Schon der Name Wanda Rosenbaum weist darauf hin: Diese Frau ist anders, keine „Kuschelkommissarin“, keine, die sich weder beim Ermitteln noch beim Zuschauer anbiedert oder gemein macht mit wohlfeilen sozialromantischen Lösungen. Ihr zweiter Fall ist eine schlüssige Fortführung des ersten („Mörderkind“): Eine Lehrerin wird im Unterricht getötet, mit einem gezielten Messerstich ins Herz. Es gibt 28 Zeugen, doch keiner will den Täter preisgeben. Alle sind der Ansicht, dass es diese „böse“ Pädagogin, die keine Möglichkeit ausließ, um ihre Schüler zu demütigen, nicht anders verdient habe. So rigoros die Haltung der Teenager, so rigoros Rosenbaums Reaktion: Sie zeigt den Schülern ein Video von der Obduktion der Leiche ihrer Lehrerin. Der Schulleiter ist entsetzt. „Man muss sie erschüttern, sonst haben wir in ein paar Jahren 20 Krüppel mehr“, verteidigt die Kommissarin ihr drastisches Vorgehen. Wenig später wird sie sogar handgreiflich gegenüber einer Schülerin.
Foto: RBB / Köfer
„Bei Klingelzeichen Mord“ ist alles andere als ein Themenkrimi-Schnellschuss und sehr viel mehr als ein bloßer Zeitgeist-Reflex. Der Film versucht, ein Bild einer sich verloren fühlenden Generation zu zeichnen und dabei das Universale nicht aus dem Blick zu verlieren: die Jugend als Lebensphase der (Selbst-)Findung mit all ihren emotionalen Irrungen und Wirrungen. Bei diesem Thema kann auch Wanda Rosenbaum mitreden. „Das, was von der Kindheit übrig ist, stirbt bei uns bereits zwischen zehn und zwölf – unwiederbringlich“, weiß sie – und sie weiß es aus erster Hand. Denn auch sie ist Mutter einer widerspenstigen Tochter. So wie die Heldin keine Patentrezepte parat hat und auf moralische Lippenbekenntnisse verzichtet, so drückt einem auch der Film keine Message aufs Auge. Durch geschicktes Taktieren kann die Kommissarin das Schweigen der Klasse durchbrechen und den Täter überführen. Schluss. Aus. Das Nachdenken nimmt einem dieser ausgezeichnete „Polizeiruf 110“ aus Potsdam nicht ab. Sonst hätte ihn Andreas Kleinert („Klemperer – Ein Leben in Deutschland“), der bekanntlich dem düsteren realistischen Drama verpflichtet ist, sicher auch nicht gedreht.
„Oftmals wird in Krimis nur eine Schuldfrage gestellt. In ‚Bei Klingelzeichen Mord’ merkt man, dass solche Schuldfragen oft ganz schwierig zu klären sind. Der Zuschauer wird sehen, dass die Kinder keine Monster sind und dass man aus manchen Konflikten einfach nicht heraus kommt… Man kann sowohl Sympathien als auch Antipathien für das Opfer wie auch für den Täter empfinden“ (Regisseur Andreas Kleinert)
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„Du kannst keinen Film machen, egal ob im Osten oder Westen, wenn du deine Untiefen, deinen Schmerz, deine Krankheit, deine Unsicherheit, das Kaputte, das Zerstörerische nicht zulässt“, betont Kleinert, dessen Filme einen Hang zum Grüblerischen haben. „Man darf nicht so tun, als ob man alles weiß.“ Mit Stefan Kolditz hatte er bei diesem „Polizeiruf“ einen kongenialen Autor, dem zwar immer auch soziale Themen und politische Haltung wichtig sind, der sie aber nicht 1:1 in einer Art Fernsehfrontalunterricht dem Zuschauer nahebringen möchte. Es steckt ein Stück Ost-Identität in diesem Film. Nicht nur, weil Kolditz, Kleinert, der exzellente Kameramann Thomas Plenert oder auch Kockisch, Krause & Jutta Hoffmann, deren eigenwillige Art, ihre fast ätherisch anmutende Kommissarin zu spielen, nicht genug gepriesen werden kann, in der DDR sozialisiert wurden, sondern auch, weil sie im Jahre 2001 einen anderen ästhetischen Stil pflegen als das Gros der anderen Kriminalfilme hierzulande. „Bei Klingelzeichen Mord“ ist ein Drama, das nah ran geht an seine Figuren und doch immer wieder in der ästhetischen Art seiner Inszenierung Distanz schafft. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass dieser „Polizeiruf“ einer der wichtigsten Filme des Jahres ist.