Polizeiruf 110 – Zehn Rosen

Michelsen, Matschke, Vörtler, Lause, Jung, Stauch, Fischer. In eine Nische stoßen

Foto: MDR / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Der Aufwärtstrend des Magdeburger „Polizeiruf“-Duos Brasch/Köhler setzt sich mit „Zehn Rosen“ (MDR / filmpool fiction) fort. Die überdeutlichen Gegensätze zwischen der Einzelgängerin und dem Familienmenschen haben sich abgeschliffen. In diesem Krimidrama dreht sich alles um Liebe, Nähe, Partnerschaft und existentielle Verlusterfahrungen. Und genau das ist es, was Brasch umtreibt, seitdem sie sich dem Polizeipsychologen nicht nur auf der Therapeuten-Couch geöffnet hat. Auch der Fall um eine tatverdächtige Transfrau lässt sie geradezu eine empathische Haltung einnehmen. „Zehn Rosen“ ist typisch für diesen Reihen-Ableger, bei dem man immer schon etwas genauer hingucken musste, um seine Qualitäten zu entdecken. Der Film von Torsten C. Fischer biedert sich nicht an beim Zuschauer, besitzt trotz markanter Farbdramaturgie & atmosphärischem Score keine Oberflächen-Sexyness, sondern erzählt mit eigenwilligen Figuren eine eigenwillige Geschichte. Dieser narrativ dichte Film ist ein Fest der psychologischen Zwischentöne & schauspielerischen Nuancen.

Eine an den Füßen verschnürte Frauenleiche lässt Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und Dirk Köhler (Matthias Matschke) auf einen ungeklärten, einige Jahre zurückliegenden Mordfall stoßen, bei dem das ebenfalls weibliche Opfer auf dieselbe Weise verknotet war. Damals war der Täter so gut wie überführt, konnte aber – weil das Geständnis erpresst wurde – nicht verurteilt werden. Jener Paul Schilling, der heute als Pauline Schilling (Alessija Lause) in Magdeburg einen Blumenladen führt, gehört auch im aktuellen Fall, dem Mord an Kim Pohlmann, zu den Hauptverdächtigen. Die Transfrau hat kein Alibi, und sie kannte auch die zweite Tote. Kennengelernt haben sie sich in der psychiatrischen Praxis von Paola von Jagow (Doris Schade), in der sie das Gutachten für ihre Operation anfertigen ließ. Pohlmann, von der sich Pauline angezogen fühlte, hatte eine seltsame Beziehung mit Jan Freise (Sven Schelker), einem Mann, der sich längere Zeit in psychiatrischer Obhut befand. Brasch gefährdet mit einer illegalen Hausdurchsuchung bei Freise die Ermittlungen, aber auch Köhler macht Fehler – bei einer Befragung gehen mit ihm die Nerven durch. Angefressen ist aber vor allem Brasch. Der Grund: Ihr Chef, Kriminalrat Lemp (Felix Vörtler), der einzige Mensch, mit dem sie seit Jahren kann und der ihre Unarten akzeptiert, will sich vom Acker machen. Er hat ein Angebot von der Polizeihochschule als Nachfolger von Ulf Meier (André Jung), einem befreundeten Ex-Kollegen; er war es auch, der sich im ersten Mordfall den Titel „Kollegenschwein“ einfing, weil er die brutalen Verhörmethoden gegenüber Schilling meldete. Während sich die Kommissarin und Köhler offensichtlich auf eine friedliche Koexistenz geeinigt haben, zweifelt die mit einem „verlorenen Sohn“ gestrafte Brasch also mal wieder an der Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen. Denn auch der so umgänglich wirkende Polizeipsychologe und Bettpartner Niklas Wilke (Steven Scharf) scheint nicht ganz ehrlich mit ihr zu sein.

Polizeiruf 110 – Zehn RosenFoto: MDR / Stefan Erhard
Was die Kollegin kann, kann Köhler (Matthias Matschke) schon lange: großen Mist bauen. Als er von Freises (Sven Schelker) Rottweiler bedroht wird, rastet er aus.

Der langsame, aber stete Aufwärtstrend des (zweiten) „Polizeiruf“-Ermittlerduos aus Magdeburg setzt sich mit „Zehn Rosen“ fort. Die anfangs allzu deutlichen Gegensätze zwischen der Einzelgängerin und dem Familienmenschen haben sich abgeschliffen, aus dem ostentativen Gegeneinander ist ein vom Kopf gesteuertes Miteinander geworden. Man bekommt aber auch den Eindruck, für Brasch wie für Köhler, der bei aller Freundlichkeit ja ein Aggressionsproblem hat, sind die Hölle nicht länger nur die anderen, sondern beide wissen, dass der Feind mitunter in der eigenen Seele sitzt. Der neue Fall ist für die Psyche der Kommissarin Projektionsfläche. Auch wenn es anfangs – versteckt in Rückblenden oder kleinen Gesten – nur zu erahnen ist, dreht sich am Ende in diesem „Polizeiruf 110“ doch alles um Liebe, Nähe, Partnerschaft und immer wieder um existentielle Verlusterfahrungen. Und genau das ist es, was Brasch umtreibt, ohne dass es ständig explizit dargestellt werden würde. Da reicht ein beiläufiger Satz im Gespräch mit dem sanftmütigen „Kollegenschwein“ oder ein einziger Blick in den eindringlichen Momenten, die die Kommissarin und Pauline Schilling haben. Selbst die Transgender-Problematik könnte einen Menschen wie Brasch mehr tangieren als andere. Nicht der Wunsch, ein Mann zu sein, aber die Frage, wie groß die Anteile des anderen Geschlechts in der eigenen Persönlichkeit sind, diese Gedanken würde man dieser Doreen Brasch schon zutrauen. Und wenn nicht ihr, dann den Drehbuchautoren, die die Kommissarin nicht ohne Grund als eine weibliche Version von Schimanski mit harter Hülle und Motorrad auf den Zuschauer losrasen ließen. Erst seitdem sie eine Art Beziehung hat, die anfangs allein sexuell motiviert wurde, gehört zu Braschs Wesen nicht mehr nur das „Harte“ und Dominante. Aus ihrer Verkapselung hat sie sich ein Stück weit herausgewagt.

Soundtrack: Villagers („Courage“), Nina Simone („I Shall Be Released“), Noir Désire („Des Armes“), Lou Reed („Caroline Says II“), The Fall („Hey! Student“)

Polizeiruf 110 – Zehn RosenFoto: MDR / Stefan Erhard
Pauline (Alessija Lause) braucht ein Alibi und bittet Sebastian (Jan Krauter), für sie zu lügen. Die Transfrau hatte wenig Glück in der Liebe – und es scheint so zu bleiben. Pauline Schillings Blumenladen sorgt für die Metapher des Films.

Für die Darstellung dieser schrittweisen Öffnung der Kommissarin ist Claudia Michelsen natürlich die ideale Besetzung. In „Zehn Rosen“, wo Brasch ihre fast autistische Selbstfixierung gelegentlich aufgibt zugunsten einer geradezu empathischen Haltung gegenüber der verzweifelten Transfrau, kann die Schauspielerin die Breite ihres Könnens ausspielen. Dieser unspektakulär daherkommende „Polizeiruf 110“ ist ein Fest der psychologischen Zwischentöne und schauspielerischen Nuancen. Das gilt auch für Matthias Matschke, der in seiner Rolle angekommen ist: Dirk Köhler ist keine Autoren-Kopfgeburt mehr, muss nicht länger Braschs Gegen-Bild sein, nicht mehr die beleidigte Leberwurst spielen, sondern darf auch mal – wenn man schon Matschke verpflichtet hat – leicht ironisch sein („frag ja nur, bin Scheidungskind“). Auch Felix Vörtler als Kriminalrat Lemp ist eine besondere Marke und diesmal etwas präsenter als sonst. Dieses Trio verströmt einen wunderbar spröden Charme. Die neue Episode ist typisch für diesen Reihen-Ableger, bei dem man immer schon etwas genauer hingucken musste, um seine Qualitäten zu entdecken. Auch dieser „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg biedert sich nicht an beim Zuschauer, besitzt trotz einer markanten Farbdramaturgie und einem sehr atmosphärischen, stark mit Tönen und Sounds arbeitenden Score keine Oberflächen-Sexyness, sondern erzählt mit eigenwilligen Figuren eine eigenwillige Geschichte. Autor Wolfgang Stauch hat Charakter und Aura der durchgängigen Figuren genau erfasst. Dieses Trio (aber auch der Polizeipsychologe, der für die private sowie für die kriminalistische Narration ein Gewinn ist) passt auch zur Stadt oder zumindest zu dem Bild, das die Reihe von Magdeburg bisher zumeist entworfen hat. Es ist keine Schönwetter-Metropole, in die man seinen nächsten Wochenendtrip planen würde.

Stattdessen gilt für „Rote Rosen“: Verführung durch Tiefgang, durch Drama, durch Mitgefühl, durch differenzierte Stimmungen – und durch überzeugende Schauspielerleistungen. Aspekte der Vorgeschichte werden im Dialog nachgereicht (was man sich mit diesem Ensemble gern gefallen lässt), nachdem sie vorweg in Form von assoziativen Flashbacks in die Bilder der chronologischen Handlung eingeschnitten werden und den Zuschauer die Vorgeschichte zumindest erahnen lassen. Genaues Hinsehen (aber auch Hinhören) ist bei Michelsen, Regisseur Torsten C. Fischer & Co also durchaus von Vorteil, um der erzählerischen Dichte gewahr zu werden. „Ich habe meinen Schatten verloren“, sagt der völlig frustrierte Lemp in Anlehnung an eine TV-Westenserie um einen „Sheriff, der sich hinter seinem Schreibtisch verkriecht“, als er Brasch und Köhler seinen Abgang ankündigt. Eine Filmstunde später sieht man den Kriminalrat in seinem Büro und der Riesenschatten, der sich an der Wand abzeichnet, dürfte nicht nur die Kommissare aufatmen lassen. Auch der erste Plausch des Trios um Lemps Sinnkrise und seine Dienstwaffe unter dem Kopfkissen ist kein beliebiges Palavern, sondern das Gespräch bekommt später noch einmal Relevanz. In diesem Krimi-Drama hat alles Hand und Fuß. Und wenn in Zukunft die Richtigen am Werk sind, könnte die etwas umgänglicher gewordene Brasch in eine Drama-Krimi-Nische stoßen, die frei geworden ist durch den Abgang von Matthias Brandt im „Polizeiruf“ aus München. (Text-Stand: 13.1.2019)

Polizeiruf 110 – Zehn RosenFoto: MDR / Stefan Erhard
Erfreulicherweise hat Kriminalrat Lemp (Felix Vörtler) seinen Schatten doch nicht verloren. „Wir haben Schnaps, wir sind am Leben; mehr brauchen wir heute nicht.“

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Reihe

MDR

Mit Claudia Michelsen, Matthias Matschke, Felix Vörtler, Alessija Lause, André Jung, Steven Scharf, Sven Schelker, Jan Krauter, Birge Schade, Henning Peker

Kamera: Theo Bierkens

Szenenbild: Uwe Berthold

Kostüm: Manuela Nierzwicki

Schnitt: Heike Parplies

Musik: Wolfgang Glum, Warner Poland

Redaktion: Johanna Kraus

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer

Drehbuch: Wolfgang Stauch – nach einer Vorlage von Martin Douven

Regie: Torsten C. Fischer

Quote: 7,84 Mio. Zuschauer (21,4% MA)

EA: 10.02.2019 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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