In was für eine schreckliche Familie wurde da der kleine Robert hineingeboren?! Seine Mutter, die ihn abtreiben wollte, eine hysterische Rabenmutter, die sich bald auf Nimmerwiedersehen aus seinem Leben verabschiedete. Sein Vater ein sexsüchtiger Egomane, der den Frust über sein mangelndes Schreibtalent am Sohn abreagiert. Gegen diese Eltern sind die Großeltern die reinste Wohltat. In der fränkischen Provinz genießt Robert die Vorschulzeit bei Omi und Opa Freytag, die endlich die Ernte eines beschwerlichen Kleinbürgerlebens einfahren können. In der Wohlstandshölle der bourgeoisen Eltern seiner egozentrischen Mutter erlebt er seine pubertäre Trotzphase, die ihm zu einem Aufenthalt in einem Internat verhilft. Ständig hin und her gerissenen zwischen deutscher Gartenzwerg-Romantik, kaltherziger Bohème-Libertinage & selbstgefälligem Neureichen-Neurosen findet Robert nur schwer seinen Platz in der Welt. In der Pubertät beginnt er, sein Leben selbstbestimmter zu führen – er bricht endgültig mit seinen Eltern, sucht die Verlässlichkeit der bürgerlichen Ordnung und macht seinen Nazi-Großvater und die duldsame Frau an seiner Seite, beider Leben in zunehmend friedlicher Koexistenz, als die wichtige Quelle seines jungen Lebens aus – und verliebt sich.
Filmemacher Oskar Roehler hat sich mal wieder seiner Horror-Familie angenommen. „Quellen des Lebens“ nach seinem autobiographischen Roman „Herkunft“ ist eine 169-minütige Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, mit Traumata und Verletzungen der Kindheit und mit dem pubertären Aufbruch in eine vielleicht glücklichere Lebensphase. Der Film – stilistisch wie Douglas Sirks Meisterwerke zwischen Melodram und Kunstfilm angesiedelt – ist ein nach den Regeln des Entwicklungsromans strukturiertes Familienepos, eine subjektiv erzählte Zeitchronik, die Ästheten, Psychologen und Freunde von Alltagsgeschichte mehr überzeugen dürfte als Historiker und Gesellschaftskritiker. Der Blick des Filmemachers, das innere Kind, ist der moralische Taktgeber dieser von Anfang an neugierig machenden, völlig kitschfreien und doch hoch emotionalen Filmerzählung. Gleich zu Beginn emanzipiert sie sich deutlich vom planen Abbildrealismus, wie ihn das Fernsehen in de Regel pflegt (trotz WDR, BR, NDR und Degeto als Koproduzenten) und drängt zur Metapher, zum Subtext: der verhasste Nazi-Heimkehrervater bleibt draußen vor der Tür – bis er sich durch harte Arbeit „reinwäscht“. Auch das sadistisch anmutende pädagogische Unvermögen von Roberts Vater gipfelt immer wieder in nur einem Satz: „Geh ins Bett und trink deine Milch.“
Das vermeintliche Manko des Films, einen Blick auf die 50er, 60er und 70er Jahre zu werfen, der unpolitisch anmutet, erweist sich dramaturgisch und ästhetisch als großes Plus. Denn die subjektive Erzählperspektive stärkt den Eigensinn der Charaktere, die sich weder mutlos unter die Decke des Zeitgeists begeben, noch kleinmütig die Stereotypen politischer Korrektheit und den moralischen Kanon der Nachkriegsjahrzehnte wiederkäuen. „Es ist der Blick in eine Welt, die langsam aus dem Beschweigen des Faschismus erwacht, aus jenem braven Nachkriegs-Konsens; eine Welt, über die dann ’68 hereinbricht und in der die Selbstverwirklichungsideale der 68er zur Karikatur werden“, brachte es die FAZ-Kritik zum Kinostart auf den Punkt. Der subjektiven Sicht von „Quellen des Lebens“ entspricht der pränatale, leicht ironische Ich-Erzähler, der präsent und doch sparsam eingesetzt ist und dessen Off-Kommentare keine dramaturgische Hilfsfunktion erfüllen, sondern in erster Linie „inhaltlich“ von Belang sind.
Soundtrack: Lobo („I’d love you to want me“), Cat Stevens („Morning has broken“), Kansas („Dust in the wind“), Boney M („Daddy Cool“), Costa Cordalis („Anita“), Deep Purple („Hush“)
Auffallend einmal mehr Roehlers exzellente Inszenierung, dieses kongeniale Zusammenspiel der Gewerke: Licht und Farben strahlen desöfteren wie in den Melodramen von Sirk und Fassbinder, in der Kameraarbeit spiegelt sich Roehlers ästhetisches Konzept von Nähe und Distanz, sanfter Empathie und dezenter Künstlichkeit, und das Szenenbild setzt auf die feine Reduktion der zeitgeistigen Ikonografie, statt den Zuschauer mit einer reizüberflutenden Ausstattung abzustumpfen und einen Nostalgiereflex auszulösen. In dieser Welt, gleichermaßen Abbild und Kunstraum, bewegen sich die Schauspieler höchst präsent und füllen die Szenarien mit Leben, geben ihren Figuren Charakter, interpretieren sie, reißen sie mit Stil, Hysterie und ihren Eigenarten aus einer normativen Psychologisierung des Nachkriegs-Alltags, werden – trotz deutlicher Zeichnung – nie zu Karikaturen ihrer Zeit. Von den Hauptdarstellern Jürgen Vogel, Meret Becker, Moritz Bleibtreu bis zu Margarita Broich, Thomas Heinze, Lavinia Wilson oder Leonard Scheicher (als pubertierender Robert) in den kleineren Rollen – Roehler hat für seinen Mikrokosmos eine ideale Besetzung gefunden, der es nicht unwesentlich zu verdanken ist, dass „Quellen des Lebens“ trotz der für TV-Verhältnisse ungewöhnlichen Form einen rasch in seinen Bann zieht. (Text-Stand: 3.7.2014)