Polizeiruf 110 – Tod einer Toten

Michelsen, Vörtler, Kuchenbuch, Münchow, Nawrath. Rückkehr zweier Kronzeugen

Foto: MDR / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Kriminalrat Lemp fährt alkoholisiert einen jungen Mann an. Ein Vater hat seine Tochter im Stich gelassen; jetzt ist sie tot, sie wurde kaltblütig erschossen. Kommissarin Brasch fühlt sich dadurch schmerzlich an ihre unrühmliche Rolle als Mutter (eines rechtsextremen Sohns) erinnert. „Tod einer Toten“ (MDR / filmpool fiction), der dreizehnte „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg, ist ein Krimi, in dem sich anfangs die Fragen nur so auftürmen und in dem am Ende zwar alles geklärt ist, dessen Krimi-Konstruktion sich – retrospektiv betrachtet – allerdings als eher wackelig erweist. Den Unterschied macht einmal mehr Claudia Michelsen. Ihre Szenen mit Christian Kuchenbuch sind die intensivsten und nachhaltigsten Momente des Films, der vom Buch her durchaus mehr Mut zum konzentrierten Drama hätte haben können. Die Inszenierung von David Nawrath ist überzeugend, und der Krimiplot legt in den letzten 20 Minuten noch eine schockhafte Wendung hin.

Kriminalrat Lemp (Felix Vörtler) ist ziemlich durch den Wind. Alkoholisiert hat er in der Nacht einen jungen Mann angefahren. Der konnte zwar offenbar noch laufen, sonst wäre er nicht so schnell wieder im Wald verschwunden, dennoch fährt dem sonst so untadeligen Polizisten am nächsten Morgen der Schrecken in die Glieder. Nahe der Unfallstelle stößt er auf seine Kollegin Doreen Brasch (Claudia Michelsen). Waldarbeiter haben eine Leiche gefunden. „Wer ist das?“, fragt Lemp mit belegter Stimme. Er kann aufatmen. Es ist eine junge Frau, die da im Unterholz liegt, hingerichtet mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe. Unweit des Tatorts findet Brasch in einem Auto ein kleines Mädchen (Madeleine Tanfal), es ist die Tochter der Toten. Bald hat Assistent Günther Márquez (Pablo Grant) auch den Vater der Ermordeten ausfindig gemacht: Werner Mannfeld (Christian Kuchenbuch), ein Landwirt, seit zwei Monaten verwitwet. Der kann das Ganze nicht glauben. Seine Tochter Jessica sei doch seit vier Jahren tot, umgekommen bei einem Autounfall, zusammen mit ihrem Freund Alex Zapf (Ben Müchnow). Beide waren Junkies. Mannfeld habe damals den Kontakt zu seiner Tochter abgebrochen. Als zwei Drogenfahnder (Steffen C. Jürgens & Luisa-Céline Gaffron) im Kommissariat auftauchen, ist das Mysterium rasch geklärt: Jessica und Alex waren Kronzeugen in einem Prozess gegen einen Drogenbaron und kamen in den Zeugenschutz.

Polizeiruf 110 – Tod einer TotenFoto: MDR / Stefan Erhard
„Ich hab‘ mein Kind allein gelassen, als es mich am meisten brauchte.“ Jetzt liegt die Tochter tot auf dem Tisch des Rechtsmediziners. Jessica Mannfeld (Johanna Polley)

Warum aber ist das Paar ausgerechnet jetzt wieder zurückgekommen in diese ausgesprochen trostlose Gegend? Dass die Handlanger des einsitzenden Drogenhändlers und seine Frau (Deborah Kaufmann) es auf den nach der Kollision mit Lemp ziemlich lädierten Alex abgesehen haben, lässt annehmen, dass die beiden „Stoff“ beiseite geschafft haben, den sie offenbar zu Geld machen woll(t)en… Der „Polizeiruf 110 – Tod einer Toten“ ist ein Krimi, in dem sich anfangs die Fragen nur so auftürmen und in dem am Ende zwar alles geklärt ist, dessen Krimi-Konstruktion sich – retrospektiv betrachtet – allerdings als eher wackelig erweist. Da sind die kleinen Zufälle zwischendurch (der vor der Polizei flüchtende Alex trifft just in der Pampa auf ein Auto mit seinem vermeintlichen Retter) noch nicht mal eingerechnet. Die Geschichte wirkt denn auch mehr geplottet als erzählt. Der Point of View wechselt ständig, die Narration ist entsprechend wenig strukturiert, sie folgt der Handlung, und die ist zunächst unspektakulär: Befragungen, kleine Aktionen, allenfalls angerissene und miteinander verschnittene Szenen sorgen für ein Mindestmaß an Abwechslung. Dramaturgisch ist das Ganze sehr kleinteilig angelegt: Da ein Verdächtiger, dort ein zwielichtiger Typ oder mal wieder der fahrige Kriminalrat, der noch lange mit seinem Fauxpas hadert. Der Zuschauer ist durchweg ein bisschen besser im Bilde als die Kommissare. In den letzten zwanzig Minuten wird aus dem Mehrwissen urplötzlich eine Art Schock-Wissen. Mit einem buchstäblichen Knalleffekt ist das lange Zeit fehlende Mitgefühl (mit dem bedrohten Ex-Junkie) beim Zuschauer reflexartig aktiviert und der eher konventionellen Last-Minute-Rescue-Situation zum Trotz nimmt die Spannung nun rapide zu – und Kommissarin Brasch muss sich sputen.

Auch in „Tod einer Toten“ macht wie in anderen weniger überzeugenden Fällen aus Magdeburg Claudia Michelsen den Unterschied. Diese Schauspielerin verleiht selbst grauer ostdeutscher Krimi-Routine noch die Aura des Besonderen. Allerdings geben die Drehbuchautoren Michael Gantenberg, David Nawrath, Paul Salisbury ihrer Figur auch einige emotionale Andockmöglichkeiten mit auf den beschwerlichen Ermittlungsweg, die Michelsens Spiel auch eine ausreichende psychologische Grundierung geben. So kann Brasch sich sehr gut einfühlen in den schmerzvollen Seelenzustand des Vaters der Toten. „Als ich von ihrem Tod erfuhr, war ich irgendwie fast erleichtert“, gesteht dieser verzweifelte Mann der Kommissarin, die diese Art von Scham und Unbehagen bestens nachvollziehen kann. „Ich kenn das. Ich weiß, wie das ist, wenn dein Kind zu jemandem wird, den du nicht mehr kennst.“ In frühen Episoden spielte der ins rechtsextreme Milieu abgedriftete Sohn noch eine Rolle im Leben der Kommissarin. Jetzt, im dreizehnten Film dieses „Polizeiruf“-Ablegers, wird dieser Teil ihrer Biographie wieder einmal gestreift. „Ich hab‘ mein Kind allein gelassen, als es mich am meisten brauchte“, sagt der Vater. Auch dieser Satz in einer anderen Szene wird von Brasch natürlich nicht überhört. Aber was soll sie machen: Wie immer frisst sie den Schmerz in sich hinein. Schließlich ist es ja ihre Aufgabe, Mörder zu jagen.

Polizeiruf 110 – Tod einer TotenFoto: MDR / Stefan Erhard
Lemp (immer eine sichere Bank: Felix Vörtler) atmet schwer – dann erleichtert auf. Bei der Leiche handelt es sich nicht um den jungen Mann, den er in der Nacht zuvor angefahren hat. Dieser dürfte allerdings auch in den Fall verwickelt sein. Michelsen

Dank Claudia Michelsen und Christian Kuchenbuch sorgen die zwischenmenschlichen Situationen zwischen Brasch und Mannfeld für die intensivsten und nachhaltigsten Momente in „Tod einer Toten“. Regisseur David Nawrath deutet in solchen Szenen an, dass ihm das Drama offenbar näher liegt als der Krimi (sein Debüt in diesem Genre gab er 2019 mit „Blind ermittelt – Der Feuerteufel von Wien“): Sein markanter Erstling war schließlich die Kino-Charakterstudie „Atlas“, in dem ein glänzender Rainer Bock als ein Mann zu sehen war, der Möbel packt, aber nicht das Leben. Im Übrigen macht sich in der Geschichte auch der Gewissenskonflikt von Lemp nicht schlecht, sorgt er doch für ein bisschen Abwechslung im doch arg verwaisten Kommissariat. Sein Ego-Trip führt allerdings dazu, dass die Interaktion der beiden Beamten auf ein Minimum reduziert wird. Neue Impulse für den „Polizeiruf“ Magdeburg wären also vielleicht nicht verkehrt. Oder man muss auf stärkere Krimi-Plots setzen und sich noch sehr viel mehr trauen, ein konzentriertes Drama zu erzählen, um so die Qualitäten der Hauptdarstellerin noch deutlicher zu nutzen. (Text-Stand: 31.8.2020)

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Reihe

MDR

Mit Claudia Michelsen, Felix Vörtler, Christian Kuchenbuch, Ben Münchow, Steffen C. Jürgens, Pablo Grant, Luisa-Céline Gaffron, Madeleine Tanfal, Deborah Kaufmann, Christian Ehrich, Henning Peker, Beat Marti

Kamera: Tobias von dem Borne

Szenenbild: Uwe Berthold

Kostüm: Manuela Nierzwicki

Schnitt: Dagmar Lichius

Musik: Matthias Weber

Soundtrack: James Newton Howard („The Hanging Tree“)

Redaktion: Johanna Kraus

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer, Ilka Förster

Drehbuch: Michael Gantenberg, David Nawrath, Paul Salisbury

Regie: David Nawrath

Quote: 8,45 Mio. Zuschauer (26,6% MA)

EA: 20.09.2020 20:15 Uhr | ARD

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