Pumpen

Lotte Becker, Timur Bartels, Lo Rivera, Tino Führer. Bis es Euch gefällt

Foto: ZDF / Schüppel / Serviceplan
Foto Rainer Tittelbach

Ein ungleiches Geschwisterpaar in den Zwanzigern soll Muttis Muckibude weiterführen. Mit „Pumpen“ wendet sich das ZDF an ein Publikum, das nicht zur Zielgruppe des Senders gehört. Angesprochen werden sollen die Streaming-affinen Seriengucker zwischen 20 und Ende 30. Das bedeutet natürlich: Mediathek first. Die erste Staffel hat 25 Folgen à 23 Minuten. Der Gewöhnungseffekt mag bei solchen schnell produzierten Formaten eine Rolle spielen; allerdings gibt es auch deutliche Qualitätsunterschiede zwischen den ersten fünf Folgen. Während der Überlebenskampf des Fitnessstudios Business-as-Comedy-usual ist, wird die Serie immer dann richtig gut, wenn die alten Verletzungen der attraktiv pummeligen weiblichen Hauptfigur ausbrechen und anschaulich & sinnlich in die Handlung einfließen. „Body-Positivity“, Burnout, Selbstverwirklichung oder -optimierung stehen oben auf der Themen-Agenda. Auch formal wird die Zielgruppe bedient: Die den Millennials nachgesagte kurze Aufmerksamkeitsspanne begegnet „Pumpen“ mit einem flotten Erzählrhythmus.

Ein ungleiches Geschwisterpaar in den Zwanzigern soll Muttis Muckibude gemeinsam weiterführen. Die Fitnessfanatikerin (Katharina Abt) hat es offenbar mal wieder zu gut machen wollen und ist bei ihrer allmorgendlichen Schwimmrunde im See ertrunken. Die vor ihrer „Monstermutter“ nach dem Abitur aus Magdeburg geflüchtete Mia (Lotte Becker), der in Köln als Tortenbäckerin die Felle davonschwimmen, lässt sich trotz ihrer Aversion gegen Körper-Drill jeglicher Art schließlich doch dazu hinreißen, es mit ihrem Bruder zu versuchen: „Ein Jahr und dann sehen wir weiter“, so die Abmachung. Tom (Timur Bartels), der wider Willen Muttis Liebling wurde, verteidigt die Frau, die nicht nur ihm sein Leben geschenkt hat, sondern auch für die gesamte Belegschaft ein Vorbild an Tatkraft und Familiensinn war. Ob Papis (Tino Führer), Personal-Trainer der ersten Stunde, ob Ersatztochter Flora (Lo Rivera), Yoga-Lehrerin Shae (Taynara Silva-Wolf) oder Jungspund-Influencer Justin (Jarno Mindner) – alle fühlten sich im Fit & Fun zuhause. Bis es auch bei Mia soweit ist, dürfte es eine Weile dauern. Zu tief sitzen ihre Verletzungen aus der Jugend.

Mit „Pumpen“ wendet sich das ZDF an ein Publikum, das nicht zur Zielgruppe des Senders gehört. Angesprochen werden sollen die Streaming-affinen Seriengucker zwischen 20 und Ende 30. „Unser Fokus liegt daher auf der ZDF-Mediathek als primärem Ausspielweg“, so ZDF-Mediatheks-Koordinatorin Theresa Schreiber. Entwickelt wurde ein Format, das zahlreiche junge Themen wie „Body-Positivity“, Burnout, Selbstverwirklichung oder -optimierung vereinen und eben nicht nur die Fitness-Bubble bedienen soll. Erzählt wird universell, mal cool, mal emotional, formal dominieren – passend zum Sujet – Tempo und Bewegung, und im Zentrum steht „eine Wahlfamilie, die im Laufe der Staffel immer weiter zusammenwächst“, versprechen die Produzenten. Diese erste Staffel besteht aus 25 Folgen. Gestartet wird mit den ersten fünf Folgen Mitte Januar in der ZDF-Mediathek; jede Woche wird dann eine neue Doppelfolge online gestellt. TV-Ausstrahlungen auf ZDFneo und im ZDF-Nachtprogramm wird es ab Anfang März geben. Die hohe Schlagzahl könnte dazu führen, dass hier das Rezeptionsprinzip „Bis es euch gefällt“ zum Tragen kommt. Auffallend ist jedenfalls, dass der (nicht zur Zielgruppe gehörige) Kritiker von Folge zu Folge mehr statt weniger Gefallen an „Pumpen“ fand.

PumpenFoto: ZDF / Florian Schüppel
Um den beliebten Tanzaerobic-Kurs nicht ausfallen zu lassen, muss Mia (Lotte Becker) als Trainerin einspringen. Doch ihr Jugendtrauma holt sie ein. Schafft sie es, ihren Körper zu akzeptieren, ja, zu lieben, und die Demütigung hinter sich zu lassen?

Der Gewöhnungseffekt mag bei solchen schnell produzierten Formaten eine Rolle spielen; allerdings gibt es auch deutliche Qualitätsunterschiede zwischen den Folgen und zwischen einzelnen Sequenzen. Während der aus 999 Serien oder Filmen bekannte Überlebenskampf eines Familienunternehmens und die zwischenmenschlichen Stressoren im täglichen Betriebsablauf etwas beliebig dahinplätschern, die dialogisierten Probleme abstrakt bleiben und die Konflikte behauptet wirken, wird „Pumpen“ immer dann richtig gut, wenn beispielsweise die alten Verletzungen der attraktiv pummeligen Mia ausbrechen – und nicht nur in den Dialog, sondern auch sehr anschaulich in die Handlung einfließen. „Was meinst du, wieviel Schweiß produziert diese Tonne Fett“, witzelt herablassend eine Tanzaerobic-Trainerin über die an ihrem Kurs Teilnehmenden, was Mia dazu veranlasst, dieser Frau zu kündigen. Es ist wohl kein Zufall, dass das ZDF gerade diese vierte Folge mit dem Titel „Schwungmasse“ (neben der Startfolge) der Presse zugänglich machte. Es ist die mit Abstand beste Folge der ersten fünf. Die übergriffige Mama meldet sich zu Wort („Wer zu dick ist, wird weniger geliebt“) in Rückblenden, die Mias Demütigungen aus der Jugend wiederaufleben lassen. In Folge 5, „Der Arschmacher“, ist es dann Tom, der sentimental sein darf. Ausgerechnet das Trainingsgerät der ersten Stunde bricht zusammen. Wenigstens der Pappaufsteller mit der lebensgroßen Mutter steht noch. Wenn die Handlung an seelische Erfahrungen andockt, wenn die Situationen intimer werden, was vor allem für Zweier-Szenen gilt, überzeugen auch die Schauspieler. Dann haben weit aufgerissene Augen und übertriebene Gesten Pause.

Neben dem fehlenden durchgängigen Schauspiel-Stil lassen sich andere Eigenheiten der ersten fünf Folgen von „Pumpen“ feststellen: dramaturgische Kurzatmigkeit, Dialoge, die mal pointiert, aber nie wirklich witzig sind, ein Geschehen, das nach dem Reiz-Reaktions-Prinzip funktioniert, Hauptcharaktere in der zweiten Reihe, denen es bisher nicht gelingt, aus ihrer klischeehaften Setzung auszubrechen, wodurch diese Figuren, weil sie zu wenig Sympathie-Angebote machen, bestenfalls belächelt (Esoterikerin Shae) oder gefürchtet (Domina Flora) werden können. Möglicherweise auch das alles nur eine Frage der Zeit… Vielleicht hat aber auch die Zielgruppe, die mit Smartphone statt Kino groß geworden ist, andere Erwartungen an eine „gute Serie“ als ein Oldschool-Kritiker. Es vom ZDF auszutesten macht auf jeden Fall Sinn. Ob eine Liste von Zeitgeist-Themen ausreicht, um aus „Pumpen“ auch eine dramaturgisch und sinnlich attraktive Serie zu machen, ist ein Vorbehalt, den sich wohl jede Weekly von „Lindenstraße“ bis „Bettys Diagnose“ anhören musste. Optisch ist die Serie State of the Art. Immer wieder fängt die Kamera die Tiefe und Breite des Raums ein, wodurch der Zuschauer gut informiert ist und die relativ kurzen Szenen geschlossen wirken. Stakkato-Schnitte indes werden eingesetzt, um Szenen und Schauplätze voneinander zu trennen. Ob die Jungen mit dieser ZDF-Serie etwas anfangen können? Schwer zu sagen. Die den Millennials nachgesagte kurze Aufmerksamkeitsspanne entspricht „Pumpen“ jedenfalls voll und ganz.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Lotte Becker, Timur Bartels, Lo Rivera, Tino Führer, Taynara Silva-Wolf, Jarno Mindner, Felix Everding, Jesse Albert, Christine Wilhelmi, Katharina Abt

Kamera: Adrian Cranage, Johannes Treß, Daniel Leibold u.a.

Szenenbild: Kay Kulke

Kostüm: Annika Osterrieder

Schnitt: Friederike Dörffler, Franziska Köppel, Geraldine Sulima u.a.

Musik: Jens Oettrich

Redaktion: Dirk Rademacher, Kirsten Schönig

Produktionsfirma: Studio Zentral

Produktion: Lasse Scharpen, Tobias Ketelhut

Headautor*in: Tani Sawitzki, Gesa Scheibner, Silvia Overath

Drehbuch: Tani Sawitzki, Gesa Scheibner, Silvia Overath

Regie: Daniel Vogelmann, Lynn Oona Baur, Anna-Lena Schwing, Maximilian Mundt

EA: 18.01.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 03.03.2024 18:40 Uhr | ZDFneo

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