Premiere für Luschke (Gisa Flake) und Rogov (Frank Leo Schröder). Beide sind zum dritten Mal an der Oder dabei. Dem Ex-Kommissar, Ex-Provinz-Polizisten und jetzt wieder Kommissar Karl Rogov ist der Sprung nach vorn nicht ganz geheuer. Im letzten Fall („Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts“) noch am Rechner eingenickt, kann er sich auf Rückendeckung aus der neuen Dienststelle verlassen. Kollegin Alexandra Luschke geht es forscher an. Hierarchien sind was für Befehlsempfänger. Mit diesem Selbstverständnis vermutet sie den Mörder des jungen Leon Herne in dessen direkten Umfeld. Alles spricht für eine tödliche Fehde in der Kanzlei von Seniorchef Richtmann (Bernhard Schütz). Wann immer sich die Kamera den beiden Kompagnons des Toten nähert, flüstert ein leise anschwellender Ton von Gefahr. Zusätzlich schleicht sich die Kamera heran, bevor Flashbacks Protagonist wie Zuschauer in die Mordnacht zurückversetzen. Es sind verwaschene Bilder. Auf konkrete Erinnerungen darf keiner hoffen. Dazu war zu viel Alkohol im Spiel.
Foto: RBB / Christoph Assmann
Zwischen den Ermittlungs- und Verhörszenen im Kommissariat setzt Regisseur Tomasz E. Rudzik (Bayerischer Filmpreis beste Nachwuchsregie für das Drama „Agnieszka“, 2014) die Oder als Grenzfluss in Szene. Die Kamera fährt über das Schilf und an ihren Ufern entlang. Getaktet wird der Erzählfluss von der Aufsicht auf die Zollanlagen eines Grenzübergangs. Fließender Verkehr auf der Brücke, eine passierbare Grenze, die zur Normalität geworden ist. Das Bild täuscht. Das ist der Motor für diesen Fall, in dessen Verlauf, weitere, andere Grenzen (unerlaubt) passiert werden. Wildschutzzäume etwa, die zur Eindämmung der afrikanischen Schweinepest dienen und den Viehbestand der lokalen Landwirte schützen sollen. Spätestens wenn die Spur der kleinen Jagdgesellschaft zum Hof des Jagdleiters Marek (Piotr Witkowski) führt, wird offensichtlich, wo hier die wahre Grenze verläuft. Deutsche Touristen kommen ein paar Mal im Jahr auf ihr Gut, um in den Wäldern 16-Ender zu erlegen. Polnische Schweinezüchter kümmern sich um ihr Vieh, sind gezwungen, mit Jagdtourismus ihr Zubrot zu verdienen und räumen den Dreck weg. Da weiß man gleich, wer einem leidtun kann.
Um die vorschnelle Aufteilung in Gut und Böse zu durchbrechen, offenbaren Verhöre das psychische Elend der gut betuchten Anwaltschaft. Der eine ein ungeliebter Sohn, der sich hinter seiner arroganten Fassade versteckt. Der andere ein auserwählter Kronprinz, der dieser Rolle nicht gewachsen ist. Ermittlerin Luschke wird Zeugin einiger Psycho-Beichten und balanciert zwischen Verständnis und Wachsamkeit. Luschke ist das Pendant zu den Farbtupfern im Bild (mal ein frisch bemalter Grenzpoller, mal die in Rot- und Blautönen leuchtenden Eisenträger der Oderbrücke). Rote Bluse und durchdringender Blick signalisieren ihrem Gegenüber, was Sache ist und wo sie die Grenze zieht. Gisa Flake dreht diesmal nicht auf wie als silbernes Funkemariechen in ihrem „Polizeiruf“-Debüt „Cottbus kopflos“. Im Gegenteil: sie fährt deutlich runter. Das muss sie auch, um sich von ihren Comedy-Auftritten („heute-Show“) abzusetzen. Zeitgleich in beiden Formaten präsent zu sein, birgt ein Risiko. Anders gesagt: Der Zuschauer muss die witzige, keifende, übertreibende Flake vergessen, um ihr in der Rolle der Alexandra Luschke zu folgen. Frank Leo Schröder wächst mit jedem Einsatz mehr in die Rolle des unaufgeregten Altmeisters hinein. Dabei trägt die Figur des Karl Rogov sogar einen Hauch früherer DDR-„Polizeiruf“-Kommissare in der beigen Jackentasche.
Foto: RBB / Christoph Assmann
Die Natur übernimmt in „Polizeiruf 110 – Schweine“ ebenfalls eine Hauptrolle. Dazu gehören überblendende Aufnahmen vom Ufersaum, die bildschön mit dem durchweg ruhigen Sound korrespondieren. Das Spiel mit wechselnden Farben wiederholt sich am Fluss, dessen Blau je nach Lichteinfall ins türkise oder schwarze tendiert. Der Wald ist als Kulisse verlorener Seelen in Szene gesetzt. Menschen nähert sich die Kamera dort oft aus der Untersicht, während von oben durchbrechende Sonnenstrahlen die Szenerie in kaltes Licht tauchen. Besonders fein ist das während eines zweiten Jagdausflugs komponiert, bei dem – Punktabzug – die Ermittler den Verdächtigen unvermittelt auf die Spur kommen. Zum Finale stört nur der versöhnliche Schlussgag, den es (wie so oft) nicht braucht. Die Schlussbilder dagegen entsprechen der Tragik der Geschichte und unterstreichen, welche Folgen sich aus ihr am jeweiligen Schauplatz ergeben. Zwei Welten, die immer weiter voneinander forttreiben.