Das durchgehende Serienpersonal und die horizontal erzählten Privatgeschichten
Professor Jasper Thalheim (Matthias Matschke) ist wieder als Berater für die Kripo Köln im Einsatz. Zunächst widerwillig. Nach dem Tod seiner einzigen Vertrauten, der Prostituierten Tamara, ist er noch verschlossener und kapselt sich völlig von der Außenwelt ab. Doch für seine Ex Christina Fehrmann (Julia Bremermann) streift er dann doch wieder seine blauen Schutzhandschuhe über. Es besteht der dringende Verdacht, dass sie ausgerechnet in ihrem karrierefördernden ersten Mordfall vor 15 Jahren womöglich dafür gesorgt hat, dass der Falsche verurteilt wurde. Dies ist ein gefundenes Fressen für ihren missgünstigen Kollegen Paul Rabe (Paul Faßnacht), zwar mittlerweile trocken, aber noch immer ein Ekel. Letztendlich bleibt er das „Sorgenkind“ der Abteilung. Von Rachegelüsten zerfressen, gerät er sogar unter Mordverdacht. Dagegen verhalten sich die Jungspunde Anneliese Deckert (Lucie Heinze) & Daniel Winter (Helgi Schmid) ausgesprochen normal. Sie kennt nur ihre Arbeit und sorgt sich um ihren dementen Vater (Peter Harting); er setzt auf Beziehung und ist jetzt ausgerechnet mit Annelieses Freundin Deborah (Haley Louise Jones) zusammen. Frauen um sich hat auch Thalheim, sogar eine ganze Menge: seine Sekretärin (Alexandra von Schwerin), mit der er auf seine ganz spezielle Art mitunter sogar zu flirten scheint; seine Mutter (Hedi Kriegeskotte), der Schrecken seiner Kindheit und immer noch ein Fluch; auch die tote Tamara (Marie Rönnebeck) erscheint ihm in seinen kranken Gedanken; schließlich die Psychologin Josephine Delius (Kristina Klebe), die er arrogant herabsetzt, weil er offenbar ahnt, dass sie ihm gefährlich werden kann: Sie durchschaut ihn als einzige, weil sie offensichtlich ähnlich tickt.
Was in den vier Episoden passiert: Ritualmorde, eine Blutlinie & coole Auflösungen
Auch Staffel 2 von „Professor T.“, eine auf deutsche Verhältnisse und Sehgewohnheiten umgeschriebene Adaption einer belgischen, noch etwas „verrückteren“ Erfolgsserie – besteht aus vier einstündigen Episoden, in denen die horizontal erzählten Privatgeschichten der durchgehenden Figuren mit einem mehr oder weniger bizarren Verbrechen kombiniert werden. In „Maskenmord“ (4.5.) geht es um einen vermeintlichen Ritualmord, in denen den beiden Opfern dämonische Holzmasken aufgesetzt werden und der an einen anderen Fall vor 15 Jahren erinnert. Der damals Verurteilte (Jophi Ries) sitzt heute in der Psychiatrie und beteuert noch immer seine Unschuld. Hat sein größter „Fan“, ein nicht minder gestörter Zeitgenosse (Anatole Taubman), etwa für seinen Meister die aktuelle Tat begangen; schließlich war einer der Opfer der Oberstaatsanwalt im Prozess des ersten Doppelmordes. „Das verlorene Kind“ (11.5.) erzählt die Leidensgeschichte einer Familie, die bei Thalheim Erinnerungen an die eigene Kindheit weckt: Ein Ehepaar (Clelia Sarto & Stefan Gebelhoff) muss feststellen, dass ihr adoptiertes Kind zunehmend autistisches Verhalten an den Tag legt und überlassen ihren Sohn vorzugsweise ihrem Au-pair-Mädchen (Laura Berlin). Als der Junge verschwindet, konfrontiert Thalheim das Ehepaar mit ihrer Lebenslüge. In „Blutlinie“ (18.5.) gerät ein noch dysfunktionalerer Familienverbund ins Visier des menschenscheuen Kriminalpsychologen. Ein insolventer Brauereibesitzer täuscht mit einer Riesenblutlache einen Mord vor, bevor er ein paar Tage später erhängt aufgefunden wird. Nach Selbstmord sieht das nicht aus. Mit einer ungewollten Familienaufstellung sorgt Thalheim für erste Einblicke in die kaputte Familie (u.a. Niels Bruno Schmidt & Vinzenz Kiefer). War es ein Vatermord? Und wieder sieht sich T. mit seiner eigenen Geschichte konfrontiert: Als Kind war er es, der seinen toten Vater in der Badewanne gefunden hat. In der letzten Episode, „Rache“ (25.4.), geht es Kommissar Rabe an den Kragen. Ausgerechnet er muss seinen Erzfeind um Hilfe bitten. Es sieht ganz danach aus, als ob Rabe den Raser (Axel Stein), der seine Tochter überfahren hat, erschießen wollte, seine nächtlichen Kugeln aber zwei Unschuldige trafen … Die Auflösungen der meisten Fälle sind ungewöhnlich und überraschend – im positiven Sinne, weil der Kreis der Verdächtigen klein bleibt, kein Täter aus dem Hut gezaubert wird und Thalheims Argumentationsketten spitzfindig und für den Zuschauer immer interessant sind. Manchmal liegen den Verbrechen auch psychologische Theorien („Broken Windows“, Vatermord etc.) zugrunde.
Es tut sich was: attraktiver Sendeplatz für Matthias Matschkes One-Man-Show
Psycho ist King. Professor T. und sein Darsteller Matthias Matschke bleiben das Maß aller Dinge in dieser ZDF-Serie, die für die gute Einschaltquote (durchschnittlich 4,77 Mio. Zuschauer) am Samstag um 21.45 Uhr nun mit dem beliebten Primetime-Sendeplatz am Freitag belohnt wird. Es überrascht, dass die konservative, betagte und lange Jahre auf wenig phantasievolles Krimi-Einerlei konditionierte ZDF-Zuschauerschaft offenbar mit diesem in seiner Welt gefangenen Extrem-Charakter etwas anfangen konnte. In den neuen vier Folgen ist jener Kriminalpsychologe unwesentlich sympathischer. Das sieht auch Matschke so. „Professor T. ist, wie er ist. Aber vielleicht hat er gerade deshalb seine besondere Berechtigung.“ Die internationalen Serien haben es mit einer Reihe ambivalenter Helden vorgemacht. Kann man davon ausgehen, dass die ZDF-Klientel sich nicht bei Netflix tummelt oder amerikanische Serien auf ZDF neo oder DVD schaut, so muss doch so etwas wie ein allgemeiner zeitgeistig-ästhetischer Paradigmenwechsel im Raum stehen, der sich auch ein Stück weit in der klassischen deutschen Premium-Serie niederschlägt (auch „Morgen hör‘ ich auf“ war ja ungewöhnlich & fand ihr Publikum, und selbst das „Herzkino“ hat mit „Ella Schön“, einer Figur, die ein Pilcher-Fan nicht sofort in sein Herz schließt, großen Erfolg). Held bleibt offensichtlich Held – auch wenn T. seine Studenten beleidigt, zu Emotionen unfähig ist und sich nicht um die Regeln der Höflichkeit schert. Dieser Professor, der gern doziert und alles besser weiß, wirkt wie ein Narzisst, der nicht die Liebe der anderen braucht. Das allerdings könnte auch ein Trugschluss sein. Immerhin öffnet er sich seiner Psychologen-Kollegin – und das nicht ohne Grund. Steht da etwa das Ende der Einsamkeit bevor? Oder bleibt die Angst vor der Verletzung größer? „Er wird so bleiben, wie er nun mal ist“, prophezeit der Mann, der ihn verkörpert. Matthias Matschke spielt ihn abermals als ein Logik-Monster, das allerdings das Thema Freundschaft für sich noch nicht abgehakt hat. In den vier Stunden der zweiten Staffel nimmt man nur zwei, drei Mal bei Matschke die Andeutung eines Lächelns wahr. Ansonsten dominieren bei seinem Thalheim strenge Physiognomie, steife Körperhaltung und langsame, achtsame Bewegungen, die es ihm erlauben, seine Umwelt bestmöglich zu beobachten. Das wirkt nie wirklich komisch, besitzt aber eine gewisse Skurrilität. Beim Zuschauer ist sicherlich mehr Bewunderung als Mitleid im Spiel. „Professor T.“ ist Fiction. Das merkt selbst der größte deutsche Realitäts- & Glaubwürdigkeitsfanatiker. Matthias Matschke mit seiner Comedy-Erfahrung ist dafür genau der richtige Schauspieler.
Die Hauptfigur bekommt auch dramaturgisch & filmisch die stärksten Momente
Im Vergleich zu Matschkes Mr. Sonderbar muss man in anderen Punkten bei der Serie Abstriche machen. Das etwas ungelenke Ermitteln des jungen Duos wirkt mitunter fast wie eine ungewollte Parodie auf die stereotypen Serienkrimi-Befragungen, insbesondere in der dritten Episode („Wir gehen nur Hinweisen nach“), in der neben schlecht zu sprechenden Dialogen („Mein Mann ist tot – und Sie nennen ihn einen Betrüger“) auch noch die Gastrollen-Darsteller weit unter ihren Möglichkeiten agieren. Und für Lucie Heinze und Helgi Schmid bleiben die undankbaren Rollen, die kriminalistische Vorhut zu sein, immer wieder 100%ig die falschen Schlüsse ziehen zu müssen, um so dem Meister noch mehr die Aura einer Lichtgestalt zu verleihen. Natürlich ist das ein Serien-Ritual. Das Muster Held mit nahezu übermenschlichen Gaben hat in „Professor T.“ darüber hinaus auch dramaturgisch einen positiven Nebeneffekt: ein genauer Blick, eine stimmige Spekulation – und Thalheim hat wie von Geisterhand die zwischenmenschlichen Dispositionen analysiert, hat aus Details beispielsweise grundlegende Störungen entschlüsselt. So verkürzt sich an dieser Stelle die Ermittlungsdauer und erfährt die übliche Krimi(naler)routine eine geradezu phantastische Variation; dadurch bleibt mehr Zeit für den Blick auf die Familiendramen und für private Zwischenspiele. Auch filmsprachlich besitzt die Serie neben viel Licht auch Schatten. Es ist auffallend, dass der „T-Komplex“, also Szenen aus der Welt des Helden, durchweg eine starke visuelle Ausdruckskraft, ja geradezu magische Anmutung besitzen, während alle anderen Schauplätze schwächer ausfallen. Die konzentrierte Zeichensprache der Thalheim-Figur korrespondiert augenfällig mit der ästhetischen Darstellung von Raum & Zeit, von Reduktion & Entschleunigung. Ein visuelles und atmosphärisches Highlight ist, wenn der schwarz gekleidete Held in einem komplett weißen Raum sich – in einer Art Gleichnis – mit einer wundersamen Kakerlake beschäftigt („Wie kann sich eine Kakerlake aus einem hermetisch abgedichteten Glas befreien?“) oder sich seinem Zen-Ritual unter dröhnenden Technoklängen hingibt. Gute Stimmungswerte besitzen auch die Outdoor-Nachtszenen. Geradezu für einen Bruch sorgen dagegen die unangenehm nach Studio aussehenden Kommissariatsszenen mit ihrem Billig-Rollo-Look. Ein bisschen liegt es wohl auch am Fehlen von Thalheim/Matschke in diesen Szenen. Wenn nämlich der Professor bei den Bullen auftaucht, fokussiert sich der Zuschauerblick automatisch auf ihn und seine eigenwillige Art der Kommunikation; dadurch sticht das auf cool getrimmte Ikea-Mobiliar weniger ins Auge. Alles eine Frage der Wahrnehmung – so sieht das auch T.: „Werden wir aufgefordert, unsere Konzentration auf das Gesamtbild zu legen, verlieren wir binnen Sekunden das Gespür für das Detail.“