„Na sauber, ein Mongo“, rutscht es Tauber zu Beginn der Ermittlungen heraus, als er das Mädchen sieht, dessen Schicksal mit dem Fall mehr zu tun haben wird, als anfangs angenommen. Auch in der anschließenden Befragung glänzt der Kommissar nicht gerade durch Feinfühligkeit. Die Mutter jenes 19-jährigen Mädchens mit Down-Syndrom (medizinisch: Trisomie 21) ist Opfer eines Gewaltverbrechens geworden und liegt im Koma. Und Tochter Rosi ist offenbar die Einzige, die etwas gesehen haben könnte.
Kommissarin Obermaier versucht die Fettnäpfchen, in die ihr Kollege tritt, aus dem Weg zu räumen und entdeckt in der Behindertenwerkstatt, in der Rosi arbeitet, ihr Herz für diese sanftmütigen Außenseiter: „Vielleicht sind die ja die Normalen und wir sind der Fehler.“ Auch Tauber wird im Laufe der Ermittlungen sein anfängliches Verhalten noch bitter bereuen, doch zunächst arbeitet er weiter an seinen Vorurteilen. Als sich herausstellt, dass Rosi schwanger ist, scheint für ihn der Fall klar zu sein. Auf einem Überwachungsvideo sieht man Mutter und Tochter auf der Unheil bringenden Autobahnraststätte in einem heftigen Streit. Ziel der der Reise sollte eine Abtreibungsklinik sein. Offenbar wollte Rosi ihr Baby behalten, die Mutter nicht, „also haut die Tochter die Mutter um – bumm!“, vermutet Tauber.
Doch die Sache ist komplizierter. Der Vater des Kindes, ein ebenfalls behinderter junger Mann, neigt zu Aggressionen, scheint also ins Täterprofil zu passen. Sein alter Herr ist auch ein seltsamer Zeitgenosse, der alles mit einem Scheck zu regeln weiß. Dass Rosis Vater Geldsorgen plagen, gibt Anlass zu weiteren Spekulationen. „Rosis Baby“ ist ein wendungsreicher Krimi, der sich zum Familiendrama auswächst. Bei allem aber bleibt das „Sorgenkind“ Rosi im Mittelpunkt. Sie ist das Herzstück des Falls, der Aktivposten. Sie führt die Kommissare in diesem winterlichen „Polizeiruf“ aus München gelegentlich aufs Glatteis, sie sorgt aber auch für die nötige „Wärmezufuhr“. Und sie lässt den so unsensiblen Tauber eine völlig neue Seite von sich entdecken. „Du bist auch behindert“, sagt Rosi. Ein Grund mehr für sie, sich den einarmigen Kommissar als Vater für ihr Kind auszusuchen.
Während der Dreharbeiten muss Hauptdarstellerin Juliana Götze das Team zu ähnlichen Gefühlsregungen gebracht haben. „Es ist unglaublich, wie ursprünglich und mit welcher Offenheit sie auf alle Menschen zugeht und mit welcher Liebe uns Juliana ‚umwärmt’ hat“, erinnert sich Michaela May. „Du wunderbarer, geheimnisvoller Mensch“, schrieb ihr Edgar Selge nach den Dreharbeiten in einem Brief. Aber auch professionell habe die 21-Jährige, die in Berlin im Theater RambaZamba arbeitet, die Erwartungen übertroffen, schwärmen die Produzenten. „Auch das noch: eine Liebesszene und schwanger? Ohne mich!“ war ihre erste Reaktion auf das Drehbuch. Doch die Zweifel waren schnell ausgeräumt. „Es war enorm, mit welcher Disziplin Juliana vor der Kamera arbeitete“, so May. Auch Julianas Mutter, Petra Götze, lernte neue Seiten an ihrer Tochter kennen: „Sie kam mir kein bisschen behindert vor.“
„Rosis Baby“ steckt voller Wehmut. Sollen Menschen mit Down-Syndrom wirklich keine Kinder kriegen? Der fehlerhafte Chromosomensatz ist nicht vererbbar, aber ohne Hilfe wird ein Mädchen wie Rosi im Film ihr Kind nicht versorgen können. Dieses Dilemma, ausgetragen zwischen Kopf und Herz, macht aus diesem im positiven Sinne ausgewogenen „Polizeiruf“ von Andreas Kleinert einen Krimi, der länger nachwirkt als andere. Dass es der vorletzte des Duos Tauber/Obermaier ist, sorgt für zusätzliche Melancholie. (Text-Stand: 3.8.2008)