“Agentinnen aus Liebe” nannte man sie, die Frauen, auf die Ende der 50er Jahre Ost-Spitzel angesetzt wurden, um sie als Spione für die DDR zu werben. Es waren Frauen ab 30, mit wenig Selbstbewusstsein und emotional unerfüllt, eine sichere Beute für jene staatseigenen Liebhaber. Rund 40 Mal lief das gleiche Schema ab: verliebt, verlobt, verkauft an die HVA, die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit. Für die sogenannten “Romeos” war es ein Job, ein politischer Auftrag, für die Julias Landesverrat und Lebenslüge, ein tragischer Selbstbetrug, der manch eine Existenz tragisch zerstörte.
Erst jetzt hat sich der Fernsehfilm dieses deutsch-deutschen Stoffes angenommen. “Romeo” von Ruth Toma und Hermine Huntgeburth erzählt von einer ebenso tüchtigen wie unauffälligen Sekretärin, Anfang 50 und seit über 25 Jahren im Bayerischen Innenministerium tätig, die unerwartet von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Zwei Jahrzehnte hat sie für die DDR spioniert. Jetzt macht man ihr den Prozess. Im Gerichtssaal sieht sie die vermeintliche “große Liebe ihres Lebens” wieder, jener Ost-Agent, der sie schwängerte und sich danach schleunigst in die DDR absetzte, zu Frau und Kind. Erst bei der Verhandlung gehen ihr die Augen auf: die Liebesschwüre, die Heirat in Ost-Berlin, die Schwiegereltern, die Anekdoten aus der Kindheit – alles Lüge. Eine zynische Komödie im Namen der Stasi.
Foto: ZDF / Erika Hauri
“Es ist schon eine perfide Idee, Staatsgeheimnisse mit Liebe zu erkaufen”, so die Autorin Ruth Toma. “Trotzdem entbehrt es nicht grotesker Komik, wenn Stasi-Offiziere nicht mit Panzern und Granaten, sondern mit Charme und Potenz angerückt kommen.” Die Absurdität, wie Staatsräson mit der Banalität des Alltags verkuppelt wurde, sollte bei aller Tragik im Film nicht zu kurz kommen. Die große Politik trifft auf die Sehnsucht nach dem kleinen Glück. Da stellt sich in der Realität auch die Frage, ob die liebesbedürftigen Vorzimmerdamen nicht doch mehr wussten. “Es gab tatsächlich mehrere Fälle, wo die Frauen bis zum Schluss nicht einmal wussten, für wen sie spionierten. Oder es auch nicht wissen wollten”, sagt Toma. Bei Frauen mit großen Vorbehalten gegenüber dem Kommunismus war von einer Friedensorganisation die Rede. “Das klang humanistisch, und dafür nahm man das schlechte Gewissen gerne hin.”
Die renommierte Autorin, hat die Bücher, die die Fälle beschreiben, alle gelesen. Doch die Geschichte von Lotte, die Martina Gedeck gewohnt eindrucksvoll und uneitel spielt, ist fiktiv; sie wurde allenfalls angeregt durch einige Momente aus den realen Schicksalen. Dass die Romeos die Geburtstage ihrer falschen Identität feiern, las Toma bei Gabriele Kast. Eine groteske Situation, die sie zu einer Film-Szene inspiriert hat. Aus den Biographien der Frauen übernahm sie auch das psychische Profil der Heldin: “Wir suchten Frauen, die sich minderwertig fühlen und erst durch einen Mann ein bisschen Selbstbewusstsein entwickeln”, heißt es im Film. Die Zielobjekte waren oft katholisch, autoritär erzogen, kamen vom Land.
Martina Gedeck hat ihrer Lotte jenen Mut der Verzweiflung mitgegeben, der sie am Selbstmord hindert. “Die junge Lotte ist eine lustige, sehr lebendige Frau, die ältere ist tapfer und keineswegs verbittert”, beschreibt sie ihre Figur. Auch die doppelte Enttäuschung über die geheuchelte Liebe einerseits und andererseits darüber, dass der Staat nur sie zur Verantwortung zieht, versucht Gedeck in ihrem Spiel zu mildern. In ihr ist kein Hass spürbar. Sie hat schließlich ein Kind mit ihrem Romeo. Das große Talent Kathrin Bühring (“Jah- restage”) spielt die Tochter und sie steht in nichts der namhaften Kollegin nach. “Sie ist das Kind dieser Ehe, in ihr spiegelt sich die Lebenslüge ihrer Mutter”, so die 23-Jährige. Die Beziehung zur Tochter ist es auch, die im Film eine Perspektive für die Zukunft gibt. Toma: “Es besteht die Chance, die große Lebenslüge gemeinsam mit der Tochter zu bewältigen.”
Die Biographien der realen “Agentinnen aus Liebe” verliefen tragischer: Einige wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt, andere begingen Selbstmord. Das ZDF aber wollte keinen allzu deprimierenden Film machen, ohne dabei die Geschichte hinter der Geschichte zu verraten. “Weiter ins Unglück und in den Alkohol zu treiben – das wäre einfach kein Film”, findet Ruth Toma. So könnte “Romeo”, dieses in spannenden Zeitsprüngen erzählte und angenehm verhalten gespielte Fernsehspiel, das Hermine Huntgeburth mit dem Auge für kleinste Nuancen kongenial inszenierte, nicht nur für Kritiker, auch für ein Millionen-Publikum zu einem TV-Ereignis werden, das man nicht so schnell vergessen wird. (Text-Stand: 2001)