Potsdam hat eine neue Kriminalhauptkommissarin: Olga Lenski, Mitte 30, zupackend, engagiert, dabei mit dem nötigen Einfühlungsvermögen. Die Polizistin hätte Karriere beim BKA machen können, zieht aber die Arbeit in ihrer Heimat dem verantwortungsvolleren und bürokratieintensiveren Job in Wiesbaden vor. Obwohl sie einen herzlichen Umgangston zu pflegen scheint, muss der Einstand warten. Denn es läuft viel auf im Kommissariat Potsdam. Ein Kind ist verschwunden. An dem Fall ist Polizeihauptmeister Krause dran, während sich Lenski unabhängig davon um den Fall eines untergetauchten Freigängers kümmert. Schnell ist klar, dass beide Fälle miteinander zu tun haben. Das verschwundene Kind ist das Kind von Freigänger Felix Diest, das bei seiner Schwester aufwächst. Hat er also das Kind entführt? Ein Fall also von Vaterliebe? Doch weshalb finden sich dann keinerlei Spuren seiner Tochter in der liebevoll ausgestatteten Zelle? Jener Diest scheint etwas Anderes im Sinn zu haben. Da ist noch eine alte Rechnung offen zwischen ihm und seinem ehemaligen Arbeitgeber.
„Lenski, Kriminalpolizei“, stellt sich die Chefin vor. „Na, da sind Sie die Neue“, brummelt Krause, der sie erst einmal wegen eines Parkvergehens angemahnt hatte. „Ich bin der Alte, Krause.“ Allzu freundlich ist das erste Aufeinandertreffen des neuen Ermittlerduos nicht. Eine zweite, offizielle Begrüßung scheint Krause in seinem Diensteifer fast zu übergehen. Oder ist er noch angefressen, weil er sich bei einer Vernehmung wie ein Schuljunge von seiner jungen Vorgesetzten abgekanzelt fühlte? Sie entschuldigt sich später und versucht, es wieder gut zu machen. Aber Krause hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Und Lenski übersieht nicht, dass der Mann, dem es an kriminologischer Kombinationsgabe fehlen mag, dass dieser Mann, wenn es um praktische Wahrnehmung, Orts- und Menschenkenntnis geht, unersetzlich ist. Und so ist es nach Beendigung des Falles ihr größter Wunsch, den Polizeihauptmeister zu umarmen. So gut das eben geht bei dem Umfang. Und er umarmt sie zurück, verhalten, aber gerührt.
Der „Polizeiruf“-Einstand von Maria Simon ist bestens gelungen. Kein Krimi mit Ausrufezeichen wie zuletzt die Auftaktepisoden der beiden hessischen „Tatorte“. Weder Meta- noch Anti-Krimi. Solide, konzentriert, bodenständig – Bernd Böhlich weiß, was Brandenburg braucht. Potsdam verpflichtet und Horst Krause gibt immer schon ein Stück weit die „Farbe“ vor. Die Story von „Die verlorene Tochter“ ist verwickelt, aber nicht unoriginell und am Ende dann gottlob nicht so ausgestellt larmoyant wie Marie Grubers Statement im Film („Kann Unsereiner nicht auch mal bisschen Glück haben?“) zum Thema „die da oben, wir da unten“.
Sympathisch ist diese fesch bezopfte Frau in Jeans, die jüngste Chef-Ermittlerin in einer deutschen Reihe, deren Chefinnen-Rolle und mehr noch ihre Kompetenz vom Zuschauer keine Sekunde lang in Zweifel gezogen werden dürfte. Das ist ja die erste Voraussetzung für einen Krimi mit weitgehend realistischem Konzept. Darüber hinaus ist mit der exzellenten Drama-Schauspielerin Maria Simon „stofflich“ alles möglich. Dass ihre Figur bei allem Pragmatismus auch offen ist für Tiefgang und Mitgefühl, macht bereits Böhlichs Film deutlich. Wenn dann die „Gästeliste“ wie zum Auftakt mit Namen wie Burghart Klaußner, Tom Schilling, Valerie Koch, Rüdiger Vogler oder Nora von Waldstätten auch künftig so großartig bestückt bleibt, dann wird mit diesem traditionsreichen „Polizeiruf 110“ weiter zu rechnen sein.