Selbstbewuss führt sie sich ein, die neue Kommissarin des ORB-„Polizeiruf 110“ Wanda Rosenbaum, gespielt von Jutta Hoffmann. Dem Technokraten-Zackzack ihres neuen Vorgesetzten begegnet sie mit Sarkasmus. „In meiner letzten Dienststelle haben wir Schmiergelder kassiert, Joints geraucht, Verhaftete misshandelt. Ich werde mich also umstellen müssen.“ Bei ihrem ersten Fall muss sie umso mehr Verständnis und Sensibilität aufbringen. Denn sie hat es, wie der Titel von Stefan Kolditz‘ und Matti Geschonnecks Provinz-Krimi aus Brandenburg nahelegt, mit einem vermeintlichen „Mörderkind“ zu tun.
Er liebt Tiere, aber auch seinen Computer. Der 13jährige Mark ist ein Sonderling, er klaut, ist widerspenstig und alle im Dorf würden ihm den Mord an der 15jährigen Jennifer zutrauen. Als er den Mord gesteht, will der Staatsanwalt die Sache lieber unter den Teppich kehren. „Wir sollten davon ausgehen, dass der Junge lügt und sich nur wichtig machen will.“ Im Kampf um Investoren und Touristen ist für Brandenburg solch ein Fall Gift. Als zu Blutspuren auf Marks Hemd Spermaspuren hinzukommen, die nicht von dem Jungen stammen, kommt erneut Bewegung in den Fall. 43 Männer des Dorfs müssen sich einer Blut- und Spermaprobe unterziehen. Ein Täter ist bald gefunden, doch Mark verhält sich weiterhin auffällig.
Groß aufgefahren für einen kleinen Film haben Cooky Ziesche (ORB) und Regisseur Geschonneck: neben der Hoffmann („die Rosenbaum kann aus ihrer Lebenserfahrung heraus mit Menschen umgehen“) als Nachfolgerin von Katrin Sass spielen Horst Krause („Der Schnapper“), Dominique Horwitz („Trickser“) und Ulrich Matthes („Winterschläfer“) – auch die anderen können sich sehen lassen. Ansonsten: Schauplatz Gröben, eine gottverdammte Gegend, schon einmal entstand hier ein „Polizeiruf 110“, Bernd Böhlichs „Kurzer Traum“.
Foto: RBB / Conny Klein
Die Gegend, die Landschaft, bestimmt den Erzählrhythmus von „Mörderkind“. Anfangs fällt der Blick auf blühende Sommerwiesen, doch mit dem Mord kommt der Regen. Ganz so gemütlich geht es dann in dem Dorf, in dem kaum einer Arbeit hat, nicht mehr zu. Die Bevölkerung ist abweisend, auch hier hat die neue Kommissarin einen schweren Stand. Kein Wunder in einem Dorf, in dem der Sohn des Bürgermeisters vom Pfarrer ist. Allein beim etwas tappigen Gendarmen Krause findet Wanda Rosenbaum liebenswerte Unterstützung.
Die Geschichte wird getragen von der Einheit von Ort, Zeit und Handlung, wie oft bei den ORB-Krimis. Ziesche: „Ansonsten bevorzugen wir anekdotisch erzählte, psychologisch genaue Geschichten.“ Für solche poetischen Dramen ist Geschonneck genau der Richtige. „Mörderkind“ inszenierte er mit mehr Hang zum Menschlichen als gewohnt. Es wird schnell klar, dass hier neben dem Krimi eine Milieu- und soziale Krankheitsgeschichte erzählt wird: Die Biographie eines Jungen, der früh zum Außenseiter in seinem Dorf gestempelt wurde, eindrucksvoll mit Ecken und Kanten gespielt von Robert Stadlober, wurde so zum Zentrum des Films, ohne aus dem „Polizeiruf“ ein Betroffenheitsdrama zu machen. (Text-Stand: 1999)