Cris Blohm (Johanna Wokalek) hat keinen guten Start: Der Taxifahrer ignoriert ihren Wunsch, die Musik leiser zu drehen. Die junge Polizeibeamtin (Sevda Polat) am Eingang zum Tatort bittet sie zu warten, lässt aber ihren Kollegen Dennis Eden (Stephan Zinner) widerstandslos passieren. Auch Brandexperte Hanno Senoner (Golo Euler) reagiert nicht auf Blohms, sondern erst auf Edens Fragen, offenbar weil er ihn wie selbstverständlich für den Chef hält. Und dann stolpert Blohm am Tatort auch noch im Rückwärtsgehen und plumpst ausgerechnet in den Ethanol-Ofen, der mutmaßlich das verheerende Feuer ausgelöst hat. Die Szene ist gar nicht komisch, sondern ein ausgesprochen peinlicher Moment für die erst seit kurzem in München arbeitende Kommissarin vor den Augen der Kollegenschar und der Staatsanwältin Dr. Sertl (Jessica Kosmalla). Die Einführung ist auch ein erzählerischer Exkurs über das, was Frauen in Männerberufen so im Alltag erleben. Aber zu einem didaktischen Lehrstück oder einer geschwätzigen Geschlechterkomödie wie bei Blohms „Polizeiruf“-Premiere „Little Boxes“ wird ihr zweiter Fall nicht.
Zum Auftakt wünschten wir uns hier, dass „es beim Münchener Dreigestirn bleiben könnte und Bless Amada den klugen, schwarzen Kommissar Ikwuakwu nicht nur in einer Episode spielt, in dem es um Diversität geht“. Doch daraus ist nichts geworden, ohne das Diversitäts-Thema gibt es keinen schwarzen Kommissar mehr. Die Devise im Münchener „Polizeiruf“ lautet offenbar: Neuer Film, neues Dreieck. Diesmal sorgt der Brandexperte als Dritter im Bunde für enorme Spannungen. Dennis reagiert aggressiv auf den „Hurensohn“ Hanno Senoner – in einer Mischung aus Neid und verletztem männlichen Stolz, denn der gut aussehende Brandexperte war nicht nur „nackert im Feuerwehrkalender“, sondern zählte einst bei einer Schulung auch zu den Kollegen, die sich über Eden lustig gemacht hatten. Nun mischt sich Senoner mit plötzlich erwachtem, pardon, Feuereifer in den Fall ein. Er bietet an, die Manipulation des Ofens nachzuweisen, und erweist sich als sympathischer Typ, der ein auffälliges Interesse an Cris Blohm an den Tag legt. Die Kommissarin scheint nicht abgeneigt, und so dauert es nicht lange, bis sich beide auf Hannos Terrasse näher kommen. Der Münchener Alexander Adolph, Schöpfer der ZDF-Reihen „Unter Verdacht“ und „München Mord“, erzählt im Rahmen des Krimidramas durchaus eine wahrhaftige Liebesgeschichte.
Dieser Münchener „Funkensommer“ ist aufgrund der ausdrucksstarken Bilder von Alexander Fischerkoesen ohnehin ein sinnliches Vergnügen. Feuer, Licht und Dunkelheit, Zerstörung und Wärme – das titelgebende Leitmotiv findet sich in vielen Einstellungen. Von den flirrenden Lichtern der nächtlichen Großstadt zu Beginn bis zu dem Sarg, der am Ende im brennenden Ofen verschwindet. Das Element Feuer, das sich in den Brillengläsern vom Wachmann Busch (Gerhard Wittmann) spiegelt, ist eine Metapher für den Tod. Aber es ist auch eine Metapher für die Liebe, wenn sich das Feuerwerk am dunklen Himmel über Cris und Hanno funkelnd ausbreitet. So kitschig, wie es hier klingt, wird es allerdings nicht, denn auf schmachtende Blicke und übertrieben ausgestellte Gefühle wird verzichtet. Stattdessen spielen Wokalek und Euler die Romantik unter der Regie von Adolph beinahe unromantisch, beiläufig und ein bisschen spröde – und gerade deshalb glaubhaft. Trotz einiger bewusst eingestreuter, irritierender Momente nimmt man ihnen die wachsende gegenseitige Zuneigung ab.
Auf satirisch überzogene Art erzählt Adolph dagegen von der Unternehmerfamilie Hechtle. Ihre Firma bemüht sich schon seit zehn Jahren um eine Abrissgenehmigung für das ehemalige Verwaltungsgebäude, das weitgehend leer steht und in dem nur noch das Archiv von einer Halbtagskraft betreut wird. Der Verdacht einer Brandstiftung, verharmlosend „warmer Abriss“ genannt, liegt nahe. Außerdem haben die Hechtles durchaus einen „bayerischen Charme“, wie es im eigenen Werbeslogan heißt, aber einen sehr speziellen: An der Spitze befindet sich noch der an Alzheimer erkrankte Patriarch Georg (Johann Schuler), der, wie ein Geist im Firmensessel sitzend, eine Art Geständnis flüstert. Diesmal lässt sich die Kommissarin nicht abwimmeln und streunt so lange mit Eden im Schlepptau durch die Gänge der Firmenzentrale, bis sie Georgs Büro gefunden haben. Als die offenbar die Geschäfte führende Tochter Gioia Hechtle (Marlene Morreis) und ihr Anwalt die Polizei im eigenen Unternehmen endlich ausfindig machen, wird die Atmosphäre kühl. Und sogar feindselig, als Gioias cholerisch brüllender Bruder Sandro (Frederic Linkemann) hineinplatzt. Die Karrierefrau und der ungeratene Unternehmersohn sind prägnante, aber auch etwas klischeehafte Figuren.
Mit vergleichsweise feiner Feder zeichnet Adolph dagegen die neben Hanno zweite bedeutende Nebenfigur: Wachmann Busch ist schwer angefasst von dem Brand und den Bildern der verkohlten Leiche. Er wirkt verwirrt und verängstigt, zieht sich schnell zurück. Blohm und Eden dringen mit ihren Fragen kaum durch, und dass Hanno mitten in einem Gespräch die Tür aufreißt, ist auch keine Hilfe. Die uneitle Kommissarin überlässt ihrem Kollegen Eden die Aufgabe, es noch einmal zu versuchen, weil sie glaubt, dass der einen besseren Draht zu dem Zeugen hat – mit tragischen Folgen. Blohm kann aber auch anders und presst dem Chef einer Reinigungsfirma mittels einer Lüge den Namen des Opfers ab. Valentina (Veronica Santos Ruiz), eine Kolumbianerin ohne Papiere, hatte sich mit Herrn Busch angefreundet. Eindrucksvoll inszeniert Adolph, wie die Kommissarin die letzten Minuten im Leben Valentinas rekonstruiert und visualisiert.
Die in der zweiten Episode heftig umworbene Blohm etabliert sich in der „Polizeiruf“-Reihe als Menschenkennerin und genaue Beobachterin, die mit den zahlreichen Männern in ihrem Umfeld mal in kluger Zurückhaltung, mal selbstbewusst umzugehen weiß. Johanna Wokalek spielt die Titelrolle weniger redselig als bei der Premiere, bleibt der Figur aber ansonsten treu. Während die männlichen Charaktere stark von Emotionen getrieben sind, wirkt Cris Blohm geradezu ruhig und ausgeglichen. Keine Spur von Traumata, Drogensucht oder Arbeitswut. Kaum vorstellbar, dass Cris Blohm mal aus der Haut fahren könnte. Johanna Wokalek verströmt in dieser Rolle Bescheidenheit, Offenheit und eine Art stiller Lebensfreude. Gleichzeitig kann Blohm sehr direkt sein, was auch zu einem nicht völlig überraschenden, aber ungewöhnlichen Finale führt. „Funkensommer“ bietet nicht in jeder Hinsicht letzte Gewissheiten, aber dass Wokalek und ihre Figur als viel versprechende Neuzugänge in der „Polizeiruf“-Reihe angekommen sind, ist definitiv sicher. (Text-Stand: 30.4.2024)