Es ist nicht leicht, mit einem Mann zu leben, der die Hälfte des Jahres fern der Familie verbringt. Rebecca Kendall hat nach über 20 Jahren gelernt, damit umzugehen. Zwar hat die gebürtige Deutsche ihre Karriere als Balletttänzerin für ihren Richard einst aufgegeben, aber mit ihren beiden flügge gewordenen Töchtern wird es ihr nie langweilig. Eloise eifert ihr nach; sie ist eine begabte Tänzerin. Die jüngere Gemma ist impulsiver; sie möchte Meeresbiologie studieren. Rebecca ahnt nicht, dass ihr Mann die materielle Existenz seiner Familie seit Monaten aufs Spiel setzt: Das ganze Vermögen ist in eine Goldmine in Kanada geflossen, auch ihr hochherrschaftlicher Wohnsitz ist längst beliehen. Richards Tod nach einem Flugzeugabsturz öffnet Rebecca die Augen. Was sie allerdings noch nicht weiß: Ihr Mann führt seit Jahren in Kanada eine Zweit-Ehe und hat mit seiner anderen Frau einen Sohn. Jene Natalie Kendall erfährt es als erste; sie ist geschockt. Sie will diese Frau kennenlernen, die die älteren Rechte hat und Richard begraben durfte; sie reist nach England, wo sie sich im Cottage der anderen Kendalls einquartiert. Rebecca will es ohne Mann schaffen, sich und die Töchter durchzubringen – mit dem Verkauf der Minenanteile, aber auch mit Vermietungen und der Rückkehr in ihren Beruf. Gleich zwei Männer sind bereit, mit ihr den Weg aus der Krise zu gehen: Richards Bruder, der Rebecca immer schon begehrt, & Harry, der neue Nachbar.
Foto: ZDF / Mike Alsford
„Die andere Frau“ zeigt die andere Möglichkeit, wie sich Rosamunde-Pilcher-Stoffe verfilmen lassen. Wie zuletzt in dem „Vier Frauen“-Vierteiler haben diese 180 Minuten wenig gemeinsam mit den ungelenken, dramaturgisch wie ästhetisch grob geschnitzten Holzschnitt-Melos, die das ZDF seit 20 Jahren nicht müde wird den Zuschauern zu präsentieren. In diesem Familien-Epos von Giles Foster wirkt nicht nur alles größer (das Anwesen), breiter (die Landschaft), schöner (die Frauen), echter (die Gefühle), sondern einfach auch handwerklich besser. Die „Übersetzung“ von Literaturmotiven in Dramaturgie und in eine Sinnlichkeit der Inszenierung funktioniert fast ähnlich gut wie bei anderen very britischen (literarisch besseren) Familiendramen aus der feinen Gesellschaft. Die Familienverhältnisse (wer eifert wem nach? Wer ist wessen Liebling?) sind zumindest küchenpsychologisch stimmig ausgeleuchtet. Durch den längeren Atem bekommt der Film – so absurd es klingen mag – zudem einen realistischeren, stärker am Alltag orientierten Erzählrhythmus, der nicht nur die Handlung bestimmt, sondern auch den „Realismus der Gefühle“ betont: Es dauert seine Zeit, bis die Frauen über den Betrug des geliebten Ehemanns einigermaßen hinwegkommen. Auch ein anderer Betrug – die Primaballerina-Tochter mit Hang zur Primadonna hat den Freund der jüngeren Schwester zum Sex genötigt – wird nicht ruckzuck weggelächelt. Alle Handlungsfäden werden am Ende zur Zufriedenheit aller (es gut meinenden!) Figuren aufgelöst. Nur was die Musik angeht, nehmen die Macher das Genre Melodram mal wieder zu wörtlich – dabei gibt es in diesem Zweiteiler durchaus Sätze, die man verstehen sollte.
Wie bei allen englisch-deutschen Pilcher-Verfilmungen funktioniert der internationale Schauspieler-Mix ausgezeichnet. Neben Brit-Star Rupert Everett macht die gleichermaßen Drama wie Melodram erprobte Natalia Wörner in der Hauptrolle eine gute Figur. Im Fernsehen der „starken“ Frauen, die immer wissen, was sie zu tun haben, wirkt die weibliche Hauptfigur Rebecca angenehm wertkonservativ – sprich: altruistisch und integer. Verständlich ist nach dem Schock ihre Unsicherheit, was andere Männer angeht, verständlich auch der Versuch, mit allen Mitteln die Familie zusammenzuhalten. Verzeihlich ist auch ihre vermeintliche Blauäugigkeit in ihrer Ehe, hinter der sich die nicht unrealistische Angst versteckt, dieses ganze schöne Leben verlieren zu können: also lieber nicht dran rühren! Ungewöhnlich ist allerdings, welche Rolle jene Rebecca Kendall dramaturgisch spielt. Als ob es nicht genug wäre, dass diese Frau nicht nur viele Jahre von ihrem Mann an der Nase herumgeführt wurde, der Drehbuchautor macht sie zur doppelt Betrogenen: Sie ist die Ahnungsloseste im Spiel um Treulosigkeit und Betrug, um Selbstfindung und Liebe, um Sterben und Verzeihen. Ihr Charakter wird der Fallhöhe geopfert. Und da haben wir sie wieder, Rosamunde Pilcher, die ihre Figuren vorzugsweise zum Spielball des Schicksals werden lässt. In „Die andere Frau“ fällt einem das aber seltener ins Auge als in vielen anderen Adaptionen: Der entspannte Erzählrhythmus entzerrt angenehm die Dramatik der Ereignisse.
Foto: ZDF / Mike Alsford