Polizeiruf 110 – Jutta oder die Kinder von Damutz

Bernd Böhlich & Dagmar Manzel. DDR-Gegenwartsstück & poetischer Realismus

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Foto Rainer Tittelbach

Bernd Böhlich war einer jener wenigen Ost-Regisseure, die vermeintlich rasch angekommen sind im deutsch-deutschen Qualitätsfernsehen. Nach zwei Grimme-Preisen sah er aber schon 1995 wenig Neuland im Krimi-Genre. Mit dem „Polizeiruf 110 – Jutta oder die Kinder von Damutz“ und Katrin Saß als Ermittlerin adaptierte er auch deshalb ein spätes DDR-Stück. Im Mittelpunkt: eine junge Frau, gespielt von Dagmar Manzel, die weg will aus ihrem Kaff. Großes Schauspieler-Fernsehen, schön spröde und doch in zeitgemäßer Bildsprache!

Die deutsche Nachdenklichkeit ist ihm ein Graus. Rührseligkeit ist ihm zuwider, im Leben wie im Film. Bernd Böhlich, einer, der in Babelsberg das Handwerk lernte, gehört mit seinen 38 Jahren bereits zu den Großen im vereinten Fernsehspiel-Deutschland. Zwei Grimme-Preise bekommt man nicht ohne Grund. Großes kleines Fernsehen ist auch Böhlichs „Polizeiruf 110“ nach einem umstrittenen Gegenwartsstück der DDR: „Jutta oder die Kinder von Damutz“.

Die brandenburgische Provinz. Eine Mutter, Mitte 30, will raus aus ihrem Kaff. Sie verliebt sich in einen flatterhaften Straßenbauer, der für sie den Traum der großen Freiheit verkörpert. Sie wittert ihre vielleicht letzte Chance. Doch auf einmal liegt der Sohn tot im Wasser. War es Mord? Jutta, der Vater des toten Kindes, dessen Frau, ein taubstummer Schäfer und Juttas Mutter stehen unter Verdacht. Um die Frage nach dem plausiblen Motiv zu beantworten, muss Kommissarin Voigt tief in die sozialpsychologische Infra-Struktur der muffigen Gemeinde eindringen…„Eine kräftige Geschichte“, so Böhlich, „durch ihre Nebenfiguren bekommt sie auch etwas Überhöhtes.“ Dem üblichen Krimi-Realismus setzt er einen poetischen Realismus entgegen. „Mir ist mittlerweile alles zu ähnlich, keine Handschrift, keine unterschiedlichen Lesarten.“ Das Genre Krimi erstarre in TV-Konvention. Da ist der „Polizeiruf 110“, der mehr die Entstehung als die Aufklärung einer Straftat verfolge, eher eine Ausnahme.

Polizeiruf 110 – Jutta oder die Kinder von DamutzFoto: RBB
Zwei legendäre DDR-Schauspielerinnen, die auch im vereinten Deutschland Karriere machen sollten: Dagmar Manzel und Gudrun Ritter in „Polizeiruf 110 – Jutta oder die Kinder von Damutz“

„Korrupte Manager, vernachlässigte Ehefrauen in irgendwelchen 200qm-Wohnungen – was hat das noch mit dem Alltag in unserem Land zu tun?“, fragt sich Bernd Böhlich zu Recht. Doch auch dem Autorenfilm oder den klassischen Defa-Dramen weint er keine  Träne nach. „Dieses Herumgejammere. Eine lange Einstellung, zwei Gesichter, Landschaft. Drunter ein einsames Klavier – das ist Filmhochschule, aber keine Kunst. Viel schwieriger ist es, jemanden auf intelligente Weise zum Lachen zu bringen“, betont Böhlich. Nach viel K(r)ampf bei ARD und ZDF versucht er’s erstmal mit Sat 1: mit der Story um die krebskranke Olivia.

Ein Blick auf seine Filmographie verrät: Gegen Gefühle hat Bernd Böhlich nichts, doch Kitsch ist ihm fremd. Seine Figuren besitzen eine kämpferische Ader. „Figuren, selbst wenn sie scheitern, müssen aus der Geschichte kraftvoll entlassen werden.“ Sein Bildstil ist modern, sein Licht wirkungsvoll. Bei „Jutta“ ist die Kamera vor allem nah dran an den exzellenten Schauspielern. Für Böhlich war der Film ein doppelt spannender Ausflug in die DDR-Vergangenheit. Mit Hauptdarstellerin Dagmar Manzel und Kameramann Martin Schlesinger hatte er einst all seine Studentenfilme gedreht. (Text-Stand: 2.12.1995)

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Reihe

rbb

Mit Katrin Saß, Dagmar Manzel, Heino Ferch, Hermann Beyer, Gudrun Ritter, Barbara Dittus, Christine Schorn, Michael Greiling

Kamera: Martin Schlesinger

Schnitt: Karola Mittelstädt

Musik: Tomas Kahane

Produktionsfirma: ORB

Drehbuch: Helmut Bez, Bernd Böhlich

Regie: Bernd Böhlich

EA: 03.12.1995 20:15 Uhr | ARD

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