„Ich war nur fünf Minuten weg“ – Sabine Hallmann (Katharina Heyer) ist außer sich: Sie war kurz Kaffee holen, als sie zurückkommt, ist ihr sechs Monate alter Sohn Leon aus der Kinderstation einer Klinik in Frankfurt/Oder verschwunden – gekidnappt. Olga Lenski (Maria Simon) und Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) eilen herbei, doch mehr als ein Überwachungsvideo, das einen Mann mit dem Kind beim Verlassen des Krankenhauses zeigt, haben sie nicht. Stunden später die erlösende Nachricht: Das Baby wurde im polnischen Gorzów Wielkopolski ausgesetzt und ist wohlauf. Als Entführer wird Pawel Rozanski identifiziert, doch der liegt kurz darauf tot in seinem Wagen. Ein äußerst mysteriöser Fall für das deutsch-polnische Duo. Das Umfeld des entführten Kindes entpuppt sich als kompliziertes Beziehungsgeflecht: Sabine und Robert Hallmann (Tobias Oertel) sind die Adoptiveltern des Kleinen, die leibliche Mutter Anna Kowalska (Agnieszka Grochowska) lebt mit ihrem Ehemann Bartosz Kowalski (Piotr Stramowski), einem LKW-Fahrer, und Tochter Halina in Polen und arbeitet in einem Kinderheim. Sie gibt an, Robert Hallmann, mit dem sie eine Affäre hatte, sei Leons Vater. Doch bald schon stellt sich heraus: Er ist nicht der Erzeuger.
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Der „Polizeiruf 110 – Das Beste für mein Kind“ ist der vierte Fall für Lenski und Raczek. Spielte in den ersten drei Filmen vor allem die private Situation der Kommissarin als alleinerziehende Mutter eine Rolle, so rückt Lenski diesmal zugunsten ihres männlichen Kollegen in den Hintergrund. Adam Raczek hat Ärger mit seiner Frau Lydia (Julia-Maria Köhler), die gerne wieder arbeiten gehen und in die Stadt ziehen möchte. Adam will keine Veränderung („Jetzt bin ich wieder der blöde polnische Macho“) und so setzt Lydia ihren uneinsichtigen Gatten vor die Tür. Der jammert „Was soll das, wo soll ich denn pennen?“, schläft erst im Büro und dann bei einem Kollegen. Nun, das ist nicht sonderlich neu und originell, vom Partner ausgesperrte Kommissare sind ein beliebtes Motiv. Ein (frühes) Beispiel von vielen: Thanner, der in den 1980er Jahren bei seinem Kollegen Schimanski unterkam, weil ihn die Freundin rauswarf. Gut, dass dieser Nebenstrang nicht zu viel Raum einnimmt, denn die eigentliche Geschichte verlangt die volle Aufmerksamkeit, hat doch Regisseur und Autor Jakob Ziemnicki („Polnische Ostern“), der gemeinsam mit Elke Rössler das Buch geschrieben hat, eine komplexe Familiengeschichte konstruiert, in der es um ein kleines Kind geht, für das alle nur das Beste wollen und das durch die Adoption gleich mehrere Väter und Mütter hatSehr langsam, zuweilen ein wenig träge entwickelt Ziemnicki, der 2015 schon die erste Folge mit dem Duo Maria Simon und Lucas Gregorowicz inszeniert hat („Grenzgänger“), diesen Kampf um ein Kind, in dem es nicht nur um Mutterliebe, Ablehnung eines Kuckuckskindes durch den Partner, sondern auch um grenzwertige Methoden und Tricks bei der Adoption geht. Dass man Tempo nicht vermisst, dafür sorgt die kluge und abwechslungsreiche Kamera von Gunnar Fuss. Diese Qualität des Films erkennt man schon zu Beginn, wenn die Entführung des Babys mal aus der Perspektive des Kindes, mal aus der des Kidnappers gezeigt wird, oder in den sehr authentisch gefilmten Szenen im Kommissariat, die äußerst lebendig wirken. Auf der Tonebene arbeitet der Film reduziert, Musik wird wenig eingesetzt, Emotionalität beim Zuschauer entsteht in erster Linie durch das Handeln der Figuren.
Aus dem unspektakulär agierenden Ensemble sticht Agnieszka Grochowska – in ihrer Heimat Polen eine bekannte Schauspielerin – heraus. Unaufgeregt und nuanciert spielt sie diese seelisch zerrissene Mutter, die ihr Kind weggab, aber nicht die Liebe zu dem Kleinen. Der „Polizeiruf 110 – Das Beste für mein Kind“ arbeitet eher mit spärlichen Dialogen, Interaktion, Blicke und Gesten bekommen dadurch mehr Bedeutung. Das macht den Film bisweilen etwas sperrig. Für Bewegung und Dynamik sorgen die zahlreichen (Auto-)Fahrten – ja, es wird viel gefahren: der Entführer, die Mutter, die Ermittler, sie sind gut unterwegs. Und es geht weit … bis in die Masuren, dem Schauplatz des Finales, wo sich den Kommissaren schließlich die (moralische) Frage stellt: Geht es um Gerechtigkeit und geht es um das Beste für das Kind?