Simon Polt hat sich frühverrenten lassen. Mit alten Freunden in der Dorfschänke oder im Weinkeller beisammen sitzen und ein Gläschen trinken, so hat er sich das immer vorgestellt, das Leben im niederösterreichischen Weinviertel. Der eigenwillige Gendarmerieinspektor hatte es satt, das Ermitteln, das Freunde aushorchen im Namen des Gesetzes. Sein Beruf holt ihn aber doch wieder ein. Ein Toter im Weingarten seines Freundes und ehemaligen Kollegen Norbert Sailer bringt Aufregung ins Dorf. Der Chefinspektor Priml, ein großspuriger Kleingeist, geht nicht von Selbstmord aus – und lässt dies Sailer & Co spüren. Diese Leiche habe etwas mit Bosheit oder Rache zu tun, ahnt Polt mit sicherem Instinkt, scheint sich aber zunächst wenig um den Mordfall zu kümmern. Und keiner will den Toten gekannt haben…
Foto: ORF / epo-Film / Oliver Roth
Dieser Simon Polt ist keiner jener bestens bekannten TV-Polizisten im Ruhestand, die es einfach nicht lassen können, die immer und immer wieder „kriminalisieren“ müssen. Dieser radfahrende, Wein trinkende und still vor sich hin sinnierende Zeitgenosse könnte gut ohne Mord auskommen. Und auch der Film „Polt.“ ist kein Ermittlungskrimi und auch alles andere als einer jener beschaulichen, mit Komik versetzten Provinzkrimis, wie sie hierzulande in Mode gekommen sind. In dem Film von Julian Roman Pölsler gibt es quasi ein Dasein vor dem Krimi. Der Mord spiegelt allenfalls etwas vom Leben im Dorf, reflektiert Frust und Wut hinter der schönen Fassade und wird zur Metapher für die Kampfzone der Geschlechter.
„Polt.“ ist nicht einmal ein Ermittler-Krimi, der von den Charakteren bestimmt wird; der Film ist vielmehr ein TV-Drama um Liebe, Freundschaft und das, was einem Herz und Hirn zerfrisst, um Eifersucht und Alkoholsucht. Bei Pölsler dominiert nicht die Spannung, die einen durch die Handlung peitscht, hier ist es eine Spannung zwischen Himmel und Hölle, die sich über die 90 Minuten legt. Jede Figur ein kleiner Philosoph und der Held ist einer, der ohne Täterprofile auskommt, der lieber den Menschen in die Augen schaut. „Mitleben statt vorladen, dabei sitzen statt gegenüber“, charakterisiert der unangenehme Kommissar Priml Polts Methode. Diese Dichte der Figuren, der Verzicht auf dramatische Allerweltspsychologie, dieser existentielle Überbau der Geschichte – man spürt, dass es eine literarische Vorlage geben muss: Alfred Komarek schrieb sechs Polt-Romane. „Polt.“ ist die fünfte Verfilmung.
Foto: ORF / epo-Film / Oliver Roth
So menschlich tief das Ganze auch ist, der Film ließe sich in seinem Stimmungsgehalt durchaus allein aus seiner Optik heraus „verstehen“. Das Licht-Spiel hat mehr von der Ikonografie alter Meister als von zeitgenössischer Filmsprache. Auch visuell werden Himmel und Hölle („Himmel, Polt und Hölle“ hieß bereits einer der Filme) hoch sinnlich thematisiert. Extreme Hell-Dunkel-Kontraste und die ganze Bandbreite der Einstellungsgroßen, dazu fotografische Stillleben in die Totale erweitert oder mal eine Zweiminuten-Szene ganz ohne Schnitt – Kamera und Szenenbild sind schon von größter Raffinesse. Die Landschaft, das Leben im Dorf, all das beeinflusst die Wahrnehmung, das Denken, das Tempo – was für die Figuren gilt, das gilt auch für den Zuschauer. Auch weil die Schauspieler, Erwin Steinhauer, Fritz Karl, Simon Schwarz oder Cornelius Obonya, diesen Mikrokosmos so vorzüglich präsentieren. Und auch der Ton komplettiert dieses filmische Gesamtkunstwerk. Draußen hört man die Vögel, das Brummen der Fliegen, drinnen hört man häufig nur das Nichts.
Der Film ist – zumindest in der Pressekopie – teilweise untertitelt, nach welchem Prinzip ist nicht ersichtlich: so wurden gut verständliche Szenen untertitelt, schwer verständliche dagegen nicht. Es macht allerdings nichts, wenn man nicht alles versteht. Die Dialoge sind lakonisch, sie tragen vornehmlich bei zur Stimmung so wie ein Grunzen, ein Blick, eine Geste, ein Schweigen. Es ist häufig Nacht in „Polt.“, ein Mal regnet es in Strömen – und immer wieder weist der Himmel über dem Weinviertel dem Drama die Richtung. In den von den Bildern getragenen Erzählrhythmus mit all seinem Mut zur Langsamkeit muss man sich einsehen. Wer die für einen Fernsehfilm ungewöhnliche Filmsprache entschlüsseln mag, der freilich wird in „Polt.“ viele Entdeckungen machen können. (Text-Stand: 28.8.2014)