In Kombination mit dem Sendeplatz ist der Titel „Wo dein Herz wohnt“ im Grunde eine Tautologie, schließlich zeigt das ZDF seine Pilcher-Verfilmungen im Rahmen des „Herzkinos“. Außerdem wird die Botschaft der meisten Geschichten oft genug auch laut ausgesprochen: „Hör’ auf dein Herz!“ Der Satz fällt auch in diesem Film, zumindest sinngemäß („Vergiss nicht, wo dein Herz hingehört“), aber zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, wie sich die junge Schottin Lilli (Anna Herrmann) entscheiden wird. Dass ihr das nicht leicht fällt, lässt sich gut nachvollziehen, denn selbstredend geht es nicht nur um den Wohnort, sondern auch um die große Liebe. Dabei ist Lillis Herz längst vergeben, aber mitten in die Hochzeitsvorbereitungen platzt die Nachricht, dass sie ein Haus in Cornwall geerbt hat; ein Cousin ihrer Mutter hat es ihr vermacht. Neugierig reist sie in den englischen Südwesten, denn sie weiß nicht viel über ihre leiblichen Eltern. Ihr Vater ist als Soldat im Nordirlandkonflikt gestorben, ihre Mutter bei einem Unfall, als sie vier war; ein schottisches Paar hat sie adoptiert. Das Erbe entpuppt sich als ihr einstiges Elternhaus; Lilli kann gerade noch verhindern, dass Makler Bernie Taylor (Peter Kremer) das Haus versteigert. Seine Frau Carol (Marita Marschall) betreibt ein Bed & Breakfast ganz in der Nähe; ihr Sohn Ian (Jens Atzorn) hat als Junge öfter auf die kleine Lilli aufgepasst. Er ist Psychologe und bietet ihr an, die verschütteten Erinnerungen mittels Hypnose auszugraben. Prompt stößt Lilli auf ein Geheimnis, das den Tod ihrer Mutter in ganz anderem Licht erscheinen lässt; und dass Ians Interessen keineswegs bloß altruistischer Natur sind, findet sie auch ganz schön.
Foto: ZDF / Jon Ailes
Das Drehbuch stammt von den beiden erfahrenen Autoren Martin Wilke und Jochen S. Franken, die gemeinsam schon rund zwei Dutzend mal fürs „Herzkino“ tätig waren. Und weil das ZDF auf diesem Sendeplatz gern vermittelt, dass man nie zu alt für die Liebe ist, gibt es noch einen weiteren romantischen Erzählstrang: Makler Taylor hat Carol vor Jahren für eine attraktive Frau (Sarah Maria Besgen) verlassen, die im Alter seiner Tochter wäre, wenn er eine hätte, aber nun würde er gern reumütig zurückkehren, was zur Folge hat, dass ihm sein Sohn des Öfteren väterliche Ratschläge erteilt. Die Geschichte mag nicht vor Originalität bersten, aber sie ist auch keine plumpe Kombination sattsam bekannter Versatzstücke; gute Voraussetzungen für einen Sonntagsfilm, der die Erwartungen der Zielgruppe erfüllt und vielleicht auch ein etwas anspruchsvolleres Publikum ansprechen könnte. Dass das nicht funktioniert, liegt ausgerechnet an der Umsetzung; dabei ist Stefan Bühling alles andere als ein „Herzkino“-Routinier, der die Vorgaben des Sendeplatzes im Schlaf erfüllen könnte. Der Regisseur (Jahrgang 1972) ist zwar deutlich zu alt, um noch als Nachwuchs zu gelten, hat aber erst 2015 seine Langfilmpremiere feiern können: „Die weiße Schlange“ war ein gut gespieltes und kunstvoll fotografiertes Weihnachtsmärchen für die ganze Familie. Ein Jahr später folgte „Rübezahls Schatz“, ebenfalls sehenswert. Gemessen an diesen beiden Arbeiten ist „Wo dein Herz wohnt“ ein erheblicher künstlerischer Rückschritt. Der Film wirkt, als habe Bühling die Arbeit erfahrener Pilcher-Regisseure studiert, um das Muster bis ins Detail kopieren zu können. Aus Sicht der Redaktion wie auch der Produktionsfirma ist das vermutlich eine gute Nachricht, schließlich sollen die verschiedenen Episoden wie aus einem Guss wirken, aber so wird natürlich die Chance vertan, der angestaubten Reihe neue Impulse zu verleihen. So jedoch gibt es spätestens alle fünf Minuten einen Küstenflug, und die Musik ist regelmäßig mehr als nur eine Spur zu süßlich oder zu dramatisch; als sich Lilli und Ian das erste Mal küssen, selbstredend mit Meerblick, klingt die Untermalung geradezu orgastisch. Immerhin hat Patrick M. Schmitz das englisches Volkslied „Greensleeves“, das Lillis Mutter früher immer am Klavier gespielt hat, sehr schön in seine Komposition integriert.
Foto: ZDF / Jon Ailes
Natürlich hat auch das nicht minder schematische Drehbuch seinen Anteil an der Betulichkeit. Nach dem Kuss ist es nur eine Frage der Zeit, bis Lillis Verlobter (Tobias van Dieken) auftaucht, und selbstredend disqualifiziert er sich umgehend, als er im Gegensatz zum Frauenversteher Ian keinerlei Verständnis dafür hat, dass Lilli das Geheimnis um den angeblichen Suizid ihrer Mutter lüften will. Ians Dialoge wiederum bestehen größtenteils aus lehrbuchartigen Merksätzen, die in ihrer Schlichtheit aus einem Abreißkalender für Psychologen stammen könnten. Die Frauen benutzen Formulierungen wie „Ich trage mich ernsthaft mit dem Gedanken…“ oder Begriffe wie „Zugehfrau“; auch das klingt nur bedingt nach 21. Jahrhundert. Vor dem Beginn des letzten Akts, als Lilli gleich mehrere Entscheidungen treffen muss, die ihr Leben verändern werden, holt der Film noch mal Luft und schaut spätabends bei den wichtigsten Personen vorbei; ein weiteres Versatzstück, das in dieser Art Fernsehen ebenso unverzichtbar ist wie die Cabrios der weiblichen Hauptfiguren. Selbst die erste Begegnung von Ian und Lilli stammt aus dem Romanzenbaukasten. Die einzige halbwegs originelle Einstellung gibt es gleich zu Beginn, als ein Foto des Hauses lebendig wird, aber den Auftraggebern wird ohnehin wichtiger gewesen sein, wie schön Kameramann Jochen Stäblein die Landschaft filmt. Immerhin sind Jens Atzorn und Anna Herrmann in ihrer ersten Fernsehfilmhauptrolle ein glaubwürdiges Paar. Trotzdem hätte das ZDF das Pilcher-Jubiläum – die Reihe ist im Oktober 1993 gestartet – mit einem besseren Film feiern können, aber das ist natürlich die Perspektive von außen; für den Sender ist „Wo dein Herz wohnt“ womöglich der perfekte Film zum Jahrestag.