Kriminalrat Lemp (Felix Vörtler) ist ziemlich durch den Wind. Alkoholisiert hat er in der Nacht einen jungen Mann angefahren. Der konnte zwar offenbar noch laufen, sonst wäre er nicht so schnell wieder im Wald verschwunden, dennoch fährt dem sonst so untadeligen Polizisten am nächsten Morgen der Schrecken in die Glieder. Nahe der Unfallstelle stößt er auf seine Kollegin Doreen Brasch (Claudia Michelsen). Waldarbeiter haben eine Leiche gefunden. „Wer ist das?“, fragt Lemp mit belegter Stimme. Er kann aufatmen. Es ist eine junge Frau, die da im Unterholz liegt, hingerichtet mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe. Unweit des Tatorts findet Brasch in einem Auto ein kleines Mädchen (Madeleine Tanfal), es ist die Tochter der Toten. Bald hat Assistent Günther Márquez (Pablo Grant) auch den Vater der Ermordeten ausfindig gemacht: Werner Mannfeld (Christian Kuchenbuch), ein Landwirt, seit zwei Monaten verwitwet. Der kann das Ganze nicht glauben. Seine Tochter Jessica sei doch seit vier Jahren tot, umgekommen bei einem Autounfall, zusammen mit ihrem Freund Alex Zapf (Ben Müchnow). Beide waren Junkies. Mannfeld habe damals den Kontakt zu seiner Tochter abgebrochen. Als zwei Drogenfahnder (Steffen C. Jürgens & Luisa-Céline Gaffron) im Kommissariat auftauchen, ist das Mysterium rasch geklärt: Jessica und Alex waren Kronzeugen in einem Prozess gegen einen Drogenbaron und kamen in den Zeugenschutz.
Warum aber ist das Paar ausgerechnet jetzt wieder zurückgekommen in diese ausgesprochen trostlose Gegend? Dass die Handlanger des einsitzenden Drogenhändlers und seine Frau (Deborah Kaufmann) es auf den nach der Kollision mit Lemp ziemlich lädierten Alex abgesehen haben, lässt annehmen, dass die beiden „Stoff“ beiseite geschafft haben, den sie offenbar zu Geld machen woll(t)en… Der „Polizeiruf 110 – Tod einer Toten“ ist ein Krimi, in dem sich anfangs die Fragen nur so auftürmen und in dem am Ende zwar alles geklärt ist, dessen Krimi-Konstruktion sich – retrospektiv betrachtet – allerdings als eher wackelig erweist. Da sind die kleinen Zufälle zwischendurch (der vor der Polizei flüchtende Alex trifft just in der Pampa auf ein Auto mit seinem vermeintlichen Retter) noch nicht mal eingerechnet. Die Geschichte wirkt denn auch mehr geplottet als erzählt. Der Point of View wechselt ständig, die Narration ist entsprechend wenig strukturiert, sie folgt der Handlung, und die ist zunächst unspektakulär: Befragungen, kleine Aktionen, allenfalls angerissene und miteinander verschnittene Szenen sorgen für ein Mindestmaß an Abwechslung. Dramaturgisch ist das Ganze sehr kleinteilig angelegt: Da ein Verdächtiger, dort ein zwielichtiger Typ oder mal wieder der fahrige Kriminalrat, der noch lange mit seinem Fauxpas hadert. Der Zuschauer ist durchweg ein bisschen besser im Bilde als die Kommissare. In den letzten zwanzig Minuten wird aus dem Mehrwissen urplötzlich eine Art Schock-Wissen. Mit einem buchstäblichen Knalleffekt ist das lange Zeit fehlende Mitgefühl (mit dem bedrohten Ex-Junkie) beim Zuschauer reflexartig aktiviert und der eher konventionellen Last-Minute-Rescue-Situation zum Trotz nimmt die Spannung nun rapide zu – und Kommissarin Brasch muss sich sputen.
Auch in „Tod einer Toten“ macht wie in anderen weniger überzeugenden Fällen aus Magdeburg Claudia Michelsen den Unterschied. Diese Schauspielerin verleiht selbst grauer ostdeutscher Krimi-Routine noch die Aura des Besonderen. Allerdings geben die Drehbuchautoren Michael Gantenberg, David Nawrath, Paul Salisbury ihrer Figur auch einige emotionale Andockmöglichkeiten mit auf den beschwerlichen Ermittlungsweg, die Michelsens Spiel auch eine ausreichende psychologische Grundierung geben. So kann Brasch sich sehr gut einfühlen in den schmerzvollen Seelenzustand des Vaters der Toten. „Als ich von ihrem Tod erfuhr, war ich irgendwie fast erleichtert“, gesteht dieser verzweifelte Mann der Kommissarin, die diese Art von Scham und Unbehagen bestens nachvollziehen kann. „Ich kenn das. Ich weiß, wie das ist, wenn dein Kind zu jemandem wird, den du nicht mehr kennst.“ In frühen Episoden spielte der ins rechtsextreme Milieu abgedriftete Sohn noch eine Rolle im Leben der Kommissarin. Jetzt, im dreizehnten Film dieses „Polizeiruf“-Ablegers, wird dieser Teil ihrer Biographie wieder einmal gestreift. „Ich hab‘ mein Kind allein gelassen, als es mich am meisten brauchte“, sagt der Vater. Auch dieser Satz in einer anderen Szene wird von Brasch natürlich nicht überhört. Aber was soll sie machen: Wie immer frisst sie den Schmerz in sich hinein. Schließlich ist es ja ihre Aufgabe, Mörder zu jagen.
Dank Claudia Michelsen und Christian Kuchenbuch sorgen die zwischenmenschlichen Situationen zwischen Brasch und Mannfeld für die intensivsten und nachhaltigsten Momente in „Tod einer Toten“. Regisseur David Nawrath deutet in solchen Szenen an, dass ihm das Drama offenbar näher liegt als der Krimi (sein Debüt in diesem Genre gab er 2019 mit „Blind ermittelt – Der Feuerteufel von Wien“): Sein markanter Erstling war schließlich die Kino-Charakterstudie „Atlas“, in dem ein glänzender Rainer Bock als ein Mann zu sehen war, der Möbel packt, aber nicht das Leben. Im Übrigen macht sich in der Geschichte auch der Gewissenskonflikt von Lemp nicht schlecht, sorgt er doch für ein bisschen Abwechslung im doch arg verwaisten Kommissariat. Sein Ego-Trip führt allerdings dazu, dass die Interaktion der beiden Beamten auf ein Minimum reduziert wird. Neue Impulse für den „Polizeiruf“ Magdeburg wären also vielleicht nicht verkehrt. Oder man muss auf stärkere Krimi-Plots setzen und sich noch sehr viel mehr trauen, ein konzentriertes Drama zu erzählen, um so die Qualitäten der Hauptdarstellerin noch deutlicher zu nutzen. (Text-Stand: 31.8.2020)