Was wiegt schwerer in dieser Familie: die Entführung eines kostbaren Rennpferdes oder der Tod des Vaters und Zuchtstallbesitzers Karl Hartmann? Dieser Mann war kein Mann zum Liebhaben. „Er hat viel von den Menschen verlangt“, drückt es die Ehefrau Charlotte diplomatisch aus. „Die Menschen, die wir lieben, sind nicht immer nur gut für uns.“ Vor allem der jüngste Sohn Dennis hatte Probleme mit seinem Vater. Vergeblich kämpfte er um dessen Anerkennung. Ein Teufelskreis. Aber auch sein älterer Bruder, der „vernünftigere“ Markus, und seine Mutter wurden von dem Toten wie Dienstboten behandelt. Umgekehrt vereinnahmt die ehemalige, sehr erfolgreiche Dressurreiterin ihren Ältesten über alle Maßen. Irgendein Geheimnis scheint diese Familie zu hüten, vermutet Jungkommissarin Olga Lenski. Sie ist eine gute Beobachterin – und auf dem Hof der Hartmanns bekommt sie einiges zu sehen.
Der zweite „Polizeiruf 110 – Zwei Brüder“ mit Maria Simon ist ein intelligenter Whodunit, der sich erwartungsgemäß bei einer solch formidablen Besetzung zu einem Familiendrama auswächst. Potsdam und Umgebung sind ein gutes Pflaster zum Geschichtenerzählen. Neben einem hübschen Running Gag, der die Mühlen der Bürokratie bespöttelt, und weiteren launigen Miniaturen um Polizeihauptmeister Krause bekommt der Zuschauer viel Landschaft und frische Luft zu atmen. Man kann das alles gut gebrauchen, denn das, was sich in dieser Familie abspielt, schnürt einem – allein beim Sehen – schon fast die Kehle zu. Dieses unter dem Deckmäntelchen der Familienbande bestens funktionierende System aus Druck, Räson und Schuldzuweisungen wird in die beiläufigste Situation getragen. Von diesem System des Vaters hat sich auch die Mutter, klar, kühl und konzentriert von Barbara Auer gespielt, einiges abgeguckt. Für die schwangere Kommissarin Lenski kein gutes Beispiel für Familie. „Er hat uns bestraft, dass er sein Leben nicht leben konnte“, heißt es. Sie scheint sich diesen Satz zu Herzen zu nehmen. Jedenfalls sieht es nicht danach aus, dass der Vater ihres Kindes, der ihr zuliebe in die brandenburgische Pampa ziehen würde, hier demnächst tatsächlich aufschlägt
Wenn man seine Lebensträume nicht leben kann – darum geht es in „Zwei Brüder“. Franz Dinda und Florian Stetter spielen die beiden „abgerichteten“ Hartmann-Jungmänner. In einer der eindrucksvollsten Szenen des Films schlägt der Ältere auf den Jüngeren ein. Er will Gegenwehr, will eine Reaktion. Doch Dennis will kein „Hartmann“ sein. Die Spannung löst sich in einer schmerzlichen Umarmung der beiden Brüder, die sich nie verbündet haben gegen die übermächtigen Eltern. Überhaupt, die Bilder. Nils Willbrandts Film hat viele wunderbare, kleine Momente, arbeitet (mehr als nur) stimmungsvolle Einstellungen der brandenburgischen Natur (die Mohnblumenfelder, die Kommissarin im Getreidefeld ihren Bauch massierend) stimmig in die Handlung ein. Eine sehr passende Idee zu dieser Einheit von Landschaft, Charakteren und Stimmung ist die finale Gegenüberstellung der Tatverdächtigen am Tatort: eine Art Psycho-Sitzung im Stall. Dass dieses Familiendrama auch unter dem Krimi-Aspekt überzeugt, lässt einen sehr zuversichtlich in die Zukunft des RBB-„Polizeirufs“ blicken. Nur leider gehen Maria Simon und Olga Lenski erst einmal in die Mutterpause. Was sagte doch die Kommissarin zum dicken Krause? „Bald sehe ich so aus wie Sie.“ (Text-Stand: 17.10.2011)