Rübezahl (Sabin Tambrea) ist ein Berggeist, der verschiedene Gestalten annehmen kann, er gilt als der Beschützer der Natur und lebt im Riesengebirge. Mit rechtschaffenen Menschen meint er es gut, aber er kann auch anders, wenn man seine Autorität infrage stellt oder ihn gar verspottet. Die zugereiste Baronin von Harrant (Catherine Flemming) wird diesen „Widerspruchsgeist“ noch kennenlernen. Die Hochwohlgeborene will ihre leeren Kassen mit dem Schatz des Berggeistes füllen. Helfen soll ihr dabei ausgerechnet ihre Magd Rosa (Henriette Confurius), die Rübezahl im Wald in der Gestalt eines schneidigen Jägers kennen und lieben gelernt hat. Eigentlich ist sie ja mit Erik (David Schütter) verlobt, doch der spielsüchtige Schustergeselle hat das Geld seines Meisters beim Kegeln mit Rübezahl verzockt und kann daher erst mal nicht in die Heimat und zu seiner Rosa zurückkehren. Die verrät in Sorge um ihre Mutter (Gitta Schweighöfer) derweil der Gräfin, die damit droht, die kranke Frau wegen Holzdiebstahls ins Gefängnis werfen zu lassen, wo die Springwurz wächst, jenes Kraut, das man benötigt, um in Rübezahls Schatzkammer zu gelangen. So könnte die erste Runde an die Gräfin gehen, zumal sie durch den Medicus (Thorsten Merten) über einen Betäubungstrunk verfügt, der dem übermächtigen Berggeist alle Sinne zu rauben verspricht.
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Über Rübezahl schrieb der Sagen-Sammler Johann Karl August Musäus 1783:
„Rübezahl ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar, bengelhaft, roh, unbescheiden, stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; schalkhaft und bieder, störrisch und beugsam.“
Im Gegensatz zu den einstündigen ARD-Märchenfilmen der letzten Jahre ist „Rübezahls Schatz“ eine abend- bzw. nachmittagfüllende Sagen-Verfilmung. Die Handlung ist entsprechend komplex. Die Titelfigur ist eine moralisch ausdifferenzierte Heldengestalt, es gibt zwei beziehungsweise drei Liebesgeschichten, eine klassische Intrige, und viele Szenen sind mehr als nur funktionale Plot-Gehilfen, sie werden ausgespielt und sorgen insgesamt für eine dichte Narration – und das wiederum intensiviert die Spannung. Stofflich & erzähltechnisch ist es also ein Märchenfilm nicht für die ganz Kleinen (für die wäre auch das 60-Minuten-Format geeigneter). Was dagegen alle Altersgruppen, speziell auch Erwachsene, ansprechen dürfte, ist die außergewöhnliche ästhetische Anmutung; sie macht den Film von Stefan Bühling nach dem Drehbuch von Bettina Janis zu einem Kleinod des Genres. Mit seiner filmsprachlichen Raffinesse, der ausgefeilten Lichtdramaturgie von Kameramann Ngo The Chau, der Arbeit mit natürlichen Lichtquellen und den Gegensätzen von Hell & Dunkel, Glamour & Armut, von Weit- & Großeinstellungen, erinnert er an ZDF-Produktionen wie „Die weiße Schlange“ oder „Die Schneekönigin“. Es beginnt mit einem aufwendigen Picknick im Grünen mit großer Besetzung und einem filmisch beeindruckenden finalen Unwetter: eine wunderbar sinnliche Exposition. Fast jede Szene besitzt einen besonderen Reiz. Das erste Aufeinandertreffen zwischen Rübezahl und Rosa wirkt beispielsweise wie ein keusches amouröses Vorspiel: Dass alles mit dem Spitzenhöschen von Rosas Herrin beginnt, ist eine kluge Buchidee, da auf diese Weise das Liebes-Erotik-Motiv vorweggenommen wird und dadurch das Gespräch auf die Gräfin kommt, die künftige Gegenspielerin des Berggeists.
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Nach der Brautwerbung folgt später die Verführung. Rübezahl lädt Rosa zu einem Ritt auf seinem Schimmel ein. Er zeigt ihr sein Reich und er demonstriert seine natürliche Stärke, hebt ab und fliegt mit ihr über das Riesengebirge. Das ist nicht nur für die Magd ein überwältigendes Erlebnis. Es ist die emotional eindringlichste Szene des Films – „Die unend-liche Geschichte“ lässt grüßen, zumindest vordergründig. Denn in „Rübezahls Schatz“ sind die sexuellen Konnotationen offenkundig, wobei es der liebreizend-natürlichen Ausstrahlung von Henriette Confurius (ab Januar wieder in „Tannbach“ zu bewundern) gelingt, den wölfischen Great-Pretender-Charme von Sabin Tambrea („Ku’damm 56“) noch zu überstrahlen. Damit obsiegt die romantische Liebe über die wilde, männliche Leidenschaft der Sagengestalt. Ein zweites Mal will sich Rosa auf einen solchen „schönen und unheimlichen“ Ritt dann auch nicht einlassen. Und dass der liebenswerte Berggeist, der bald sogar bei Rosas Mutter ein Stein im Brett hat, in deren Berghütte sich den Kopf anschlägt, ist ein früher Hinweis darauf, dass sich mit einem solchen Freiheits- und Frischluft-Liebhaber zwar (erotische) Abenteuer erleben lassen, aber nur sehr schwer so etwas wie Familienalltag realisieren lässt. Es sind also besonders die Subtexte, die diesen Märchenfilm auch für Erwachsene interessant machen. Noch ein weiteres universales Muster kommt in der Geschichte zum Tragen: Ein souveräner Wünsche-Erfüller trifft auf eine sozial unterprivilegierte junge Frau: Diese Kombination macht sich immer gut – am erfolgreichsten sicherlich in „Pretty Woman“. Und die Hochzeit von Rosas Freundin wird zum Fest der Wunschbefriedigung: Ein guter, menschenfreundlicher Zauberer und die Variation des „Tischlein deck dich“-Motivs machen „Rübezahls Schatz“ zwischenzeitlich zu einem Wohlfühlmärchen, doch dann ist die Gräfin an der Reihe, die Spannung steigt – und es stellt sich die Frage: Wird die Heldin das wilde Wesen bändigen können? (Text-Stand: 25.11.2017)