Die Serie „Push“, heißt es in einer Mitteilung des ZDF, erzähle „tabufrei von Geburten und vom Klinikalltag“ dreier Hebammen. Ausgerechnet das tatsächliche Tabuthema Gewalt im Kreißsaal kommt jedoch nicht vor, weil die drei Hauptfiguren, zwei Hebammen und eine Studentin, idealtypische Repräsentantinnen ihres Berufs sind. Ein einziges Mal und dann auch noch sehr beiläufig wird vom unethischen Verhalten einer Hebamme berichtet. Dass viele Mütter die Geburt als traumatische Erfahrung erlebt haben, weil sie beleidigt oder gar geohrfeigt worden sind, sparen die sechs Folgen dagegen komplett aus. Natürlich ist es das gute Recht von Autorin Luisa Hardenberg, „Push“ als Hommage an den Hebammenberuf zu konzipieren, aber angesichts des quasidokumentarischen Charakters der Serie fällt diese Leerstelle stark ins Gewicht.
Soundtrack: Alvvays („Adult Diversion“), Queen („Don’t Stop Me Now“), Sigrid („Level Up“), Oasis („Live Forever”), Tom Odell („True Colors”), Ólafur Arnalds & Ella McRobb („And We’ll Leave It There”), Billie Eilish („Ocean Eyes”), Maggie Rogers („Dog Years”), Alice Phoebe Lou („She”)
Davon abgesehen sind die sechs Folgen, die sich inhaltlich über ein knappes halbes Jahr erstrecken, sehr sehenswert, selbst wenn sich zwischendurch die Frage stellt, ob die Ausflüge ins Privatleben der Hauptfiguren gelegentlich allzu ausführlich ausfallen. Andererseits sorgen sie dafür, dass gerade die beiden von Anna Schudt und Mariam Hage ganz vorzüglich verkörperten Hebammen neben dem alltäglichen Druck im Beruf durch weitere Themen umgetrieben werden: Die erfahrene Anna Koch (Schudt) hat sich von ihrem Mann getrennt und kann sich ihre große Wohnung nicht mehr leisten, die jüngere Nalan Arzouni (Hage) versucht schon seit geraumer Zeit vergeblich, selbst Mutter zu werden. Die beiden Frauen haben allerdings noch ein ganz anderes Problem, das sich durch alle Episoden zieht: Ein Elternpaar hat sie und die Klinik verklagt. Sein vor sechs Monaten geborenes Kind leidet unter Epilepsie, weil bei der Einleitung eines Kaiserschnitts angeblich zu viel Zeit verloren wurde und das Baby daher unter Sauerstoffmangel litt. Sollte die Klage erfolgreich sein und die Schuld bei der am Ende zuständigen Anna Koch liegen, müsste sie Zahlungen leisten, die ihre Versicherung nicht decken würde. Kein Wunder, dass sie den Druck schließlich nur noch mit Beruhigungsmitteln aushält, die sie heimlich aus dem Medikamentenschrank entwendet.
Während ihrer Arbeit lassen sich die beiden Frauen, deren kollegiale Freundschaft durch die Klage erheblich belastet wird, jedoch nicht anmerken, was sie sonst noch umtreibt. In diesen Szenen zeigt die Serie, wie beglückend dieser Beruf für alle Beteiligten sein kann, weil die Hebammen durch die monatelange Begleitung ein tiefes Vertrauensverhältnis zu den Müttern aufbauen (die Väter werden überwiegend als eher anstrengend geschildert) und immer wieder das Wunder des Lebens erleben. Dass es dabei zu Komplikationen kommen kann, wird zwar nicht verschwiegen, aber die Geburten verlaufen letztlich weitgehend reibungslos; selbst eine später als „Feuertaufe“ von Hebammenstudentin Greta gefeierte Sturzgeburt im Treppenhaus. Lydia Lehmann ist die Entdeckung dieser Serie und „Push“ garantiert der Beginn einer Karriere. Greta sorgt zudem für ein bisschen „Herzkino“-Flair, als sie feststellt, dass Oberärztin Mohn (Katia Fellin) nicht kühl, sondern cool ist. Den ersten Kuss der beiden Frauen unterlegt die Regie mit einem Schmusesong von Billie Eilish. Die Serie läuft zwar sonntags in Doppelfolgen, aber nicht im Rahmen des „Herzkinos“, sondern bei Neo.
Es ist ohnehin verwunderlich, dass das ZDF „Push“ nicht im Hauptprogramm ausstrahlt, zumal auch die Nebenfiguren Tiefe bekommen, selbst wenn die Drehbücher ihnen im Grunde bloß jeweils ein Attribut anhaften: Chefärztin Keller (Idil Üner) hat Brustkrebs, möchte jedoch kein Mitleid; Kinderarzt Pfeiffer (André Kaczmarczyk) möchte eine Familie gründen, aber seine Freundin, die stets gut gelaunte Anästhesistin Fritzi (Olga von Luckwald), will keine Kinder; die aus Polen stammende Hebamme Irina (Katja Hutko) hatte eine Abtreibung, bei der gepfuscht worden ist. Auch die Mütter bringen biografische Details mit und sind nicht bloß Gebärende, zumal die Gastrollen mit unter anderem Stephanie Reinsperger („Tatort“ aus Dortmund), der neuen „Stralsund“-Hauptdarstellerin Sophie Pfennigstorf oder Marleen Lohse („Nord bei Nordwest“) prominent besetzt sind. Besonders berührend ist ein gegen Ende nochmals aufgegriffener Handlungsstrang mit Amelie Kiefer als Mutter, deren Baby nach einem Blasensprung bereits in der 26. Woche auf die Welt geholt werden muss; die Kaiserschnittaufnahmen sind echt. Die Bilder des winzigen Frühchens im Inkubator sind naturgemäß herzergreifend, erst recht, als es seinem Vater auf die Brust gelegt wird.
Die Umsetzung der Drehbücher von Luisa Hardenberg (Regie: Katja Benrath, Mia Maariel Meyer) ist allerdings etwas sprunghaft, weil die Szenen oftmals nur kurz sind und die Erzählung ständig von einer Ebene zur nächsten und wieder zurück hüpft. Mitunter wirken die Episoden, als habe die Autorin getreu der Devise „Jede Geburt ist anders“ eine Liste mit allen möglichen Konstellationen abgearbeitet. Trotzdem reicht die Zeit für kurze Schritte zur Seite: Eine Frau (Mai Duong Kieu) erinnert sich an ihre kürzlich in der Klinik verstorbene Mutter, und dann spielt das Radio auch noch wie eine Botschaft aus dem Jenseits ihr Lieblingslied; eine Ukrainerin ist allein, weil ihr Mann gegen die Russen kämpft. Einige Kurzvorträge wiederum gelten hörbar dem Publikum, wenn die Chefärztin zum Beispiel über den Spagat zwischen bestmöglicher Behandlung und wirtschaftlichem Druck referiert, andere haben den offenkundigen Charakter eines Anliegens, wenn sich Greta darüber echauffiert, dass Frauen nach der Geburt in die zweite Reihe geschoben werden. Eine weitere Botschaft bedarf dagegen keiner Worte: Eine Geburt ist nichts für Feiglinge. (Text-Stand: 7.2.2024)
Zwei Fragen ans ZDF:
Warum ist das Tabu-Thema Gewalt im Kreißsaal und unethisches Verhalten von Hebammen weitgehend ausgeblendet worden?
Die in „Push“ gezeigten Geburten werden von den Hauptfiguren Nalan, Anna und Greta betreut. Diese sind als positive Identifikationsfiguren angelegt und handeln daher nicht selbst gewaltvoll oder unethisch. Gleichzeitig wird das Thema in der Serie nicht ausgeblendet, sondern in einem Gespräch zwischen Nalan und einer betroffenen Figur angesprochen und ernsthaft behandelt. Ein Vorfall von Gewalt unter der Geburt und unethischem Verhalten einer Hebamme wird geschildert und verurteilt und die Konsequenzen für die betroffene Frau deutlich gemacht. Um Gewalt unter der Geburt anzuprangern, muss sie nicht zwangsläufig drastisch gezeigt werden. Bei der Entwicklung der Serie war es den Beteiligten ein Anliegen, dass „Push“ ehrlich von Geburten erzählt und es gleichzeitig ein Format ist, das sich Schwangere und Menschen mit Kinderwunsch anschauen können, ohne Angst vor einer Geburt zu bekommen. Bei den gezeigten Geburten läuft nicht alles glatt, aber im Vordergrund steht die kraftvolle Leistung der Gebärenden, die Bandbreite an möglichen Geburtserfahrungen und auch, wie wichtig eine gute Betreuung in dieser Situation ist. Dabei werden negative Aspekte nicht ausgeblendet, sondern als ein Teil des gesamten Spektrums thematisiert.Warum läuft die Serie nicht im Hauptprogramm?
„Push“ adressiert eine jüngere Zielgruppe und wurde als Projekt der „New8“ (im Rahmen dieses Kooperationsprojekts von acht europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern werden jedes Jahr acht Serien produziert) im Auftrag von ZDFneo produziert. Folgerichtig wird die Serie auch in ZDFneo ausgestrahlt. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Serie zu einem späteren Zeitpunkt eventuell auch im Hauptprogramm zu sehen sein wird.