Polizeiruf 110 – Einer trage des Anderen Last

Charly Hübner in Bewegung, Sarnau im Koma & „Testosteron-Bomber“ bei der Arbeit

Foto: NDR / Christine Schroeder
Foto Rainer Tittelbach

Bukow glaubt, die „Drecksäue“ zu kennen, die einen JVA-Insassen hingerichtet und die seine Kollegin ins Koma geschossen haben. Allein, es fehlen die Beweise. „Einer trage des Anderen Last“ tickt anders als andere Sonntagskrimis. Dieser „Polizeiruf 110“ von Christian von Castelberg ist ein Grenzgänger-Fall. Auch Bukow lässt sich anstecken von der latenten Gewaltbereitschaft. Gutes Drehbuch, stimmige Genre-Psychologie, physische Ästhetik, außergewöhnliche Schauspieler. Und Maria Kwiatkowsky in ihrer letzten Rolle.

„Ich hab nicht gecheckt, dass die Typen noch da waren. Ich hab es einfach nicht gecheckt. Ich hätte Sie sichern müssen.“ Alexander Bukow macht sich schwere Vorwürfe… Nach einem Überfall auf einen Gefangenentransporter, bei dem ein JVA-Insasse gefoltert und eiskalt hingerichtet wurde, sondieren Bukow und Katrin König den Tatort. Die Polizistin bemerkt etwas im Gebüsch, zieht den Revolver und rast hinterher, so schnell, dass der Kollege gar nicht reagieren kann. Dann fallen Schüsse. Katrin König ist schwer verletzt, sie muss ins künstliche Koma versetzt werden. Ein ähnlicher Fall in Rostock vor fünf Jahren bringt Bukow und seine Kollegen auf eine heiße Spur. Damals wurde kein Gefangenen-, sondern ein Geldtransporter überfallen. Nach demselben Muster. Hansen und Lewandowski heißen die beiden, die Bukow bald als die möglichen Täter ausmacht. Allein, es fehlen die Beweise. Auch Jessica, die Schwester des Ermordeten, zeigt sich wenig auskunftsfreudig.

Autor Eckhard Theophil über die Ausgangsidee:
„Ich habe mir junge Leute im Osten vorgestellt, die am Rande der Gesellschaft lebten, aber irgendwann auch was von der Wende haben wollten.“

Polizeiruf 110 – Einer trage des Anderen LastFoto: NDR / Christine Schroeder
Katrin König (Anneke Kim Sarnau) ist böse in die Schusslinie geraten und liegt erst mal im Koma. Eine schwere Last auch für Bukow (Charly Hübner)

Eine Schauspielerin, die sich hineinstürzte ins Leben und in ihre Filme: Maria Kwiatkowsky in ihrer letzten Rolle. Charly HübnerMan merkt früh, dass bei „Einer trage des Anderen Last“ Vieles anders läuft, als gewöhnlich im ARD-Sonntags-Krimi. Und da ist nicht einmal die Auszeit gemeint, die man Katrin König verpassen musste, weil Sarnau schwanger war. Anders ist zunächst die Mördersuche. Sie konzentriert sich auf zwei „Drecksäue“, der eine im Armani-Anzug, der andere ein wildes Tier. Dass beide ihr Geld mit kleinen Deals oder Prostitution gemacht haben sollen, ist wenig wahrscheinlich. Die Mördersuche wird ansatzweise zur realistischen Milieustudie. „Wenn du echten Polizisten bei der Arbeit zuguckst, dann haben die es auch sehr häufig mit Menschen zu tun, die unüberlegt und asozial auftreten; vielleicht, weil sie sich schützen wollen, vielleicht, weil sie keine andere Kultur des Umgangs vermittelt bekommen haben“, betont Charly Hübner. „Diese Hardcore-Männer-Kiste ist auch Alltagsarbeit von Kriminalpolizisten in der deutschen Provinz.“ Doch da bei allem Authentizitäts-Touch ein „Polizeiruf 110“ immer auch Film ist, ein Genre-Stück bleibt, kontrastieren Autor Eckhard Theophil, Regisseur Christian von Castelberg und die wunderbar gecasteten Schauspieler die permanente Gewaltbereitschaft der Protagonisten mit einer ins Schräge gehenden Überzeichnung. Nur so lassen sich wohl diese „Testosteron-Bomber“ zur Hauptsendezeit verkraften. Dass sich auch Bukow nicht unter Kontrolle hat, dass er heftigst hinlangt, von der Drohgebärde bis zum Boxhieb, und sich haarscharf am Rande einer Dienstaufsichtsbeschwerde bewegt, wird wohl sicher mal wieder dem einen oder anderen Hauptkommissar a.D. gegen die Berufsehre gehen.

Autor Eckhard Theophils bewegte Vita:
Als 18-Jähriger landete er im Jugendknast. Später jobbte er auf St. Pauli, bevor er wegen schweren Raubes zu acht Jahren Haft verurteilt wurde. In dieser Zeit holte er die mittlere Reife und die Fachhochschulreife nach. Nach der Entlassung studierte er Pädagogik und arbeitete 15 Jahre als Sozialarbeiter. Nach seinem Diplom als Kriminologe absolvierte Theophil von 1992 bis 1994 ein Filmaufbaustudium in der Drehbuchklasse von Peter Steinbach.

 

Polizeiruf 110 – Einer trage des Anderen LastFoto: NDR / Christine Schroeder
Eine Schauspielerin, die sich reinstürzte, auch in diesen Rostocker „Polizeiruf“: Maria Kwiatkowsky in ihrer letzten Rolle.

„Einer trage des Anderen Last“ schließt an die beiden hervorragenden Rostocker Grenzgänger-Krimis von 2011 an. Da ist ständig Bewegung im Spiel, eine Bewegung, die aus einer inneren Spannung resultiert, einer nicht immer kontrollierten Energie. Die Physis der Figuren und die (Genre-)Psychologie, Bukows Schuldgefühl zum Beispiel, treiben die Handlung an. Die weitgehend unbekannten Schauspieler sind ideal für diese Art von Geschichte. Sie sind das Herz dieses hervorragenden Rostocker „Polizeirufs 110“: neben Hübner, Heynert und Guenther bestechen Maria Kwiatkowsky in ihrer letzten Rolle, Hans Löw, Gerdy Zint, Beate Prahl und Hendrik Arnst. Ungewöhnliche Schauspieler erfordern ungewöhnliche Methoden – und so kam es, dass Regie-Ästhet Christian von Castelberg die Technik einmal bewusst hinten anstellen musste, die minutiöse Auflösung einer Szene, die Wiederholung des identischen Takes. Wo so viel Bewegung ist, ist nichts gleich und wo Schauspieler wie Kwiatkowsky und Zint sind, sowieso nicht. „Sie haben nie etwas zweimal gemacht, ihre Ideen kamen immer aus dem Moment – mal hat’s gestimmt, mal überhaupt nicht, aber es war immer authentisch, unverbraucht, frech und direkt“, so von Castelberg. „Mit solchen Schauspielern geht es nur, wenn man sagt: ‚Spielt, macht’ – was allerdings für den  Kameramann heißt: hinterher rennen!“ (Text-Stand: 27.1.2012)

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Reihe

NDR

Mit Charly Hübner, Josef Heynert, Andreas Guenther, Anneke Kim Sarnau, Christian Ehrich, Maria Kwiatkowsky, Hans Löw, Gerdy Zint, Uwe Preuss, Beate Prahl, Hendrik Arnst, Uwe Dag Berlin

Casting: Mai Seck

Kamera: Martin Farkas

Szenenbild: Zazie Knepper

Schnitt: Dagmar Lichius

Produktionsfirma: Filmpool

Produktion: Iris Kiefer

Drehbuch: Eckhard Theophil – Head-Autor: Eoin Moore

Regie: Eoin Moore

EA: 19.02.2012 20:15 Uhr | ARD

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