Wie im wirklichen Leben hat auch die erste Begegnung mit einer Filmfigur großen Einfluss darauf, ob sie fortan positiv oder negativ besetzt ist. Witwer Eric (Herbert Ulrich), der mit seinen beiden Töchtern ein Gedenkritual für seine verstorbene Frau durchführt, wird als liebenswert und feinfühlig betrachtet; Mitgefühl ist ihm gewiss. Seinen Bruder Anthony dagegen erlebt man als autokratischen Arbeitgeber. Außerdem spielt Roman Knižka in Frauenfilmen stets entweder den jungenhaften Liebhaber oder den unsympathischen Nebenbuhler mit Gel im Haar; hier ist es die Gel-Variante. Da Anthony trockener Alkoholiker ist, wartet man förmlich darauf, dass er irgendwann wieder frustriert zur Flasche greift.
Dass er das nicht tut, ist eine der wenigen Überraschungen dieser Rosamunde-Pilcher-Adaption mit dem angesichts ihrer Vorhersehbarkeit an Selbstironie grenzenden Titel „Vollkommen unerwartet“, zumal sich die Inszenierung durch den Sonntagsfilmroutinier Marco Serafini an den üblichen „Herzkino“-Modalitäten orientiert. Davon abgesehen ist der Film eine glaubwürdig gespielte und immer wieder amüsante Liebesgeschichte, die es sogar verkraftet, dass sie aus sattsam bekannten Versatzstücken von den Autoren Martin Wilke und Jochen S. Franken zusammengesetzt wurde und sich in Form eines typischen Talkshow-Themas zusammenfassen lässt: Hilfe, ich liebe die Freundin meines Bruders!
Foto: ZDF / Jon Ailes
Erics erste Begegnung mit Hannah (Natalia Avelon), der zweiten Frau seines Lebens, ist indes eher unangenehm: Infolge eines Missgeschicks haben er und seine Töchter eine Strohfigur in Brand gesetzt. Flugs brausen sie mit dem Auto davon, werden aber von einer Polizistin gestoppt. Sie lässt Eric jedoch weiterfahren, weil sie zu dem Brand gerufen wird; in der Gegend wütet ein Feuerteufel. Später treffen sich die beiden in einer Drogerie wieder. Dass er die attraktive Polizistin ohne Uniform nicht erkennt, ist zwar etwas unglaubwürdig, für den weiteren Verlauf aber auch gleichgültig. Zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Gattin empfindet Eric wieder etwas für eine Frau. Umso größer ist der Schock, als sich herausstellt, dass Hannah mit Anthony liiert ist. Für den Bruder ist sie zudem ein rettender Engel, weil sie ihn vor einem Rückfall bewahrt hat. Eric und Hannah behalten ihr Geheimnis für sich, gehen sich aber gegenseitig auch nicht mehr aus dem Kopf, und so kommt eins zum anderen.
Das Buch ergänzt den überschaubaren Handlungskern um einige plausible Nebenschauplätze: Die beiden Brüder sollen die vor der Pleite stehende Segelbootwerft ihrer Mutter (Uschi Glas) übernehmen; Eric ist für den kreativen Part zuständig, Anthony muss das Geld zusammenhalten, weshalb es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit dem Produktionsleiter kommt. Der Mann ist auch Chef der freiwilligen Feuerwehr und wird am Ende für ein vergleichsweise dramatisches Finale sorgen. Eric wiederum liegt ständig im Clinch mit seiner 17jährigen Tochter, die unbedingt mit einem Freund die Welt umsegeln will. Während ihre Motive ökologischer Natur sind, weil sie mit der Aktion auf die Verschmutzung der Meere hinweisen will, sorgt er sich vor allem um ihre Jungfräulichkeit; das führt zu einer witzigen Szene, als er unbeobachtet erfährt, dass er sich diese Sorge schon seit zwei Jahren sparen kann. Ähnlich amüsant ist der Gastauftritt von Komödiantin Ruth Moschner als „Fette Fiona“, die sich zur großen Verblüffung der beiden Männer in eine Sexbombe verwandelt hat und gemeinsam mit Ulrich eine gesanglich und tänzerisch eindrucksvolle Karaoke-Version des Duettklassikers „Something Stupid“ von Frank und Nancy Sinatra zum Besten gibt.
Während Seriendarsteller Ulrich („Verbotene Liebe“, „Dahoam is dahoam“) als romantischer Held kaum etwas falsch machen kann und vor allem gut aussehen muss, hat Knižka als tragische Figur die deutlich interessantere Rolle: weil er von Anfang an gegen das durch Anthonys Einführung geweckte Vorurteil anspielen und sich vom Makel des Gegenspielers emanzipieren muss. Der Rest sind die üblichen Sonntagsbilder und gut vorgetragene Dialoge. Die Musik allerdings, auch das ein typisches „Herzkino“-Phänomen, ist viel zu aufdringlich.