dem Autor und Produzenten Jörg Winger („Deutschland 83“) Tyron Ricketts, der mit seiner Firma Panthertainment eng mit der UFA zusammenarbeitet. Die Umsetzung ist maßgeblich von der deutsch-kurdischen Regisseurin und Drehbuchautorin Soleen Yusef („Deutschland 89“, 2020) geprägt worden. Co-Regisseurin Sarah Blaßkiewitz hat unter anderem das Drama „Ivie wie Ivie“ (2021) über zwei afrodeutsche Halbschwestern gedreht; die gebürtige Leipzigerin hat einen afrikanischen Großvater. An den Drehbüchern war außerdem Malina Nnendi Nwabuonwor beteiligt, zuletzt Koautorin bei „I don’t work here“ (2023).
All’ das ist Hintergrund und sagt noch nichts darüber aus, ob „Sam – ein Sachse“ sehenswert ist. Dafür sorgt allerdings neben der Handlung schon allein der Hauptdarsteller: Malick Bauer verkörpert die Titelrolle, die sich vom Helden zum Antihelden entwickelt, als ginge es um sein eigenes Leben. Der gebürtige Bremer mit der Figur eines Schwergewichtsboxers wird seiner Rolle in jeder Szene gerecht, ganz gleich, ob auf dem Fußballplatz, als liebender Freund, versagender Vater oder als Mitglied der VoPo-Truppe, die es im Herbst 1989 nicht erwarten kann, auf den Straßen Dresdens endlich Recht und Ordnung wiederherzustellen. „Du bist einer von uns“, versichert ihm ein blonder Kollege von der Bereitschaftspolizei; aber die anderen, fügt er sinngemäß hinzu, hätten in Deutschland nichts zu suchen. Kein Wunder, dass Sam, der in der ersten Folge von Neonazis krankenhausreif geprügelt worden ist, bei den Demonstrationen vor allem die Rufe der Ausländerfeinde hört. Buchstäblich wutschnaubend will der Polizist auf die Rechtsextremisten losgehen, aber weil sein Visier beschlägt, erkennen sie seine Hautfarbe nicht; einer klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
Neben der sehr besonderen und oft berührenden Hauptfigur, die ihre Umgebung mit Zitaten von Kierkegaard oder Kafka verblüfft, liegt der spezielle Reiz der siebenteiligen Serie in ihrer Genrevielfalt. Weil sich Sam wie ein Chamäleon regelmäßig den neuen Herausforderungen anpasst, ändert sich auch das Vorzeichen ständig. Die ersten beiden Folgen sind von den Wirren der Wende geprägt und ähneln dank des im Super-8-Format integrierten zeitgenössischen Materials den TV-Produktionen über den Untergang der DDR. Die zweite Episode erinnert mit ihrer Kameraderie allerdings auch an diverse umstrittene Hollywoodfilme aus den Achtzigern („Heartbreak Ridge“, „Die verwegenen Sieben“, „Full Metal Jacket“), in denen Soldaten auf den Kriegseinsatz vorbereitet werden. Folge drei wiederum nimmt mit der Aufbruchstimmung des Jahres 1990 einen völlig neuen Tonfall an. Als Sam zum Gesicht einer preisgekrönten Image-Kampagne wird („Ein Sachse“) und zur Polizei zurückkehrt, um nach dem Angriff auf ein Flüchtlingswohnheim in Hoyerswerda (1991) den rechten Terror zu bekämpfen, wandelt sich die mit großem personellem Aufwand hergestellte Serie zum Polit-Thriller. Später spielt sie vorübergehend im Kongo, um schließlich als Knastfilm zu enden.
Für zusätzlichen Abwechslungsreichtum sorgen die immer wieder neuen Mitwirkenden. Das sind neben Luise von Finckh und Svenja Jung als seine beiden großen Lieben vor allem Sams Mentoren, die für seine Suche nach einer Vaterfigur stehen: Thorsten Merten als Vorgesetzter bei der Bereitschaftspolizei, Tyron Ricketts als Alex, Kopf der schwarzen Gang, Martin Brambach als sächsischer Innenminister Heinz Eggert, der Sams Wunsch nach einer schlagkräftigen Soko gegen Rechts erfüllt. Dass keiner der drei seine Sehnsucht stillen kann und der Kampf gegen die Rechtsextremisten an politischen Kompromissen scheitert, hat entscheidenden Einfluss auf Sams Sinneswandel. Als seine Hoffnung, das System von innen zu verändern, scheitert, und er schließlich in seinem nicht zu bändigenden Zorn eine rote Linie überschreitet, gibt es kein Zurück mehr. Das antirassistische Subthema bleibt dennoch ständig präsent. Es wird gleich zu Beginn gesetzt, als Sams Freundin das gemeinsame Baby zur Welt bringt und seine Mutter Regine (Carina Wiese) ihr klar macht, sie habe „keine Ahnung, wie es ist, in diesem Land so ein Kind aufzuziehen.“ Für Spannung sorgt zudem die variantenreiche und durch eine sehr passende Songauswahl ergänzte Musik. Preiswürdig ist auch die exquisite Bildgestaltung (Stephan Burchardt, Max Preiss). Höhepunkt in dieser Hinsicht ist eine Zellenszene gegen Ende, als Sams lange Suche nach Heimat in einen optisch fulminant umgesetzten Gänsehautmoment der Erkenntnis kulminiert. (Text-Stand: 14.4.2023)