Polizeiruf 110 – Söhne Rostocks

Sarnau, Hübner, Strauß, Busch, von Castelberg. Drama- statt Krimi-Dramaturgie

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Rainer Tittelbach

Bukow war wohl noch nie so locker, ausgeglichen und gleichzeitig bestimmt wie in diesem „Polizeiruf“. Die Kollegin indes steht weiterhin neben sich; ihre Falschaussage in einem alten Fall belastet sie noch immer. Nicht nur was die horizontale Erzählung angeht, wirkt „Söhne Rostocks“ wie eine Episode des Übergangs. Auch ermitteln die Kommissare eher unter ihrer normalen Betriebstemperatur. Überzeugend ist „Söhne Rostocks“ vor allem als Porträt eines Glücksritters, als ein Drama, das weitgehend ohne den Drive und die Dynamik anderer Filme der Reihe auskommt. Christian von Castelbergs Film nach dem Buch von Markus Busch steckt voller starker Augenblicke: mal sind es Spielszenen, realistische Miniaturen, in denen selbst Nebenfiguren eine große psychophysische Präsenz bekommen, mal sind es markante Bilder, die dem winterlichen Schmuddelwetter Farb- und Lichtmomente abtrotzen.

Bukow (Charly Hübner) will nur mal eben nach dem Rechten sehen in der Villa des stadtbekannten Michael Norden (Tilman Strauß). Die Hinweise auf Einbruch bestätigen sich aber nicht. Dafür taumelt ein blutüberströmter Mann auf den Kommissar zu, reißt ihn um – und stirbt in seinen Armen. Norden, der den Toten zu kennen scheint, schwingt sich umgehend in seinen Sportwagen und verabschiedet sich in die Rostocker Nacht. Der Tote, ein Freund, soll offensichtlich eine Warnung für ihn sein. Der Jungunternehmer des Jahres hat finanzielle Probleme. Seine Zeitarbeitsfirma, mit der er Millionen gemacht hat, ist nicht mehr zahlungsfähig. Offenbar hat sich Norden bei Termingeschäften an der Börse verzockt. Während ihm Bukow und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) hinterher recherchieren, versucht dieser bei seinem alten „Meister“, dem Immobilienhändler Stefan Larges (Germain Wagner), einen Millionenbetrag aufzutreiben. Bei ihren Ermittlungen stoßen die Kommissare auf Michael Nordens aktuelle, nur wenig auskunftsfreudige Freundin (Romina Küper) und auf seine Ex, Beate Hövermann (Katharina Behrens), und ihren 17-jährigen Sohn Jon (Oskar Belton). Norden ist dessen Erzeuger, weiß es aber erst seit Kurzem, und er bestreitet die Vaterschaft. Auch Jon erfährt davon erst jetzt – und so macht sich der 17-Jährige, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen Vater, auf die Suche nach dem abgetauchten Norden.

Polizeiruf 110 – Söhne RostocksFoto: NDR / Christine Schroeder
Koks in der Nase, Kapuze auf dem Kopf, Kälte im Herzen. Michael Norden (Tilman Strauß), Jungunternehmer des Jahres, kommt aus kleinen Verhältnissen, hat sich ein Firmen-Imperium aufgebaut – doch nun droht ihm der Absturz: Norden ist pleite.

Jahrelang ging es nur bergauf bei jenem Michael Norden. Er ging moralisch über Leichen, hatte bald keine Freunde mehr, wurde gierig. Die Jagd nach dem schnellen Geld war dessen einziger Lebensinhalt. Der „Polizeiruf 110 – Rostocker Söhne“ zeichnet ein Bild dieses „Gewinners“, dem jetzt sein eigenes Verhalten auf die Füße fällt. In der ersten Szene sieht man ihn noch lässig und nonchalant in seiner Protzvilla – ein nicht unsympathischer Mensch mit ebenso gutem Benehmen wie Aussehen. Später bekommt man von den Kommissaren die Erfolgsstory jenes Mannes nachgereicht: Als junger Mann machte er sich auf die Suche nach seinem Vater, und er fand ihn in der Gosse – tot. Von da an lautete sein Vorsatz: „Ich werde ein besseres, ein erfolgreicheres Leben führen als mein Vater.“ Hansen verabschiedete sich von alten Bindungen und verkehrte ab sofort in höheren Kreisen. Parallel zu dieser Aufsteigerstory sieht man Hansen heute: wie er durch Rostock wankt, Koks in der Nase, Kapuze auf dem Kopf, Kälte im Herzen. „Er ist eine Gefahr für sich und andere“, erkennt Bukow. Ähnliches gilt auch für seine Kollegin. König hat Post bekommen von Guido Wachs, dem „Vergeltungsvergewaltiger“ und Mörder in der Episode „Für Janina“, den sie 15 Jahre hinter Gitter gebracht hat – durch eine Falschaussage, anders hätte er nicht verurteilt werden können. Wachs weiß, dass er reingelegt wurde und setzt die Kommissarin unter Druck. Bukow versucht, sie zu beruhigen. Vor allem fordert er: Beine stillhalten, keine Schuld-Eingeständnisse. Auch im eigenen Interesse. Denn er hat Königs Aussage damals bestätigt.

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Rollentausch? Bukow (Charly Hübner) wirkt in „Söhne Rostocks“, dem zwanzigsten „Polizeiruf 110“ aus Rostock, vernünftiger als Katrin König (Anneke Kim Sarnau).

Der Straßenköter von einst hat momentan den klareren Kopf von den beiden. Er weiß aber, wie es sich anfühlt, so extrem unter Druck zu stehen, und er weiß die Alarmsignale zu lesen. König ist unkonzentriert, lässt sich gehen, verlässt unvermittelt eine Befragung, übernachtet schon mal im Präsidium, hat einen Flachmann als Beruhigungsmittel dabei und dass sie am Steuer ihres Wagens zwischendurch mal die Augen schließt – sowas kannte man bisher nicht von der zuverlässigen Profilerin. „Die Ermittlungsarbeit hält sie noch einigermaßen in der Spur“, sagt Anneke Kim Sarnau über ihre Figur. Aber bei ihr fehlt der Anker: „Sie hat kein Privatleben, das ihr Halt geben könnte.“ Nun ist sie – wie zwischendurch der Kollege – „ein einsamer Wolf und immer allein unterwegs“. Ein Leichtes, das zu ändern. Bukow war wohl noch nie so locker, ausgeglichen und gleichzeitig bestimmt wie in diesem „Polizeiruf“. Offenbar hat ihn der Kuss am Ende der letzten Episode, „Dunkler Zwilling“, beflügelt. Charly Hübner geht im NDR-Presseheft sogar so weit, zu sagen: „Er ist verliebt.“ Neue Schuhe hat er sich jedenfalls schon gekauft. „Wegen Ihnen“, merkt er schmunzelnd an, „hab ja sonst niemanden“. Gleich zu Beginn nach dem neuen „Polizeiruf“-Vorspann sieht man ihn am späten Abend, mit eine Flasche Wein bewaffnet, am Hafen, ganz in der Nähe, wo ihn die Kollegin geküsst hat – und er ist guter Dinge. „Schlafen Sie gut“, wünscht er Ihr sogar per Sprachnachricht. Indirekt korrespondiert dieser optimistische Anfang mit der zwar ehrlichen, aber weniger zuversichtlichen Schlussszene der beiden. „Ich hab‘ Angst“, sagt König.

Polizeiruf 110 – Söhne RostocksFoto: NDR / Christine Schroeder
Wünscht sich nichts sehnlicher als einen Vater: Jon Hövermann (Oskar Belton).

Nicht nur was die horizontale Entwicklung der beiden Hauptcharaktere angeht, wirkt „Söhne Rostocks“ wie eine Episode des Übergangs. Auch ermitteln Bukow und König eher unter ihrer normalen Betriebstemperatur. Der Fall reißt sie nicht emotional mit, rührt nicht an der eigenen Existenz. Überzeugend ist dieser „Polizeiruf“ vor allem als Porträt eines Glücksritters, als ein Drama also, das weitgehend ohne den Drive und die Dynamik anderer Filme der Reihe auskommt. Autor Markus Busch („Tatort – Borowski und das Fest des Nordens“) hat es nicht so mit klassischen Krimis. Auch wenn die Episoden-Hauptfigur immer unberechenbarer wird und auch deren Sohn eine explosive Mischung Mensch ist, entsteht bis aufs Finale keine übermäßige Krimispannung, da sich dieser Handlungsstrang kaum mit den Ermittlungsszenen hochschaukelt. Busch setzt auf Drama- statt auf Genre-Dramaturgie. Da ihm der Realismus (der Charaktere) wichtiger ist als eine ausgefeilte Informationsvergabe für den Zuschauer, kann es schon mal zu Redundanzen kommen. Aber so ist das nun mal oft beim (realen) Ermitteln. Da müssen Informationen in anderen Zusammenhängen wiederholt werden. So etwas ist man im Krimi-Genre, das seit einigen Jahren immer stärker mit Thriller-Elementen arbeitet, nicht mehr gewohnt. Dafür entwickeln sich ganz andere Qualitäten aus dieser Art des Geschichtenerzählens. Der Film von Christian von Castelberg steckt voller großartiger kleiner Augenblicke: mal sind es Spielszenen, realistische Miniaturen, in denen selbst Nebenfiguren eine ungewöhnliche psychophysische Präsenz bekommen, mal sind es eindrucksvolle, meist nächtliche Bilder, in denen der von Castelberg und Kameramann Martin Farkas dem spätwinterlichen Ostsee-Schmuddelwetter markante Farb- und Lichtmomente abtrotzen. Aus der ästhetisch überhöhten Autofahrt auf dem Weg zum Showdown entsteht ein solcher Moment. Und auch in diesem Film hat es sich einmal mehr ausgezeichnet, dass im Rostock-„Polizeiruf“ nicht nach Namen, sondern nach „Authentizität“ besetzt wird – was vor allem auch dem Realismus-Eindruck der Reihe zugutekommt. (Text-Stand: 23.12.2019)

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Reihe

NDR

Mit Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner, Tilman Strauß, Oskar Belton, Katharina Behrens, Andreas Guenther, Josef Heynert, Germain Wagner, Romina Küper, Uwe Preuss

Kamera: Martin Farkas

Szenenbild: Sonja Strömer

Kostüm: Susanne Witt

Schnitt: Dagmar Lichius

Musik: Eckart Gadow

Redaktion: Daniela Mussgiller

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Iris Kiefer, Ilka Förster

Drehbuch: Markus Busch

Regie: Christian von Castelberg

Quote: 8,80 Mio. Zuschauer (24,5% MA)

EA: 19.01.2020 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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