Doreen Brasch (Claudia Michelsen) hat es in den Harz verschlagen. Dort erwartet die Kommissarin ein Szenario wie aus dem Mittelalter. Eine Frau wurde verbrannt, nachdem ihr der Kopf zertrümmert wurde. Auch sonst habe dieser Ort „eine merkwürdige Energie“. Brasch befragt die verzweifelte Mutter der Toten (Gabriela Maria Schmeide) und den Bruder (Pit Bukowski), der am meisten profitieren könnte von dem Tod der Schwester, wäre er nicht der, der er ist: ein scheinbar ambitionsloser Koch, dem die Mutter niemals das kleine Gaststätten-Imperium übergeben würde. Die zugezogene Pastorin (Kathleen Morgeneyer) und die Ärztin (Yvonne Johna) im Ort helfen der Kommissarin, die Eigenheiten der Bewohner besser zu verstehen. „Suchen Sie einen schwachen Mann, der Angst vor starken Frauen hat“, rät ihr die Medizinerin, die sich vor allem auf die Selbstheilungskräfte ihrer Geschlechtsgenossinnen versteht. Dass Männer und Frauen hier am Fuß des Brocken nicht gut miteinander können, ist nicht zu übersehen. Der alt eingesessene Arzt (Michael Schweighöfer) verabscheut seine Kollegin, weil sie ihm die Patienten abwirbt und die eigene Frau (Birgit Berthold) abspenstig macht. Der alte Georg Kopp (Hermann Beyer) wurde von seiner Frau verlassen und hat den Ärger darüber still in sich reingefressen, und sein Sohn Paul (Helgi Schmid) vergräbt sich in grauenvolle Hexenliteratur, nachdem ihm die Tote nicht das geben konnte, was er wollte.
Wenn der realistische, vernunftgesteuerte Fernsehkrimi mit dem Mystery-Genre, mit Mythen, surrealem Schrecken und schwarzer Magie schwanger geht, dann ist das eine Herausforderung für die Macher. Denn weder darf der Plot als völliger Humbug, noch das atmosphärische Beiwerk vom Publikum als aufgesetzter Schauer-Effekt empfunden werden. Außerdem hat man die Krimi-Puristen im Nacken, die es prinzipiell lieber (krimino)logisch als assoziativ und genregemixt mögen. Der „Polizeiruf 110 – Hexen brennen“ nimmt alle diese Hürden. Es gibt viele Gründe dafür. 1. Weil diese seltsame, fremde Welt konsequent als ein in sich geschlossener Mikrokosmos dargestellt wird; eine Welt, in der nicht Autos Lärm machen, sondern allenfalls der Berg schreit. 2. Weil die Konventionen des Ermittlerkrimis weitgehend außen vor bleiben. 3. Weil die Zuschauer*innen das mysteriöse Geschehen unmittelbar mit den Augen der Ermittlerin Brasch, die erst nach einem zweiten Mord Unterstützung von ihrem Chef Lemp (Felix Vörtler) bekommt, erleben dürfen – und sie sich somit weitgehend selbst ein Bild machen können. Oder 4. weil Autor Wolfgang Stauch (15 Sonntags-Krimis) sehr amüsante Genre-Kontext-Verschiebungen vornimmt. Wann hat man schon mal eine Mutter, die den Tod der Tochter beklagt, ernsthaft in Märchen-Motiven hat sprechen hören. Und ein Weißkittel, der aus einer polizeilichen Befragung eine Arzt-Patientin-Situation macht, ist auch eine Rarität und bietet reichlich Subtext. „Machen Sie den Oberkörper frei, Frau Brasch.“
Dieser Mediziner-Merkwürden steht stellvertretend für die Stammtischbrüder, die ihre Frauen am liebsten vom öffentlichen Leben ausschließen würden („Wir sind gern mal unter uns“), sich dann aber wundern, wenn ihre besseren Hälften das Weite suchen: „Soll alles schlecht sein, was gut war?!“ Das dörfliche Patriarchat sieht seine Felle davonschwimmen. Diese Darstellung der Geschlechterkampfzone ist Stauch – durch Komik & Genre-Brechung – ganz vorzüglich gelungen. Die Frau des Medicus hält nichts mehr am heimischen Herd, macht sich auf in den Wald zum Frauenheilkreis, den die Männer gern als Hexentreffen diffamieren. Nur im Wirtshaus stehen die Altvorderen ihren Mann. „Wir haben alle Pimmel“, verkündet der Arzt stolz. Dumm nur, dass die Frauen die Sache mit dem Penisneid offenbar vergessen haben. Und so läuft das lächerliche sexistische Dominanz-Gebaren ins Leere. Kriminalrat Lemp nimmt Kontakt auf mit dieser trinkfreudigen Stammtischrunde, offenbar in kriminalistischer Absicht. Der Erfolg jedoch bleibt bescheiden. „Man muss keine Hexe sein, um einen Kater zu haben“, jammert er am nächsten Morgen. Auch solche Dialogsätze bereiten Vergnügen.
Claudia Michelsens Kommissarin nähert sich in „Hexen brennen“ der Konzeption der BR-„Polizeiruf“-Episoden mit Matthias Brandt an: eine Solo-Ermittlerin, ein reizvolles Milieu oder Ambiente, eine Figur, für die sie besonderes Interesse zeigt. In diesem „Polizeiruf 110“ ist es der junge Hexen(jagd)versteher, hinter dessen wortkargem Zynismus Brasch etwas anderes – vielleicht sogar des Pudels Kern der beiden Morde – vermutet („Ich glaube nicht an Hexen, aber ich glaube an jemanden, der an Hexen glaubt“). Sie hat im sechzehnten Film der Reihe ihre eigenen psychischen Probleme im Griff. Ihre Persönlichkeit, ihre Feinnervigkeit, ihre Konzentriertheit und Offenheit, prädestiniert diesen Charakter für einen solchen Mystery-Krimi. Und da diese Eigenschaften auch Claudia Michelsen als Schauspielerin auszeichnen, wirkt diese Genre-Mixtur am Ende für die oft auch sehr kopfgesteuerte Hauptfigur gar nicht mehr so ungewöhnlich wie zunächst angenommen. Für Zuschauer*innen, die mit dem Hexen-Sujet im Krimi fremdeln, sind Brasch/Michelsen eine sichere Bank: verlässlich, sympathisch, nachvollziehbar in ihrem Verhalten. Ihre Klarheit strahlt durch die schaurig-schönen Bilder. Das muss selbst Lemp erkennen: „Brasch, Sie quälen mich. Bitte. Sie haben einen Plan. Ich mache mit. Sagen Sie, was ich tun soll.“ Reichlich kleinlaut diesmal, der Chef.
Regisseurin Ute Wieland („Polizeiruf – Black Box“, „Eisland“) hat Wolfgang Stauchs dichtes Drehbuch kongenial umgesetzt. Da ist die grandiose Exposition, in der drei zeitversetzte Szenen erzählökonomisch miteinander verschnitten und mit Stichworten die Cuts zwischen den Szenen motiviert werden. So erfährt der Zuschauer in Windeseile und ohne Leerlauf das für die Geschichte Wissenswerte. Auch ohne die üblichen Ermittlerfragen, die werden einfach ausgelassen. Brasch indes beginnt später eine Befragung mit dem Satz: „Glauben Sie an Hexen?“ Vielleicht funktioniert der Film ja so gut, weil sich die rationale Kommissarin auf die schwarze Magie, das Inquisitionsszenario und die bestialischen Foltermethoden, einlässt, weil sie zuhört, sich nicht sofort über die Männer uralter Schule echauffiert (ihr Chef ist ja auch so einer, allerdings einer der liebenswerten Art) und nicht auf den gesunden Menschenverstand setzt und den Teufel-Hexenzauber als Spuk abtut. So kann sich das Fremdartige erzählerisch entfalten. Und so kann man sich als Freund solcher Genre-Mixturen von dieser seltsamen Welt besser faszinieren und überraschen lassen, als wenn Brasch ständig die Bedenkenträgerin geben würde (die Rolle übernimmt später zum Teil Lemp). Das alles wiederum funktioniert so gut, weil Zuschauer*innen und Heldin einigermaßen auf Augenhöhe sind und weil Eeva Fleigs Kamera Claudia Michelsen klug einfängt: meist konzentriert beobachtend, mal leicht umkreisend. Und wir sehen mit den Augen der Kommissarin, aber immer so, dass man versucht ist, deren Gedanken zu lesen. Der Kamerablick ähnelt Braschs Blick. Mit der nötigen Distanz verstehen wollen. Ein gutes Prinzip für Filme. Ein gutes Prinzip auch fürs Filmesehen.