Reiterhof Wildenstein – Neuanfang / Der Junge und das Pferd

Klara Deutschmann, Lacher, Lüttichau, Stoll, Hoerl. Dramaturgie für Anfänger

Foto: Degeto / Marc Reimann
Foto Rainer Tittelbach

„Reiterhof Wildenstein“ (Neue Bioskop Television) geht in die zweite Runde. Und es bleibt dabei: Die Heldin der ARD-Degeto-Reihe, die von Klara Deutschmann erfrischend gespielt wird, kann besser mit Pferden als mit Menschen. In „Neuanfang“ schwebt über allem ein unglückseliger Verkehrsunfall, der über die Jahre für Tier und Mensch gleichermaßen ein Trauma geblieben ist. Und in „Der Junge und das Pferd“ sind es eine Stute und ein Kind, denen es an Zuwendung fehlt. Dieses Double-Feature lässt sich nicht mehr so wohlwollend betrachten wie die beiden Start-Episoden. Die alten Konflikte aus dem Setzbaukasten für Unterhaltungsfilm-Reihen werden einfach um 180 Minuten verlängert. Aber weshalb muss die Heldin erst durch die soapigen Klischee-Konflikte gehen, um (hoffentlich!) irgendwann einmal dem Zuschauer Pferdetherapie & therapeutisches Reiten näherbringen zu dürfen?

Familienstreitigkeiten, Geldsorgen des Reiterhofs und drei eigenwillige Pferde
Heimkehrerin Rike (Klara Deutschmann), einst eine erfolgreiche Turnierreiterin, hat den Reiterhof übernommen. Pferde zu Höchstleistungen zu treiben, nur damit sie möglichst viele Preisgelder einkassieren, dieser Philosophie ihres Bruders Ferdinand (Shenja Lacher) und seiner Partnerin Loretta (Susu Padotzke) hat sie abgeschworen. Rike hingegen setzt auf tiergerechtes Reiten und verfolgt einen therapeutischen Ansatz. Ihr neues Konzept droht jedoch zu scheitern, da ihr der Prüfer vom Veterinäramt (Fritz Egger) das Leben schwer macht – und den Hof für Reitergruppen und Pensionspferde schließen lässt. Neben der Existenzfrage belastet Rike nach wie vor das Schicksal ihres Lieblings Jacomo, dem von Loretta offenbar illegale Substanzen gespritzt werden, damit er sich von ihr reiten lässt. Aber auch Leo, ein hypersensibler Wallach, bereitet der Pferdeflüsterin Sorgen. Und eine weitere Belastung bleibt nach dem Tod des Wildenstein-Patriarchen Mutter Elsa (Ulli Maier), mit deren Stimmungslage es nicht zum Besten steht. Selbst als ihre lebensfrohe Schwester Michi (Michaela May) auftaucht, mit dem Plan, auf dem Hof zu wohnen, ändert sich daran erst einmal wenig.

Reiterhof Wildenstein – Neuanfang / Der Junge und das PferdFoto: Degeto / Marc Reimann
Man spürt die Absicht und … Wenig Schwung bringt bisher die flotte Michi (Michaela May), Rikes Tante, in die maue Handlung.

Eine fast absurde Häufung vergangener Geschichten, die viel zu ernst genommen wird
Es bleibt dabei: Die Heldin der ARD-Degeto-Reihe „Reiterhof Wildenstein“ kann besser mit Pferden als mit Menschen. Weshalb, das wird in den beiden neuen Episoden angedeutet, aber erfreulicherweise nicht übertrieben (küchenpsychologisch) vertieft. Schließlich gibt es ja schon genug, was die anderen Protagonisten aus der Vergangenheit mitschleppen. In „Neuanfang“ schwebt über allem ein unglückseliger Verkehrsunfall, der über die Jahre für Tier und Mensch gleichermaßen ein Trauma geblieben ist. Und in „Der Junge und das Pferd“ sind es eine Stute und ein Kind (Mika Ullritz), denen es in den letzten Jahren an Zuwendung fehlte – und die, die sich zu wenig gekümmert haben, sind ausgerechnet Jan Maier (Stefan Pohl), der Dorfpolizist, der ein Auge auf Rike geworfen hat, und eine freigeistige Künstlerin (Dorka Gryllus). Für die horizontale Erzählung spielen noch immer eine zentrale Rolle Rikes schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Bruder, den sie einst – der Willkür des Vaters ausgesetzt – allein auf Wildenstein zurückließ, und eine lange verheimlichte Vaterschaft: Ferdinand ist ein Kuckuckskind, gezeugt von Elsas großer Liebe, dem Tierarzt Georg Stadelmeier (Helmfried von Lüttichau). Einige wissen es, Ferdinand nicht. Und um die Verwicklungen komplett zu machen: „Die lockere und leichte Michi“, wie sie die offenbar eifersüchtige Schwester nennt, hatte mal etwas mit dem steifen Anwalt der Familie (Gerd Anthoff). Diese Häufung alter Geschichten ist schon fast absurd, wird aber leider nicht so präsentiert, sondern eher Heimatkomödien-like überzeichnet („Das ist doch nicht etwa meine Verflossene“).

Die ersten beiden Episoden, „Die Pferdeflüsterin“ und „Kampf um Jacomo“, leben von ihrer besonderen Mischung, der Art und Weise, wie in ihnen dieser nicht klischeefreie Mikrokosmos etabliert wird. Die Narration verbindet altbekannte Genre-Versatzstücke mit hochemotionalen authentischen Momenten und einem knappen alltagsnahen Umgangston, und das ästhetische Herzstück ist die dramaturgische Dichte, die man als Zuschauer erst im Verlauf der Handlung zu schätzen lernt. (aus der „Reiterhof Wildenstein“-Kritik vom 20.4.2019)

Reiterhof Wildenstein – Neuanfang / Der Junge und das PferdFoto: Degeto / Marc Reimann
Die Dramaturgie der alten Schule erschwert das Aufkommen echter Gefühle (beim Zuschauer). Schade für Klara Deutschmann!

Statt Character Driven immer nur diese ewige Konfliktdramaturgie für Anfänger
Das Double-Feature 2020 lässt sich nicht mehr so wohlwollend interpretieren wie die beiden Start-Episoden. Ähnliche Problemlagen, die gleiche Dramaturgie zwar und auch Klara Deutschmann bleibt ein sympathischer Hingucker – das Ganze ist aber nicht nur eine Verlängerung der alten Konflikte, sondern auch ein Griff in den Setzbaukasten für U-Filmreihen, in denen es um mittelständische Unternehmen geht. Jetzt spätestens nerven die immergleichen Kämpfe, die man aus „Weingut Wader“ oder „Hotel Heidelberg“ (hier in einer zeitgemäßen Dramaturgie) kennt: das Damoklesschwert der Insolvenz und das Verdrängte der Familiengeschichte. Wer’s noch sehen mag, bitte! Den Kritiker jedenfalls nerven diese immergleichen narrativen Krücken für die Handlung. Weshalb lässt man die Heldin nicht ihren Weg gehen – wie es beispielsweise in „Käthe und ich“ dem Hundepsychologen ins Reihen-Konzept geschrieben wurde? Warum muss es immer so viel Plot sein und warum lässt man sich nicht auf die Charaktere ein? Und warum muss die Heldin erst durch die Klischee-Konflikte deutscher Seifenopern gehen, um (hoffentlich!) irgendwann einmal dem Zuschauer Pferdetherapie und therapeutisches Reiten näherbringen zu dürfen? Wenn wenigstens die Interaktionen, wechselnden Koalitionen und Motive für menschliches Verhalten nicht so offensichtlich wären: Hier der nette Polizist, den Rike belügen muss, weil sie sonst andere liebe Menschen verraten müsste; dort der Bruder, der den Machenschaften der Partnerin auf die Schliche kommt; und auch das ungleiche Schwestern-Zweigestirn sticht einem mehr als dramaturgisches Versatzstück ins Auge, als dass es die Familiengeschichte beleben würde.

Wenn Pferde & Therapieansätze ins Spiel kommen, findet die Reihe einen eigenen Ton
Was wurde nicht alles im Vorfeld zu den Auftaktepisoden PR-mäßig aufgefahren: Von einer „Revolution im Dressurreiten“ und dem „reichen Fundus jahrzehntelanger Reiterfahrung“ der Drehbuchautorin Andrea Stoll war da noch die Rede. In der Tat sind die wenigen Szenen, in denen versucht wird, die Pferde mit Therapieübungen von ihren Traumata zu heilen, oder in denen die Heldin mit einem der Wildfänge durchs Oberbayerische galoppiert, die interessantesten und abwechslungsreichsten Momente der 180 Minuten. Auch die hierzulande beliebte thematische Spiegelung von A- und B-Plot, besonders deutlich in „Der Junge und das Pferd“, wo es um die Vernachlässigung der Titelfiguren geht, ist eine Dramaturgie von gestern. Gleiches gilt für das künstliche Zurückhalten von Informationen („Wir hätten Ihr die ganze Wahrheit sagen sollen“), die heutzutage und in diesem Kontext kaum noch für wirkliche Spannung sorgt, sondern dem etwas aufgeklärteren Zuschauer nur noch ein Kopfschütteln oder Gähnen abringt. Und dass alles mit allem zusammenhängen muss, das kann durchaus in manchen Genres noch gut funktionieren, in einer Reihe wie „Reiterhof Wildenstein“ betont das aber die Allmacht einer Erzählinstanz, die die Figuren zur Verhandlungsmasse degradiert.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Klara Deutschmann, Ulli Maier, Shenja Lacher, Helmfried von Lüttichau, Michaela May, Gerd Anthoff, Stefan Pohl, Susu Padotzke, Nele Trebs; (1): Fritz Egger, Benjamin Kramme, (2): Dorka Gryllus, Mika Ullritz

Kamera: Leah Striker

Szenenbild: Patrick Steve Müller

Kostüm: Mo Vorwerck

Schnitt: Anna Kappelmann

Musik: Matthias Hauck, Nepomuk Heller, Florian Kiermaier

Redaktion: Sascha Mürl, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Neue Bioskop Television

Produktion: Christian Balz, Dietmar Güntsche

Drehbuch: Andrea Stoll

Regie: Teresa Hoerl

Quote: (1): 3,16 Mio. Zuschauer (10,7% MA); (2): 3,89 Mio. (12,9% MA)

EA: 16.10.2020 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 23.10.2020 20:15 Uhr | ARD

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