Der „Polizeiruf 110 – Blue Dream: Tod im Regen“ war 1993 der zweite Film der beliebten ostdeutschen Krimi-Reihe, der nicht mehr vom DDR-Sender DFF produziert wurde, sondern vom SFB und dem neu gegründeten ORB. Es war der Einstand für Katrin Saß als Potsdamer Kommissarin Tanja Vogt, die zehn Mal – in teilweise starken Krimi-Dramen wie „Totes Gleis“, „Jutta oder die Kinder von Damutz“ oder „Das Wunder von Wustermark“ – ihre schauspielerische Klasse zeigen durfte. Ihre Alkoholabhängigkeit bedeutete 1998 das Aus für die renommierte Ost-Schauspielerin, der der westdeutsche Durchbruch mit „Heidi M.“ (2001), „Good Bye, Lenin“ (2003) oder „Weißensee“ (seit 2010) noch bevorstehen sollte. Bereits in „Blue Dream“ macht sie deutlich, wo ihre Stärken liegen – im konzentrierten Spiel, in einer klaren, nuancierten Sprache, die zum Understatement neigt, und in einer ziemlich coolen (Figuren-)Ausstrahlung. Einige männliche Kollegen poltern dagegen im typischen TV-Schauspielstil jener Jahre, der oft Drama mit künstlicher Dramatisierung verwechselte.
Auch die Dramaturgie der ARD-Sonntagskrimis unterscheidet sich in den 1990er Jahren noch erheblich von der Dramaturgie späterer Zeiten. So werden in einer ausführlichen Exposition die Charaktere des mörderischen Spiels eingeführt: Autor André Hennicke, seit Mitte der 80er Jahre bis heute sehr viel erfolgreicher als Schauspieler unterwegs (auch hier spielt er eine kleine Rolle), und Regie-Routinier Bodo Fürneisen, der insgesamt zehn „Polizeiruf“-Episoden inszenierte, entwickeln einen tristen Mikrokosmos um ein schlecht laufendes Wirtshaus, das das Ehepaar Willi (Gerd Preusche) und Hannelore Haller (Gudrun Ritter) nach der Renovierung vielversprechend „Blue Dream“ genannt hat. Hier arbeiten als Kellnerinnen die allseits begehrte Rita (Katja Riemann) und ihre Freundin Natalie (Suzanne von Borsody). Von einem guten Auskommen können alle hier nur träumen. Deshalb wollen die beiden Frauen auch weg. Das nötige Kleingeld für den Neuanfang im goldenen Westen will Natalie durch eine Erpressung ergaunern. Durch ihr Verhältnis mit Haller weiß sie, dass dieser und der frühere NVA-Hauptmann Guido Welz (Hansjürgen Hürrig) in illegale Waffenverkäufe verstrickt sind, für die sich später das BKA interessieren wird. Kommissarin Vogt (Saß) und ihr Kollege Hoffmann (Dirk Schoedon) müssen sich dagegen mit einem Mord herumschlagen. Denn Natalie überlebt die Nacht der Erpressung nicht. Und viele kommen als Täter in Frage.
„Blue Dream – Tod im Regen“ ist ein typischer ostdeutscher Krimi jener Jahre. Eine gewisse Tristesse liegt auf der Szenerie; viele übel gelaunte Menschen begegnen einem hier. Ein wenig schwer(blütig) ist auch die filmische Tonlage, die Befragungen sind häufig bedächtig und nicht immer kriminalistisch zielführend. Dramaturgisch und psychologisch ist das Ganze ziemlich durchsichtig (auch wenn man auf den Täter nicht so schnell kommen dürfte). Die Musik ist wie fast immer in den Neunzigern zwei Nummern zu groß. Und auch an die ungelenke Montage, die vor allem mit dramatisierendem Schuss-Gegenschuss arbeitet, muss man sich als heutiger Zuschauer gewöhnen. Es gibt aber auch einige sehr atmosphärisch geratene Szenen (beispielsweise ein melancholiegeschwängerter Tanz der Hallers in der Kneipe, die bald nicht mehr ihnen gehören wird) – und dass in allen Beziehungen in „Blue Dream“ die Frauen die Hosen anhaben, dürfte kein Zufall sein (sondern eher DDR-Erbe).
Sieht man von diesen zeitspezifischen ästhetischen Codes ab, bleibt unterm Strich ein fernsehhistorisch durchaus interessanter Film, der sogar noch auf der Zielgeraden mit einem, wenngleich höchst konventionellen Thriller-Showdown aufwartet. In ihn verwickelt ist das Objekt des allgemeinen Begehrens: Katja Riemann, ein Jahr vor „Der bewegte Mann“, als junge Frau zwischen allen Stühlen. Sie und Saß sind eindeutig auch die „Ziel-Objekte“ beim heutigen Sehen. Riemann, einmal nicht kess, frech & ironisch, sondern als verunsicherte „Ossi“, die ihr Leben zwischen knapper Kasse und Sex, Verliererehemann und Verzweiflung zu meistern nicht in der Lage ist. Sicher nicht die perfekte Rolle für Riemann damals – insbesondere in diesem grauen ostdeutschen Klima ohne blühende Landschaften, dafür mit einem Hang zur mimischen Überbetonung. Und so muss Riemann ihrem Peiniger mit weit aufgerissenen, angstverzerrten Augen ins Gesicht schauen. (Text-Stand: 16.7.2016)