Bukow hat Urlaub. Nach einem Angelausflug steht plötzlich ein kleines Mädchen vor ihm auf dem Waldweg. Es führt den Kommissar zu seiner toten Mutter: Julia Wenning, Vorzeige-Studentin, verheiratet, Verdienerin in der Familie. Wer bringt so jemanden um? Ihr Mann hätte ein Motiv, denn er hatte allen Grund, auf seine Frau wütend zu sein. Auch Lisa, Julias Kommilitonin, verheimlicht der Polizei etwas. Lieber möchte sie ihr Wissen zu Geld machen: Sie erpresst zwei ehrenwerte Herren, einen Professor und einen Anwalt. Ein gefährliches Spiel. Dann bricht plötzlich die traumatisierte Tochter ihr Schweigen – und belastet indirekt den Nachbar der Wennings. Im Fall weiter bringt das König und Bukow aber auch nicht.
Im „Polizeiruf 110 – Zwischen den Welten“ laden zahlreiche Verdächtige zum gepflegten Whodunit ein. Sind die beiden Rostocker Kommissare damit endgültig auch in der öffentlich-rechtlichen Krimi-Routine angekommen? Ja und nein. Dem Film von René Heisig fehlt der durchgängige physische Atem, dieser raue Realismus, den bisher alle der ersten sieben Filme mehr oder weniger auszeichnete. Gab es früher Verfolgungsjagden, Schweiß, körperliche Zudringlichkeiten, dreht sich dieses Mal nur der Ventilator und im Dialog wird darauf hingewiesen, dass die Hitze allen zu schaffen macht. Oder Alice Dwyers Lisa sorgt kurzzeitig für einen kleinen Hitzestau. Die Krimi-Story ist – gemessen am hohen Standard, den Autoren wie Eoin Moore oder Wolfgang Stauch vorgegeben haben – ausgesprochen unoriginell. Gleiches gilt für die Dramaturgie, die die Handlung an einem langen, dünnen Faden aufreiht.
Foto: NDR / Christine Schröder
Verknotungen gibt es allenfalls bei den Themen: von der „Spießerhölle“ Familie, in der einige Verdächtige und auch die ermordete Studentin feststeck(t)en, kann auch der Kommissar ein Lied singen. Die junge Frau bereitete ihren Absprung vor – ohne ihre Tochter; auch Bukow hat im Grunde keinen großen Bock auf seine Jungs, solange draußen Verbrecher frei herum laufen. Auch das Schuldthema zieht sich über die private Ebene und die des Falls: „Die Mama ist wegen mir tot“, sagt die sechsjährige Tochter. Dieses Schuldgefühl wird kurzgeschlossen mit der Biographie von Katrin König, deren in der letzten Episode angedeutete DDR-Vergangenheit in „Zwischen den Welten“ weiter aufgefächert wird. Die Profilerin hat immer wieder diese Bilder der Flucht über die Ostsee vor Augen. Und dann dieser kleine, rote Koffer, ihr Koffer, den sie nicht festhalten konnte und wegen dem ihre Mutter über Bord ging. In einer durchzechten Nacht erzählt König in einer Karaoke-Bar Bukow von ihrem Besuch beim Fluchthelfer, der sie in den Westen gebracht hat. Und am Ende grölen beide Nirvana.
Diese thematischen Verknotungen sind zwar auch nicht der dramaturgischen Weisheit letzter Schluss – aber sie lenken vom durchschnittlichen Fall ab und richten den Fokus auf das, was nach wie vor das größte Pfund des Rostocker „Polizeiruf 110“ ist: die kernigen Ermittler und die dazu passenden Klasse-Schauspieler-Typen Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner. Obwohl auch in diesem Punkt im achten Fall der beiden Abstriche zu machen sind. Besonders der immer schon gern unverschämt agierende Bukow strotzt dieses Mal ein bisschen zu sehr vor Selbstbewusstsein. Psychologisch ist das insgesamt zwar durchaus plausibel, nachdem durch Königs Bericht die Anschuldigungen gegen ihn vom Tisch sind, aber im Einzelfall wirkt das Ganze doch eher wie ein aufgesetztes „Posing“. Diese Physis geht nicht weit und tief genug – im sechsten Film der Reihe, „Stillschweigen“, war das anders: egoistisch rückte der Kommissar einer Rockerbraut zu Leibe. Dieses Mal zieht er – beispielsweise in einer Campus-Szene mit der schönen Lisa Schöning – unter wildem Gefluche von dannen. Aber Abhilfe scheint ja zu nahen: dass sein Kollege und seine von ihm enttäuschte Ehefrau sich mehr als nur gut verstehen, dürfte dem Familienmenschen Bukow bald den Energiehaushalt regulieren. Mal sehen, ob er tatsächlich vor allem Bulle ist. (Text-Stand: 21.7.2013)