Polizeiruf 110 – Die armen Kinder von Schwerin

Wehmütiger Abschied von Uwe Steimle: Originalität statt Globalisierungsrausch

Foto: NDR / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Seit 15 Jahren gibt es den „Polizeiruf 110“ aus Schwerin. Eine lange Zeit im schnelllebigen Fernsehgeschäft. Doch jetzt ist es vorbei. Die Qualität der Reihe gehörte bis zum bitteren Ende zum Besten und Ungewöhnlichsten, was das Krimi-Fernsehen zu bieten hat. Im letzten Fall ist ein Kind der „einzige Zeuge“ eines Verbrechens – und in Gefahr! Die Episodenhauptrollen sind top besetzt mit Lars Eidinger und Fritzi Haberlandt.

Seit 15 Jahren gibt es den „Polizeiruf 110“ aus Schwerin. Eine lange Zeit im schnelllebigen Fernsehgeschäft. Doch die 31 Kriminalfilme brachten der ARD respektable Einschaltquoten, gute Presse mit viel Kritikerlob und den renommierten Grimme-Preis ein. Warum hätte man also diese launigen Provinzkrimis sterben lassen sollen?! Uwe Steimle, Kurt Böwe, Henry Hübchen und Felix Eitner taten dem Image gut, weil sie mit dem Titel der erfolgreichsten Krimireihe der DDR auch ein Stück weit die Tradition hochhielten. „Trotz Kollegenwechsel ist der ‚Polizeiruf 110’ seiner Grundlinie immer treu geblieben: dem Verständnis für die aktuellen Sorgen und Nöte der Leute, der persönlichen Anteilnahme, der Suche nach den Beweggründen einer Tat und den Motiven des Täters“, betont Redakteurin Daniela Mussgiller.

Doch jetzt ist es vorbei. Ohne Not werden Steimle & Co abgewickelt. Die Qualität der Reihe gehörte zum Besten und Ungewöhnlichsten, was das deutsche Krimi-Fernsehen zu bieten hat. Begonnen hatte der „Polizeiruf“ aus Meck-Pomm als ein Format, das sich augenzwinkernd mit allerlei real existierenden „Altlasten“ herumschlug. Eine davon war der ehemalige Volkspolizist Kurt Groth, gespielt von dem unvergessenen Kurt Böwe. Der wurde als Konsequenz der Wiedervereinigung heruntergestuft, und ihm wurde der wesentlich jüngere, karrieregeile Jens Hinrichs als neuer Chef vor die Nase gesetzt. „Groth und Hinrichs erleben über die Jahre ein Stück Zusammenwachsen, sie verändern sich gemeinsam mit ihrer näheren Umwelt und letztlich mit ihrem Land“, so Mussgiller zur Entwicklung des Duos. Der Tod Böwes war nicht nur das Ende des Dederon-Einkaufbeutels. 2001 war Schluss mit Ostalgie.

Polizeiruf 110 – Die armen Kinder von SchwerinFoto: NDR / Stefan Erhard
Der siebte und letzte gemeinsame Fall. Steckt dahinter tatsächlich eine ARD-Verschwörung? Uwe Steimle und Felix Eitner

Allein der Schauspieler, der das schwere Erbe antreten musste, wies eine herausragende Ost-Vita auf. Henry Hübchen, der ewig schönste Kerl vom Prenzlauer Berg, der sozialistische James Dean, war fünf Mal als eigenwilliger Tobias Törner zu sehen. Als Kommissar mit „Schatten auf der Männerseele“ versank er gelegentlich im nordischen Nebel, die Flasche gekippt und die Seele auf Halbmast, wenn er sich nicht gerade darin erging, dem pedantischen Kollegen, dem Fleisch gewordenen Aktenzeichen, über den Mund zu fahren.

Den Wessis gefiel diese existenzialistische Konstellation noch besser als die Sozialromantik der Böwe/Steimle-Jahre, nicht zuletzt auch deswegen, weil Beate Langmaacks skurrile, oft unblutige Fälle mit den lakonischen Dialogen („Mord wäre schön, wir haben hier selten mal was Richtiges“) zum Markenzeichen der Reihe wurden, und weil Regisseure wie Andreas Kleinert und Kai Wessel mit Poesie und surrealen Bildwelten die Filme zu Oden an die Einsamkeit machten. „Steimle und Hübchen schenken uns zwei Kommissare, die komischer und trauriger kaum sein könnten, und dabei gehen sie unendlich zart zu Werke“, urteilte die gestrenge Grimme-Preis-Jury. Bauchmensch Hübchen, der oft über schlechte Rollen klagt, war schlecht beraten, Meck-Pomm gegen Triest, den NDR gegen die Degeto, Herzblut gegen Kalkül einzutauschen. „Commissario Laurenti“ ist bereits abgesetzt.

Polizeiruf 110 – Die armen Kinder von SchwerinFoto: NDR / Stefan Erhard
Ist dieses Familienidyll echt? Dreht Papa möglicherweise krumme Dinger? Top-Besetzung: Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Paraschiva Dragus und Joël Eisenblätter

Sein Nachfolger in Schwerin, Felix Eitner, und Uwe Steimle machten indes nach wie vor einen guten Job. Im Mittelpunkt des siebten und letzten Falls steht heute ein 11-jähriger Junge, der zu viel gesehen hat: ein aufgehängter Mann in einer Fabrikhalle, daneben sein Vater mit zwei dubiosen Gestalten. Als „einziger Zeuge“ ist sein Leben in Gefahr. Mit der Russenmafia, die heute statt Autos Buntmetalle klauen lässt und verschiebt, ist nicht zu spaßen. „Die armen Kinder von Schwerin“ ist Krimi und Sozialdrama in einem. Der Film reflektiert die Stimmungslage in der Region, zeigt den täglichen Kampf ums Überleben. Ein guter Krimi mit einer starken Fritzi Haberlandt und kleinen dramaturgischen Schwächen.

Da kommt Wehmut auf. Auch wenn Steimle mit seiner Äußerung, „Ich glaube, dem neuen ARD-Programmdirektor Volker Herres passt meine politische Haltung nicht“, den Punkt nicht getroffen hat – es ist schade um dieses Krimi-Format mit dem Mut zum Sozialen und Skurrilen, das sich nie ganz dem gängigen Krimischema untergeordnet hat. Mit dem künftigen Schauplatz Rostock wird man näher an die globalisierte Krimiwelt und den Fernsehkrimi-Mainstream heranrücken. So originell wie in Schwerin, wo die Themen und Leichen nicht auf der Straße liegen und wo man sich deshalb immer etwas Besonderes hat einfallen lassen müssen, wird es in der Hafenstadt, die zugleich das wirtschaftliche Zentrum des Landes ist, gewiss nicht zugehen. Auch wenn gegen das neue Ost-West-gemischte Duo, Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner, absolut nichts einzuwenden ist. (Text-Stand: 28.6.2009)

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Reihe

NDR

Mit Uwe Steimle, Felix Eitner, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Joel Eisenblätter, Paraschiva Dragus, Tom Jahn, Hermann Beyer, Uwe Preuss

Kamera: Henner Besuch

Schnitt: Cosima Schnell

Musik: Fabian Römer

Produktionsfirma: AllMedia Pictures

Drehbuch: Eckhard Theophil, Christine Hartmann

Regie: Christine Hartmann

Quote: 5,58 Mio. Zuschauer (18,3% MA)

EA: 28.06.2009 20:15 Uhr | ARD

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